Verschwörungs-"Tatort" Kinderpornos made in Dresden?
22.11.2022, 10:57 Uhr (aktualisiert)
In der Gewalt eines verblendeten Vaters: Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach).
(Foto: MDR / MadeFor / Marcus Glahn)
Kleine Faustregel zu Verschwörungen: Je härter die Zeiten, desto wirrer die Theorien. Dazu passt der aktuelle Dresdener "Tatort", in dem ein verirrter Vater zum Mörder wird - während im Hintergrund das zynische Geschäft mit den Klicks läuft.
Das eigene Kind zu verlieren, ist schlimm. Noch schlimmer ist es, sich eingestehen zu müssen, dass man es selbst vertrieben hat. So wie es Michael Sobotta (Hans Löw) machen müsste, dessen Tochter Zoe (Alida Bohnen) nach einem Schulausflug nicht wieder nach Hause zurückkommt. Anstatt sich aber der Realität zu stellen und den Abschiedsbrief seiner Tochter als das zu akzeptieren, was er ist, flüchtet sich Sobotta in wirre Verschwörungstheorien: Er ist davon überzeugt, dass Zoe entführt wurde und nun zusammen mit 149 anderen Kindern aus Sachsen im Keller eines Restaurants festgehalten wird.

Noch grün hinter den Ohren, aber schon Verschwörungstheorien verbreiten: Die Grinsekatze ohne Maske.
(Foto: MDR / MadeFor / Marcus Glahn)
Der neue Dresdener "Tatort" greift ein hochaktuelles Thema auf: die Macht von Verschwörungstheorien im Zeitalter von Social Media. "Es ist auf jeden Fall ein trauriges Phänomen unserer Zeit, dass so viele Menschen einfach Fakten ignorieren und sich ihre ganz eigene Realität schaffen", erklärt Drehbuchautor Jan Cronauer das Hauptmotiv des Films. Diesen "hätte es ohne die Ereignisse der letzten Jahre in der Form sicherlich nicht gegeben".
Minderjähriger Foren-Verführer mit Maske
"Katz und Maus" nimmt sich dabei unter anderem "Pizzagate" zum Vorbild, eine Verschwörungstheorie, die der damaligen US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton 2016 die Mitgliedschaft in einem Kinderporno-Ring vorwarf. Wie im realen "Vorbild" eskaliert die immer hysterischer durch die sozialen Medien geprügelte Geschichte auch im "Tatort", hier allerdings mit tödlichen Folgen: Michael Sobotta wird vom Getriebenen zum Mörder.
Drehbuchautor Cronauer und seine Kollegin Stephanie Veith beleuchten in ihrer intelligent erzählten Geschichte nicht nur die Auswüchse, sondern auch die Hintergründe des ganzen Wahnsinns: "Mein Gefühl ist, dass viele Menschen Verschwörungstheorien einfach viel spannender finden als die trockene Realität", sagt Veith. Im "Tatort" stammen die wirren Geschichten von einem minderjährigen Foren-Verführer mit Grinsekatzen-Maske, der genau das verstanden hat: Je haarsträubender die Story, desto größer die Klickzahlen. Ein zynisches Geschäftsmodell, aber rechtlich einwandfrei: Immerhin hat der Ober-Verschwörungstheoretiker ein Impressum.
Die Ermittlungsmethoden, auf die die Dresdener in "Katz und Maus" zurückgreifen, sind dabei eher unkonventionell - und spiegeln die Überzeugung der Autoren wider: "Man darf sich in Gesprächen mit Anhängern von Verschwörungserzählungen nicht allein auf die Wirkkraft von Fakten verlassen. Damit schüttet man manchmal eher noch Öl ins Feuer, anstatt es zu löschen", sagt Cronauer. Interessante Ansätze, großartig umgesetzt: Zu wissen, ob sich damit tatsächlich jemand von der anderen Seite abholen lässt, wäre enorm spannend.
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 20. November 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de