Spionage im Kalten Krieg Die Frau, die mit dem Tod tanzt
05.11.2023, 12:18 Uhr Artikel anhören
Zwischen 1962 und 1986 wurden auf der Glienicker Brücke dreimal Agenten ausgetauscht.
Erst lässt er die Glienicker Brücke explodieren, dann schickt er eine BND-Analystin nach Moskau, mitten ins Haifischbecken des KGB. Mit "Wie sterben geht" hat Andreas Pflüger erneut einen starken Spionagethriller geschrieben, der zwar im Kalten Krieg spielt, aber beklemmend aktuell ist.
Der neue Spionagethriller von Andreas Pflüger beginnt mit einem riesigen Knall. Auf der Glienicker Brücke ist in "Wie sterben geht" Anfang 1983 alles vorbereitet "für die größte Show, die der Kalte Krieg zu bieten hatte". Der hochrangige KGB-Offizier Rem Kukura soll gegen den in den USA wegen Mordes zur Giftspritze verurteilten Sohn eines Politbüromitglieds ausgetauscht werden. An dem Strich, der mitten auf der sogenannten "Agentenbrücke" die Bundesrepublik von der DDR trennt, steht neben den beiden Männern auch Nina Winter. Sie ist die Einzige, die Kukura identifizieren kann. Doch der Austausch geht auf dramatische Weise schief: Die Brücke fliegt in die Luft.
"Nina hatte ein Pfeifen im Ohr, das sie verrückt machte. Die Brücke stand auf dem Kopf. Ihr Stahl verschmolz mit dem Asphalt und dem Schnee zu einem dreidimensionalen Gemälde von Baselitz. Es gab kein Oben und kein Unten mehr, kein Nah oder Fern. So musste es im Weltraum sein, schwerelos. Dann hämmerte die Erdanziehung sie auf den Boden. Sie wog plötzlich Tonnen. Dichter Rauch, überall. Blutgeschmack."
Eigentlich hatte die Slawistin und 10.000-Meter-Läuferin Nina als Analystin beim BND einen Schreibtischjob. Um zu erzählen, wie sie zu der Frau wurde, die einen "Barfußtango auf einem Tanzboden voller Giftschlangen" ausführen musste, springt Pflüger nach dem actionreichen Einstieg in der Zeit zurück. Vier Jahre zuvor wird Nina als dritte Person überhaupt in eines der bestgehüteten Geheimnisse des BND eingeweiht. Schon lange gibt es in Moskau einen "Pink Star", den erfolgreichsten Top-Spion, den Pullach je hatte: Rem Kukura, Deckname "Pilger". Nun ist dessen Verbindungsführer auf ungeklärte Weise verschwunden und für die weitere Zusammenarbeit hat Kukura eine einzige Bedingung: Ab sofort soll Nina ihn führen.
Zur Vorbereitung auf die äußerst gefährliche Mission bleibt kaum Zeit. Nina bekommt einen Schnellkurs in Sachen Geheimdiensttechniken, lernt tote Briefkästen anzulegen und ihre Beschatter mit "Schüttelstrecken" und "Reinigungsschleusen" in einem stundenlangen Katz-und-Maus-Spiel loszuwerden. Und sie muss sich ihren offenen Blick abgewöhnen, der sie als Westlerin zu erkennen gibt. "Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass die Russen meistens ins Leere gucken, wenn sie unterwegs sind?", fragt sie ihr Ausbilder. "So ist das in Väterchen Russland, wenn man nicht beim KGB oder der Miliz ist, kein hohes Parteitier, kein General und nicht der Rehpinscher von Breschnew."
"Eine wie du macht den Tod ungeduldig"
Angekommen in Moskau wird Nina Winter nicht nur zu Anja Gabriel. Um zu überleben, muss sie kreativ, schlagfertig - in doppelter Hinsicht - und wagemutig sein, kurz: eine Kämpferin werden. Und sie vervollkommnet ihre Methoden immer weiter. "Eine wie du macht den Tod ungeduldig", heißt es an einer Stelle. Ihr eigenes Motto: "Wer mit dem Tod tanzt, sollte wissen, wie man führt."
Bald bemerkt Nina einen Furcht einflößenden Mann, der sie beobachtet. Sie tauft ihn "Motte" und er wird zu ihrem ärgsten Gegenspieler. Mehr soll an dieser Stelle aus Spoiler-Gründen nicht verraten werden. Vielleicht noch dies: Die Brücken-Explosion war noch nicht der Höhepunkt der Gewalteskalation. Und: Schon auf den ersten Seiten des Buches, kurz vor dem geplanten Austausch, wird klar, dass der BND nicht alles weiß, was in Ninas letzten Tagen in Moskau passiert ist - andere Geheimdienste hingegen schon.
"Wie sterben geht" garantiert atemlose Spannung, ist in diesem Leseherbst eine echte Empfehlung und für alle Fans von Spionagethrillern eigentlich ein Muss. Nach "Operation Rubikon", seiner Trilogie um die blinde BKA-Elitepolizistin Jenny Aaron und zuletzt "Ritchie Girl" beweist Pflüger erneut: Auf dem literarischen Geheimdienst-Feld ist er einfach eine Klasse für sich.
Beklemmend aktuell
Auf jeder der fast 450 Seiten wird deutlich, was für ein glänzender Erzähler Pflüger ist - immer mit dem richtigen Gespür für Dramaturgie und Rhythmus. Auf fast filmische Art führt er seine Leserinnen und Leser durch die Geschichte und wählt dafür eine klare, prägnante Ausdrucksweise, überrascht mit unverbrauchten Sprachbildern und lässt in den Dialogen auch den Humor nicht zu kurz kommen.
Raffiniert bettet er seine fiktiven Handlungsstränge in historische Begebenheiten ein: Der Einmarsch der Sowjets in Afghanistan wird erwähnt, Nina erreicht die russische Hauptstadt zur Zeit des Boykotts der Olympischen Spiele in Moskau und Breschnew-Nachfolger Juri Andropow, mit dem ein KGB-Chef offiziell ans Ruder kam, hat gleich mehrere Auftritte.
Auch wenn Pflüger seinen Roman in der Hochzeit des Kalten Krieges ansiedelt, wirkt vieles beklemmend aktuell. Er selbst bemerkt in einem Nachwort zu dem Buch, mit dem er schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine begonnen hatte: "Beim Schreiben habe ich mir dann gewünscht, es gäbe weniger Analogien zwischen dem heutigen Russland und der damaligen Sowjetunion."
Quelle: ntv.de