VIP VIP, Hurra!Eine Postkarte, 108 Jahre später
Die Promikolumne von Verena Maria Dittrich
2025 neigt sich dem Ende. Vom Fitness-Influencer bis zum Königshaus zeigt sich, wie sehr sich der Ton verändert hat und unsere Promis auch so etwas wie Seismografen einer müden Gesellschaft sind. Die letzte Ausgabe der Promikolumne in diesem Jahr mit einem Gruß einer damals Siebzehnjährigen aus dem Ersten Weltkrieg.
"Hoffentlich bringt uns das neue Jahr den langersehnten Frieden."
Diesen Satz schrieb meine Urgroßmutter Gertrud am 1. Weihnachtsfeiertag 1917 auf eine Postkarte. Sie war zu diesem Zeitpunkt inmitten des Ersten Weltkrieges siebzehn Jahre alt. 108 Jahre später halte ich diese Karte wieder in den Händen und denke darüber nach, wie beunruhigend dieser Satz aktuell ist und mit so wenigen Worten dennoch alles sagt.
Lieber Leser, lassen Sie uns am Ende des Jahres in dieser Ausgabe der Kolumne den Blick ein bisschen weiten, weil das, was uns gesellschaftlich beschäftigt, längst nicht mehr sauber zwischen Politik, Popkultur und Privatem zu trennen ist. Und natürlich kommen auch in dieser Kolumne die Promis nicht zu kurz, versprochen!
Die meistgelesenen Texte dieser Tage handeln von Krieg, Waffen, Krisen und geopolitischen Machtverschiebungen. Selbst Weihnachten wurde wieder einmal zur politischen Projektionsfläche. Und während man sich all diese Meldungen quer durch die Bank einmal zu Gemüte führt, bleibt - zumindest bei mir - ein Gefühl der Ermüdung zurück. Wir reden, wir senden und blasen mehr als je zuvor unsere Meinung in dieses Internet. Gleichzeitig aber hören wir einander immer seltener zu.
Hinzu werden jedes Jahr aufs Neue all die Artikel aus den Archiven reaktiviert, in denen es darum geht, warum wir an Weihnachten oft durchs halbe Land zu Familienangehörigen tingeln, die wir im Grunde gar nicht leiden können. Nur mit dem Unterschied, dass in vielen dieser Texte die nervige Tante Hilde durch den AfD-Onkel Waldemar ersetzt wird.
Gerne lässt man sich dann in Haltungsartikeln über Onkel Waldemar aus, etwa darüber, dass man nicht versteht, wieso Tante Hilde mit so einem Typen zu Hause nicht schon längst reingehauen hat. Der macht ja auch nix im Haushalt und würde nur Parolen schwingen, bla bla. Jeder hat ja so einen "alten weißen Mann" in der Familie. Und viele fühlen sich in ihrer Haltung bestätigt, wenn ihr Text, in dem sie dem Onkel nochmal richtig eins mitgeben, von der Community anerkennend geliked und geteilt wird.
Anerkennung als Währung
Anerkennung ist eben wichtig. Vor allem auf Social Media. Dieser Druck, dazuzugehören und dabei ständig etwas darstellen zu müssen, zeigt sich besonders deutlich bei Menschen, deren Leben öffentlich stattfindet. Wenn jemand wie die Let's-Dance-Kandidatin Sophia Thiel offen über Essstörungen und über das Gefühl des Nicht-Dazugehörens spricht, ist das ein Spiegel unserer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der vor allem das Aussehen und der eigene Selbstwert miteinander verrechnet werden. Dass Sophia Thiel heute sagt, Weihnachten mache ihr keine Angst mehr, zeigt auch, wie tief solche Prägungen sitzen und wie mühsam es ist, sich davon zu lösen.
Auch Institutionen geraten immer mehr unter Druck. Vor allem jene, die lange als unerschütterlich galten. Das britische Königshaus etwa sieht sich gezwungen, Konsequenzen zu ziehen, die man früher entweder einfach vermieden oder schlicht hinausgezögert hätte. Und selbst wenn Entscheidungen wie die Ausgrenzung von Andrew spät kommen, zeigen sie, dass Autorität, so traditionsreich sie auch daherkommen mag, kein Freifahrtschein für moralische Abgründe, gar Versagen ist.
Wie sehr sich das gesellschaftliche Klima in Europa und hierzulande verschärft hat, darüber hat dieser Tage auch Jakob Augstein gesprochen, den Sie, lieber ntv-Leser, gewiss auch aus "Augstein & Blome" kennen, wo die beiden Journalisten gemeinsam in einer Karre durch Berlin kutschen und oft herrlich streitlustig über die politischen Themen der Woche diskutieren.
"Der Schlimmste von allen"
So äußerte sich Augstein nun im Podcast von Paul Ronzheimer deutlich besorgt über den Zustand der öffentlichen Debatte. Über Medien, die ausschließen, statt zu erklären. Beim Thema Jan Böhmermann konnte Augstein mit harscher Kritik nicht zurückhalten: Der ZDF-Satiriker sei für ihn der "Schlimmste von allen", habe "einen verheerenden Einfluss" auf das Denken vieler Menschen und eine ebenso "verheerende Wirkung auf das demokratische Klima". Seine Sorge kommt nicht aus dem Nichts, denn wenn politische Gespräche nur noch entlang von Lagern geführt werden, bleibt eben wenig Raum für Grauzonen.
Man spürt diese Verhärtung ja nicht nur in Talkshows oder in den Kommentarspalten der sozialen Medien, sondern schon lange auch im Alltag und an dieser auffallend extrem schnellen Gereiztheit.
Und so frage ich mich dieser Tage auch selbst etwas sorgenvoll, wie sehr die Botschaft von Weihnachten noch trägt. Runterkommen, Nächstenliebe und Innehalten. Vor allem, wenn man schon wieder vereinzelt Artikel liest, wie "altmodisch" die Rituale der Weihnachtszeit doch auch geworden seien. Okay, dann bin ich eben altmodisch.
Dass selbst die Popkultur diesen Gedanken tragen kann, zeigt sich manchmal in Momenten, an die man immer erst später zurückdenkt. Chris Rea ist dieser Tage gestorben. Sein berühmter Song "Driving Home for Christmas" erzählt nichts anderes als von einer langen Fahrt voller Sehnsucht nach Ankommen, nach einem Ort, an dem niemand etwas von einem will und an dem die Welt für einen Moment leiser wird.
Lieber Leser, ich hoffe, Sie hatten ein friedvolles Weihnachtsfest. Ein herzliches Dankeschön an alle, die 2025 hier mitgelesen haben. Rutschen Sie gut ins neue Jahr.