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"The Chill": Horror und Thrill Wenn New York die Flut droht

Das Wasser birgt dunkle Geheimnisse.

Das Wasser birgt dunkle Geheimnisse.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Der 11. September 2001 hat die Verwundbarkeit New Yorks offenbart. Doch es gibt noch eine weitaus größere Gefahr für die Millionenmetropole am Hudson als ein Terroranschlag mit Flugzeugen. Scott Carsons "The Chill" zeigt, wie real sie ist - und wie dämonisch zugleich.

"Hör' auf das Wasser!" Diesen Satz hat Aaron als Teenager in sein Lieblingsbuch geschrieben. Er will Rettungsschwimmer bei der US-Küstenwache werden. Das Zeug dazu hat er zweifelsohne, denn er ist der beste Schwimmer in Torrance County, unweit von New York. Aaron trainiert nicht im Schwimmbad, er nutzt dazu den nahegelegenen Chill: Er taucht mit der Strömung und stellt sich ihr dann schwimmend entgegen. Es ist ein Kraftakt, aber er erfüllt ihn mit Befriedigung, denn Aaron fühlt sich jedes Mal als Teil des Wassers. Schöne Kindheitserinnerungen.

"The Chill" von Scott Carson ist bei Heyne und Randomhouse Audio erschienen.

"The Chill" von Scott Carson ist bei Heyne und Randomhouse Audio erschienen.

(Foto: Heyne)

Eines Tages kehrt er als Erwachsener an den Chill zurück. Aaron ist bei der Küstenwache gescheitert, saß mehrfach kurz in Haft und sein Leben droht ihm aus den Händen zu gleiten. Doch noch einmal will er es sich beweisen, sich der Strömung des Chills stellen - und sie genau wie seine eigenen Ängste besiegen. Aaron muss das einfach tun. Dass es seit Tagen in Strömen regnet und der Chill damit zu einer potenziellen Lebensgefahr für ihn geworden ist, kümmert ihn nicht. Dann schon eher dieser komisch gekleidete Fotograf am Ufer. Was hat der hier zu suchen? Aaron springt ins vom Regen aufgewühlte Wasser.

Er lässt sich ein Stück treiben, hängt seinen Gedanken nach und stellt sich der Strömung, schwimmt gegen sie und seine Ängste an. Doch er scheitert. Er schafft es nicht, die Strömung hat ihn bezwungen - und er stapft wütend ans Ufer. Die zerbrochene Glasflasche sieht er nicht, aber er spürt sie, als die scharfen Scherben seine Fußsohle bis auf den Knochen aufschneiden. Der Wolkenbruch dauert an und Aaron wird bewusst, dass er, blutend und frierend nur mit seiner Unterhose bekleidet, nun sterben könnte.

Ein Mann, ein Geist, eine Leiche

Da taucht ein Mann mit Notizblock und Tablet auf. Urplötzlich. Er sieht den blutenden, wütenden Aaron. Ein kurzer Wortwechsel und der Mann dreht sich um und stapft die glitschige Uferböschung wieder hinauf. Wortlos. Holt er Hilfe? Für Aaron sieht es nicht so aus: Er greift sich einen Teil der zerbrochenen Flasche, wirft sie dem Mann hinterher - und trifft ihn, als dieser sich noch einmal nach Aaron umdreht, um ihm zu sagen, dass er seinen Verbandskasten aus dem Auto holen will, mitten im Gesicht.

Der Mann stürzt zu Boden, rutscht die Böschung hinab und kippt bewusstlos ins Wasser. Aarons Rettungsschwimmer-Gene und das durch seinen Körper schießende Adrenalin verdrängen den pochenden Schmerz, der von seinem Fuß aus in den gesamten Körper strahlt. Er humpelt zum Wasser und schwimmt los. Systematisch, wie er es gelernt hat. Er taucht, sucht den Mann. Sieht nichts. Dann ein Aufblitzen im Augenwinkel. Er taucht hin, greift zu - und seine Hand berührt ein Skelett, dessen Kopf in einer schwarzen Tasche steckt. Die Leiche ist festgekettet, mit Schlössern versehen. Aarons Schock treibt ihn an die Wasseroberfläche. Er atmet tief ein und aus - und ist sich sicher, dass er nun ein Mörder ist, dass er den Mann mit seinem wutentbrannten Wurf auf dem Gewissen hat - und dass er im Chill eine Leiche gefunden hat.

Kurz darauf überschlagen sich die Ereignisse: Der Mann von der Böschung taucht quicklebendig wieder auf - und die Leiche im Wasser gehört zu einer alteingesessenen Familie, deren Wurzeln bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht und noch eine Rechnung offen hat: Sie will Rache an der Stadt, für deren Wasserversorgung einst der Chill gedacht und gebaut worden ist. Sie will Rache, weil für den Stausee ihr Heimatort enteignet, abgebrannt und unter Wasser gesetzt worden war. Die Rache soll New York treffen.

Geisterjagd gegen die Zeit

Scott Carsons "The Chill: Sie warten auf dich", als Buch bei Heyne, als Hörbuch bei Randomhouse Audio erschienen, kongenial gesprochen von Uve Teschner - braucht etwas, bis es auf Touren kommt. Die Handlung tröpfelt erst etwas dahin, ehe sich die Handlungsstränge verbinden und für den Hörer zu einem mitreißenden Genuss werden. "The Chill" ist ein Appell an die Herzlichkeit, an das Gute im Menschen. Das Buch ist aber auch eine Warnung davor, dass die Vergangenheit nicht ruht, auch dann nicht, wenn sie längst vergessen scheint. Bei "The Chill" wird klar: Jeder hat Angst vor dem anderen, bis man dem anderen begegnet.

Aaron begegnet der Polizeibeamtin Gillian. Sie stellt sich als Enkelin der im Wasser gefundenen Leiche heraus. Gillian verbrachte ihre Kindheit unweit des Chills in einem Haus, in dem ihr alles über die Vergangenheit des Stausees und die damit verbundenen Leiden eingebläut wurde. Erst als ihre Großmutter freiwillig ins Wasser stieg, holte sie ihr Vater dort raus, nahm sie mit nach New York. Sie lernte die Stadt und ihre Einwohner kennen, kehrte als Erwachsene aber dennoch ins Torrance County zurück - ihrer Familienvergangenheit wegen.

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Aarons Großvater wiederum sorgte einst als Sheriff dafür, dass die Enteignung für den Bau des Stausees voranschritten. Und auch der Mann mit Notizblock und Tablet hat Verbindungen zum Chill: Sein Großvater war der Ingenieur des mächtigen Bauwerks. Aber er wechselte offenbar während dessen Errichtung die Seiten, kämpfte nun mit bei den Enteigneten, die als Geister in den Tiefen des Sees an ihrem Racheplan arbeiten. Stein für Stein. Der Chill muss brechen, damit New York zerstört wird und der Rachedurst gestillt ist.

Klingt weit hergeholt? Vielleicht. Hört sich wie realer Horror an? Auf alle Fälle! Horror in bester Dean-R.-Koontz- oder Stephen-King-Manier. Verpackt in einem packenden Thriller, der an Wolf Harlanders "42 Grad" erinnert, in dem Wasser der wichtigste Plot-Träger ist - wie auch bei "The Chill". Denn nach dem 11. September 2001 spielten die US-Behörden mehrere mögliche Terrorszenarien durch. "Von all den Albträumen hatte einer das Potenzial, die ganze Stadt für lange Zeit lahmzulegen: der Ausfall der beiden Wassertunnel, die die fünf Bezirke versorgten. Allein der Ausfall von Wassertunnel zwei würde Queens und Brooklyn monatelang trockenlegen. Die Hälfte der Häuser der Stadt wäre unbewohnbar, die Krankenhäuser würden schließen müssen, Seuchen sich ausbreiten, die Wirtschaft einbrechen und Chaos herrschen", heißt es bei Scott Carson, Bestseller- und Drehbuchautor. Also: "Hör' auf das Wasser!"

Quelle: ntv.de

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