Polygamie, religiöser Wahn, Mord In Münster war die Hölle los
13.12.2020, 21:47 Uhr
Boerne (l.) und Thiel ermitteln.
(Foto: WDR/Thomas Kost)
Der neue "Tatort" aus Münster hat zwar vor allem halbgare Witze im Gepäck, erinnert dafür aber an Zeiten, in denen die Stadt noch kein Paradies für radfahrende Studenten war: In den 1530er-Jahren errichteten die "Wiedertäufer" ein religiöses Terrorregime ersten Ranges.
"Ich verurteile dich zum Tode wegen Ungehorsam", brüllt der Mann mit dem Langschwert die junge Frau an, die vor ihm auf dem Boden kniet. "Ich liebe dich, Jan", schluchzt sie ihm noch entgegen, doch es ist umsonst: Mit einem brutalen Hieb schlägt ihr der Mann den Kopf ab, er hat jetzt nur noch 15 Ehefrauen - und ein "tausendjähriges Reich Christi", das schon im ersten Jahr zu einer religiösen Diktatur ersten Grades mutiert.
Wer am Sonntag den neuen Münsteraner "Tatort" gesehen hat, erkennt die Szene wieder: Sie ist Teil eines Theaterstück mit dem Namen "Das Täuferreich - The Experience", das die schwer verdächtigen Bewohner einer mittelalterlichen Wasserburg aufführen, um die klammen Kassen zu füllen. "Wilde Story, oder? Denkt man gar nicht, wenn man hier so rumläuft", urteilt Professor Boerne (Jan Josef Liefers). Wild trifft es ganz gut, obwohl das Stück weit mehr als nur eine Story ist: Tatsächlich war das Münster der 1530er Jahre der Schauplatz eines sozialrevolutionären Experiments, das so übel aus dem Ruder lief, dass es die Stadt bis heute prägt.
Bordellbesitzer gründet religiöse Diktatur
Als ein gewisser Jan Mathys 1534 in die Stadt einzog, herrschte große Unzufriedenheit in Münster: Während ein Großteil der Bewohner den neuen Lehren Luthers anhing, kontrollierte die katholische Kirche weiterhin den Wohlstand in der Bischofsstadt. Mathys glaubte an das nahe Ende der Welt und begeisterte die Massen, indem er Münster zum "neuen Jerusalem" ausrief und den Reichtum in einer Art frühkommunistischer Anwandlung als urchristliche Gütergemeinschaft umverteilen ließ. Andersgläubige und mit ihnen der Fürstbischof wurden kurzerhand aus der Stadt getrieben, das "Täuferreich" war geboren und sollte nach dem Willen seiner Erschaffer tausend Jahre währen.
Das ließ der geistliche und weltliche Herrscher Münsters natürlich nicht auf sich sitzen, versammelte ein Söldnerheer und belagerte die Stadt, die von den Wiedertäufern in der Zwischenzeit zur Festung ausgebaut worden war: Im Dom wurde Pulver hergestellt, in Hinterhöfen Kanonen gegossen und die Dächer der Kirchtürme waren abgetragen worden, um auf ihnen Geschütze postieren zu können. Die Belagerer bissen sich an der starken Verteidigung die Zähne aus, bis der selbsternannte Prophet Mathys an Ostern 1534 einen Ausfall wagte: Er wähnte sich unverwundbar, wovon die Feinde vor der Stadt aber offenbar nichts wussten und Mathys kurzerhand erschlugen.
Ans Aufgeben dachte in Münster trotzdem kaum jemand, stattdessen übernahm nun Jan van Leiden die Macht. Der ehemalige Bordellbesitzer schaffte die letzten Überreste des Stadtrechts beiseite und machte den Wandel zur religiösen Diktatur perfekt: Vergehen gegen "Gott, Obrigkeit und Eltern, Ehebruch, Unzucht, Geiz wie Diebstahl, Betrug, Verleumdung, Zank und Aufruhr" wurden ab sofort mit dem Tode bestraft. Wobei die Sache mit der Unzucht neu ausgelegt wurde: Um die (männlichen) Verteidiger bei Laune zu halten, führte Leiden mit dem Verweis auf alttestamentarische Praktiken die Polygamie ein und nahm sich selbst 16 Ehefrauen. Kritiker wurden verfolgt und öffentlich hingerichtet, so wie Leidens Ehefrau Elisabeth vom Anfang dieses Textes.
Mit glühenden Zangen in Stücke gerissen
Innerhalb kürzester Zeit hatten Leiden und seine Mitstreiter ein religiöses Terrorregime errichtet, das umso wahnsinniger und brutaler agierte, je klarer wurde, dass es zum Scheitern verurteilt war. Trotzdem konnte Leiden Münster noch fast ein ganzes Jahr lang halten, bevor die Stadt am 25. Juni 1535 dann endlich fiel - nachdem geflüchtete Verteidiger eine Schwachstelle der Befestigungen verraten hatten. Die siegreichen Belagerer standen den Wiedertäufern indes in nichts nach und rächten sich an Leiden und den verbliebenen Verteidigern: In einem blutigen Spektakel folterten sie sie stundenlang auf dem Domplatz und rissen ihre Körper schließlich mit glühenden Zangen in Stücke. Die Leichname Leidens und zwei seiner Stellvertreter wurden zur Abschreckung in metallenen Käfigen zur Schau gestellt.
Noch heute baumeln die Käfige in luftiger Höhe von der Lambertikirche herab und kommen so auch in "Es lebe der König!" vor. Doch obwohl die blutige Geschichte von Leiden und seinen Wiedertäufern als Aufhänger für den neuen "Tatort" dient, lassen die Macher ansonsten viele Möglichkeiten liegen - unverständlich, wo doch alleine schon der nüchtern verfasste Wikipedia-Eintrag zu den Ereignissen für Gänsehaut sorgen kann. Ein Glück, dass wir das jetzt nachgeholt haben.
Quelle: ntv.de