Comics aus Frankreich Gauner, Grönland und Gemälde
12.10.2017, 13:58 Uhr
Drei Gemälde fordert der Mafiapate, darunter die "Olympia" von Manet - so heißt auch der Comic.
(Foto: Ruppert, Bastien Vivès, Mulot / Reprodukt 2017)
Maggy sucht nach Kohle für ein paar Kippen, Claire nach der idealen Liebe. Georges sucht auf Grönland nach Whisky und drei Kunstdiebe nach dem einfachsten Weg aus der Bredouille. Ein Blick auf Comics aus dem Buchmessen-Gastland Frankreich.
Manch ein deutscher Comicleser blickt voller Neid nach Frankreich. Nicht nur, weil die Produktion an Alben, Strips und Magazinen dort weit höher ist. Sondern vor allem, weil die Neunte Kunst im Nachbarland - anders als in Deutschland - eine hohe Anerkennung genießt. Wenn in diesem Jahr Frankreich Gastland auf der Frankfurter Buchmesse ist, wird also auch der Comic gebührend gefeiert - was schon das Online-Comicprojekt "Ping Pong" beweist. Doch auch auf den Büchertischen hat Frankreich viel zu bieten. n-tv.de stellt ein paar Neuerscheinungen vor.
Wobei: Schon der erste Band spielt nicht mal in Frankreich, das zeigen schon der rote Doppeldeckerbus und Regenschirme auf dem Cover. Aber Titelheldin Maggy Garrisson ist ja auch alles andere als eine feine französische Dame, sie zündet sich schon mal ihre Kippe mit einem Revolver-Feuerzeug an. Wie sie da lässig im Londoner Regen steht, in all ihrer Mittelmäßigkeit, wird sie einem doch gleich sympathisch. Und sie ist sogar im Glück, irgendwie. Nach zwei Jahren hat sie endlich einen Job: Sekretärin bei einem Privatdetektiv. Nur dass der wenig später zusammengeschlagen wird und Maggy auf sich allein gestellt ist. Wird sie also zur einsamen Heldin im Kampf gegen das Verbrechen? Sicher nicht. Zusammen mit Polizistin Sheena nimmt sie es auf eigene Faust mit der Unterwelt auf - da muss schließlich irgendwie Kohle rauszuholen sein.
In der Albenreihe "Maggy Garrisson" von Vielschreiber Lewis Trondheim und Zeichner Stéphane Oiry spielt nicht nur eine Frau die Hauptrolle - sie muss auch noch nicht mal von den Guten sein. Maggy ist nur darauf bedacht, ihren Schnitt zu machen, für ein paar Kippen und ein paar Bier im Pub. Wunderbar gegen den Strich gebürstet ist diese Serie mit ihrer kaltschnäuzigen, sarkastischen, aber irgendwie liebenswerten Heldin. Oiry taucht das Ganze denn auch in triste Farben, die das Zwielicht der Figuren betonen: düstere Mietskasernen, ein regenvergangener Himmel und der Pub leuchtet im besten Scorsese-Rot. Überhaupt erinnert die filmreife Dramaturgie von Trondheim an wundervolle britische Tragikomödien im Milieu von Kleinkriminellen. Das ist wie "Trainspotting", nur ohne Heroin.
Bisher sind zwei Bände erschienen, die man hier und hier bei Amazon bestellen kann. Leseproben gibt es hier.
Was für ein Gegensatz zu Maggy ist dann doch Claire: Als Krankenschwester kümmert sie sich liebevoll um Frühchen, sie hat eine nette Wohnung, ihr Leben einigermaßen im Griff. Nur ein Freund fehlt, und ein Kind. Worauf Claire dann auch regelmäßig von ihrer Umgebung hingewiesen wird. Kein Wunder, dass sie sich schon mal in Tagträume flüchtet. Denn abgesehen von One-Night-Stands will es einfach nicht klappen mit einer Beziehung. Bis sie auf Franck trifft, und schließlich seinen Avancen erliegt. Die beiden werden ein Paar, ziehen zusammen und … dann geht die Geschichte erst richtig los.
Aude Picaults "Ideal Standard" dreht erst dort richtig auf, wo im Film das Happy End eingeblendet wird. Statt auf das große Ganze zu setzen, zeigt sie - mit viel Witz - kleine Begebenheiten, die Alltagstrott und Beziehungsprobleme. Dabei stellt sich Claire immer wieder selbst Hürden in den Weg, weil sie von der idealen Beziehung ausgeht. Daraus entstehen sehr sensible Szenen und Alltagsbeobachtungen, die wohl jeder so ähnlich schon mal erlebt hat. In sehr einfachen Zeichnungen, die allerdings etwas mehr Details vertragen hätten, konzentriert sich Picault ganz auf ihre Hauptfigur - was auch dazu führt, dass die anderen Personen etwas eindimensional bleiben. So ist "Ideal Standard" am Ende die Geschichte der Selbstfindung einer modernen Frau, der Befreiung, auch von den eigenen hohen Ansprüchen.
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Der Schwindel des hohen Nordens
Männer stehen dagegen im Mittelpunkt von "Grönland Vertigo": Georges Benoît-Jean etwa, ein Comiczeichner, der auf eine Expedition nach Grönland eingeladen wird. Dazu Jørn Freuchen, ein Schriftsteller, der an der Seereise teilnimmt, um einem alten Geheimnis auf die Spur zu kommen. Und Ville Hakkola, ein Künstler, der die Fahrt finanziert - ihm geht es um ein aufwändiges Kunstprojekt. Das "Vertigo" des Titels, der Schwindel, darf dabei ruhig wörtlich genommen werden. Nicht jedem bekommt das Klima im hohen Norden. So greifen bald Misstrauen und Missgunst um sich und die Expedition gerät langsam, aber sicher aus den Fugen.
Dass Tanquerelle ein wundervoller Zeichner ist, hat er zuletzt schon mit "Die Diebe von Karthago" bewiesen. Flimmerte dort das Rot Nordafrikas, setzt er hier auf eine kühle, etwas ausgeblichene Farbigkeit, die die Anmutung einer klassischen Abenteuergeschichte noch verstärkt. Nur die Geschichte, für die Tanquerelle diesmal selbst verantwortlich ist, kommt nicht ganz so virtuos herüber. Trotzdem zaubert er aus seinen herrlich verschrobenen Figuren ein wunderbares Abenteuer, das nicht nur zeichnerisch an beste "Tim und Struppi"-Geschichten erinnert.
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Beenden wir die kleine Frankreich-Comic-Reise aber standesgemäß in der französischen Metropole. Dort treffen wir Carole, Alex und Sam wieder, die Hauptfiguren aus "Die große Odaliske". Wobei Carole seit dem Ende des letzten Abenteuers verschwunden ist. Sam und Alex gehen also auf eigene Faust auf Diebestour - was gründlich schiefgeht. Zum Glück taucht plötzlich Carole auf - hochschwanger und mit dem rettenden Fluchtfahrzeug. Doch danach werden sie von einem italienischen Mafiosi erpresst: Er fordert drei Gemälde, darunter Manets titelgebende "Olympia", die im Pariser Petit Palais ausgestellt werden. Die Mädels machen sich ans Werk, im Schlepptau einen Mafiakiller, der sie erschießen soll, sobald er die Gemälde in Händen hält.
Viel Action, lockere Sprüche, große Brüste - Autor Bastien Vivès tobt sich mal wieder aus. Die von Ruppert und Mulot in Szene gesetzte Geschichte mag absurd sein - das hat Vivès von seiner Vorliebe für billige Actionfilme -, dafür macht sie ungeheuren Spaß. Das liegt nicht nur am Gegensatz von großer Kunst und Pop-Trash, sondern vor allem an den drei Hauptfiguren.
Die quirlige, pubertäre Alex, die handfeste Sam, die mit dem Motorrad ebenso rasant umgeht wie mit ihren Fäusten, und die mütterliche Carole ergeben ein Trio infernale, dem sich besser niemand in den Weg stellt. Nicht mal ein Mafiakiller. Der Höhepunkt des Buches ist denn auch nicht der Raubzug, bei dem mal eben das Museum zerlegt wird, sondern eine Szene in einer Disko, in der diese drei unbesiegbaren Mädels einfach ausgelassen feiern. Merke: Bei "Ocean's Eleven" braucht es elf Männer für einen Raubzug. Dabei hätten es auch diese drei Frauen getan.
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Quelle: ntv.de