True Crime als (Über)lebenshilfe "Love Letters to a Serial Killer"


Hannah beginnt, dem inhaftierten William Briefe zu schreiben.
(Foto: picture-alliance / beyond/Christian Hacker)
Eine Frauenleiche wird in einer Schlucht nahe Atlanta entdeckt. Es bleibt nicht die einzige und schon kocht die Stimmung in den Sozialen Netzwerken und in Foren hoch. Die Jagd nach dem Serienkiller beginnt - und mitten drin eine junge Frau mit einer Obsession.
Hannah sucht noch den Platz im Leben. Ihr Job bei einem gemeinnützigen Unternehmen bietet zwar Aufstiegschancen, aber Spaß macht er ihr nicht. Ähnlich ergeht es der jungen Frau mit ihrem Freund: Der Sex ist mies, aber eine Trennung kommt für Hannah nicht infrage. Und dann wäre da auch noch ihre beste Freundin, mit der sie sich zwar regelmäßig trifft, trinkt und tratscht, die neuerdings aber selbst einen Freund hat und an einer ernsthaften Beziehung arbeitet.
Zufrieden ist Hannah mit ihrem Leben nicht, der Mut, daran etwas zu ändern, fehlt ihr aber auch. Es könnte ja noch schlechter kommen. Und es kommt schlechter, zumindest auf den ersten Blick: Ihr Freund ghostet sie erst, dann reagiert er nicht mehr auf ihre SMS und am Ende sieht Hannah ihn mit einer anderen Frau, die besser aussieht als sie und zudem noch jünger ist. What the fuck?! Zu allem Überfluss wird die gehobene Stelle, auf die sie ein Auge geworfen hatte und für die sie sich berufen fühlte, extern besetzt. Es läuft einfach nicht.
Doch dann wird die Leiche einer Frau gefunden, in einer Schlucht bei Atlanta. Drei weitere tote Frauen kommen noch dazu. Ein Serienkiller ist am Werk. True Crime. Hannah ist angefixt: Wer steckt dahinter? Sie will den Mörder dingfest machen - und sie ist nicht die einzige. Dutzende Frauen schließen sich in Foren zusammen, tauschen Meinungen aus, gehen Hinweisen nach, machen die Arbeit der Polizei.
Wo die Liebe hinfällt
Als der mutmaßliche Täter gefasst ist - ein Weißer, gut aussehend, aus einer angesehenen Familie, der Vater Anwalt - beginnt Hannah ihm Briefe zu schreiben. Ins Gefängnis. Sie erzählt ihm Banalitäten, schenkt ihm Aufmerksamkeit, versucht ihm aber auch ein Geständnis zu entlocken. Die gesammelten Indizien sprechen klar gegen ihn.
William antwortet Hannah. Er fühlt sich geehrt und auch irgendwie verbunden mit ihr. All das reicht aus, dass Hannah sich in den möglichen Serienkiller verliebt. Sie reist nach Atlanta, wo ihm der Prozess gemacht wird, schmeißt dafür ihren Job weg, und all die kleinen losen Beziehungen, die sie noch gehabt hat, seien es die zu ihren Eltern oder zu ihrer besten Freundin. Hannah geht voll in ihrer Liebe zu William auf, ordnet dessen Unterstützung alles unter. Aber sie will auch wissen: Hat er die Frauen ermordet? Könnte sie die nächste sein?
Liebe ist, was du daraus machst
Eine unvorhergesehene Wendung im Fall stellt dann abermals Hannahs Leben auf den Kopf. Doch wartet nun die große Liebe ihres Lebens, nach der sie sich immer gesehnt und verzehrt hat? Oder ein schrecklicher Tod? Der ihr aber immerhin ein gewisses Maß an Bekanntheit einbringen dürfte. Als Leser oder Hörer von Tasha Coryells "Love Letters to a Serial Killer", erschienen bei dtv und DAV, muss man bis zum Ende am Ball bleiben, um herauszufinden, wer hinter den Morden steckt und was aus Hannah am Ende wird. Coryell, die Englisch an der University of Alabama unterrichtet, ist ein Debüt gelungen, das kurzweilig daherkommt und mit der Anziehungskraft von Serienmördern spielt. Weshalb fühlen sich Menschen zu ihnen hingezogen? Wieso schreiben so viele Frauen inhaftierten Schwerverbrechern? Was zieht sie so in den Bann?
Coryell versucht, in der Figur Hannahs darauf eine mögliche Antwort zu geben: fehlendes Selbstbewusstsein, gepaart mit Angst, andere zu enttäuschen, und es deshalb allen recht machen zu wollen. Nicht auffallen wollen und dennoch das Verlangen in sich tragen, etwas Besonderes sein zu wollen. Hin und her gerissen zwischen Träumereien und Möglichkeiten auf der einen Seite und dem wahren Leben und dessen Unwägbarkeiten auf der anderen. Das Buch offenbart eine Reise in die Abgründe einer Seele, die doch nichts anderes will, als geliebt zu werden und den Platz im Leben zu finden. Wenn es sein muss, dann eben als Opfer eines Serienkillers - wenn William denn einer ist.
Quelle: ntv.de