
Davon träumt der geplagte Städter - bis der Traum in einen Albtraum umschlägt.

(Foto: imago/Gottfried Czepluch)
In "Unter Wasser Nacht" geht es um Familien und Fassaden, den Kampf um eine Ehe, Tod, Freundschaft - und darum, wie man nach dem Zerbrechen der Lebensträume weiterleben und Hoffnung schöpfen kann. Dicht, spannend, lebensnah - lesenswert!
Zwei befreundete Familien leben das Leben, das sich viele Familien wünschen: Zwei wunderschöne Häuser nebeneinander, etwas abgelegen in der Natur der romantischen Elbauen, die Kinder im ähnlichen Alter, ebenso die Vorstellungen, wie alles zu sein hat: Das Essen bio, die Jobs gut bezahlt, der Kompost hinterm Haus und die Ansichten gemäßigt, aber nicht zu spießig. Wenn nicht das Kind der einen Familie unter ungeklärten Umständen gestorben wäre. Und ach, wenn es vorher doch nur ein "besseres" Kind gewesen wäre, eines, das man lieben und knuddeln kann. Und dann kommt auch noch eine fremde Frau aus dem dänischen Christiania in die bis dato eingeschworene Community und mischt diese Gemeinschaft auf, inklusive Andeutungen zum Tod des Jungen, Liebes-Irrungen und -Wirrungen, Eifersüchteleien.
In "Unter Wasser Nacht" geht es um die besten Freundinnen Inga und Sophie, die, obwohl sie nicht unterschiedlicher aufgewachsen sein könnten, schon während des Studiums zusammen wohnten, gemeinsam auf den Anti-Atomkraft-Demonstrationen bei Gorleben waren und von einer gerechteren Zukunft träumten.
Jetzt wohnen sie also in bürgerlicher Idylle im Wendland. Doch während Inga und ihr Mann Bodo ihre vermeintlich perfekten Kinder aufziehen, kämpft Sophie um ihre Ehe mit Thies. Seit ihr Sohn Aaron in der Elbe ertrank, ist ihre Beziehung vergiftet, von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Und als eine Fremde, die mysteriöse Mara, in den Ort kommt und die Wunden wieder aufreißt, müssen Sophie und Inga sich fragen, was aus ihrem Leben, ihrer Freundschaft und aus ihren Träumen geworden ist.
Zerbrechen an Erwartungen
"Mich hat schon immer der Blick hinter allzu glatte Fassaden fasziniert" erzählt Kristina Hauff ntv.de. "Eine vollkommen krisenfreie Familie - kann es die wirklich geben? Familie kann Glück und Geborgenheit bedeuten, aber eben auch die Abwesenheit von Liebe und Wärme. Machtmissbrauch und Manipulation können von den Menschen ausgehen, denen wir unentrinnbar ausgeliefert sind", so die Autorin, und ergänzt: "Unerfüllbare Erwartungen prägen uns ein Leben lang, an ihnen können wir daher auch zerbrechen."
Kristina Hauff - die unter ihrem echten Namen Susanne Kliem schon lange und erfolgreich Krimis veröffentlicht - schreibt in "Unter Wasser Nacht" so, dass man das Buch auf keinen Fall aus der Hand legen möchte. Es ist ihr erster Roman, den sie uns präsentiert, ohne ins vertraute Krimi-Raster zu verfallen - zu viel Psychologie steckt in "Unter Wasser Nacht", und zu viel von gesellschaftlichen Themen.
Angefangen bei der Landlust, die den von der Stadt genervten Großstädter in den Speckgürtel treibt, über die Art, wie man sich heutzutage einzurichten hat, nämlich "hygge" - also gemütlich, aber klar; warm, aber auf keinen Fall überladen, aufgeräumt muss es und billig darf es nicht sein, bis hin zu diesem uralten und ewigen Traum, dass mit den besten Freunden - die eben vermeintlich genau so sind wie wir - für immer alles schön sein muss. "Bei meinen Romanfiguren Thies und Sophie haben sich elterliche Ideale mit der Vorstellung einer perfekten Lebensweise vermischt, eine Art Bullerbü-Idylle", so Kristina Hauff.
Warum ausgerechnet wir?
Doch das schwierige Kind Aaron passte von Anfang an nicht in das harmonische Bild, "die ständigen Probleme mit ihm haben die Freundschaft zu Inga und Bodo, dem anderen Paar, zerstört. Die Ehe seiner Eltern gerät an den Abgrund", verrät die Autorin. Thies und Sophie fühlen sich mit ihren familiären Problemen allein gelassen, von Pädagogen, von Therapeuten, von den Freunden. Gleichzeitig versuchen sie, die Fassade einer glücklichen Familie aufrechtzuerhalten. Das gelingt aber immer weniger: "Ich glaube nicht, dass Sophie und Thies jemals aufgehört haben, Aaron zu lieben. Aber irgendwann werden die Ohnmachtsgefühle zu viel für sie - Aaron gegenüber, aber auch den allwissenden Freunden, deren Kinder so perfekt geraten sind und die ständig mit wohlmeinenden Ratschlägen aufwarten."
Fragen quälen das unglückliche Paar: Warum trifft es ausgerechnet uns? Was machen wir falsch? Hauff: "Thies und Sophie finden keine Erklärung, und das ist vielleicht schwerer zu ertragen als eine konkrete medizinische oder psychologische Diagnose."

Kristina Hauff hat selbst einen Sohn: "Es war sehr quälend, den Verlust mit den Figuren zu erleben, ich habe beim Schreiben mitgelitten."
(Foto: Bartholot)
Es geht um das Erwachsensein in Hauffs Roman, Freundschaften zwischen Frauen, um sprachlose Männer, um verkorkste Eltern-Kind-Beziehungen - auch um die der bereits erwachsenen Protagonisten zu ihren alten Eltern. Es geht darum, wann man sich von den Fesseln seiner Kindheit, sollte es so empfunden werden, endlich befreit hat, und ob die sexuelle Anziehungskraft bei Paaren, die auch gern in Gummistiefeln miteinander Unkraut jäten und sich in- und auswendig kennen, Bestand haben kann, wenn plötzlich eine Fremde auftaucht, die ganz andere Knöpfe im Kopfkino bedient als die eigene Frau.
Es geht nicht um Schuld
Und dann die unfassbar schwierige Frage: Wie kannst du weiterleben, wenn dein Kind tot ist? Dazu Kristina Hauff, die nach fast einem Jahr des Corona-Lockdowns wieder "aufgetaucht" ist mit ihrem neuen Buch im Gepäck: "Ich kam auf dieses Thema, weil es in meinem erweiterten Bekanntenkreis ein unerklärlich aggressives Kind geben sollte. Es wurde für das Unglück seiner Familie verantwortlich gemacht, als sei es die Inkarnation des Bösen. Niemand von außen wollte glauben, dass ein Kind allein die Ursache sein kann, eine Familie derart zu sprengen." Was tun mit dem heiß ersehnten Wunschkind, das sich im Laufe seiner Entwicklung als unberechenbarer Tyrann herausstellt, den sich seine Eltern in heimlichen Momenten wieder wegwünschen? Sich vorstellen, wie ihr Leben ohne Kind verlaufen wäre. "Und dann werden diese Gedanken plötzlich Realität", so Hauff: "Aaron ist nicht mehr da, seine Leiche wird am Elbufer geborgen. Kein Wunder, dass beide Eltern an ihren Schuldgefühlen fast ersticken, auch, wenn es gar nicht um 'Schuld' gehen sollte. Und kein Wunder auch, dass sie nicht einmal miteinander darüber reden können."
Das Corona-Jahr, eine besondere Herausforderung für die Autorin? Keine Buchveröffentlichung, keine Lesungen, wenig Social Media, dafür die Lockdowns und diese merkwürdige Starre, in der wir uns durch das Virus befanden und noch befinden, "da schlittert man leicht in zu viel Schokolade, Sofa und Netflix hinein, da ist die Sehnsucht nach Menschen groß", verrät Kristina Hauff ntv.de. Aber diese Zurückgezogenheit hatte eben auch etwas Gutes - Hauff hat sich neue Menschen erschaffen und ihr erster Roman entstand. Mit dem wir uns jetzt aufs Sofa verkrümeln können.
Die große Premierenlesung in Berlin ist auf Mittwoch, 5. Mai 2021, 20 Uhr verschoben. Dann ist Kristina Hauff zu Gast bei Literatur Live Berlin, Moderation: Knut Elstermann, im Pfefferberg Theater Berlin
Quelle: ntv.de