Weitere Lockerungen geplant Alle Bundesländer fallen unter 50er-Inzidenz
30.05.2021, 13:54 Uhr
Am Tempelhofer Feld in Berlin scheint die Pandemie schon fast vergessen.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Die Zahlen zur Corona-Lage in Deutschland sehen zur Zeit so gut aus, wie schon lange nicht mehr. Mittlerweile liegen alle Bundesländer unter der von der Politik geforderten 50er-Schwelle. Experten warnen jedoch vor all zu großer Sorglosigkeit und schließen auch eine neue Welle nicht aus.
Die Corona-Zahlen in Deutschland sehen von Tag zu Tag entspannter aus - auch wenn es weiterhin Unwägbarkeiten mit Blick auf Varianten und Lockerungen gibt. Das Robert-Koch-Institut gibt die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz aktuell mit 35,2 an (Vortag: 37,5; Vorwoche: 64,5). Das ist der niedrigste Wert seit Mitte Oktober. Mittlerweile sind alle Bundesländer in Deutschland unter den politisch bedeutsamen Inzidenz-Wert von 50 gerutscht. Auf den Intensivstationen lagen laut DIVI-Intensivregister zuletzt so wenige Corona-Patienten wie seit Anfang November nicht mehr.
Aus den RKI-Zahlen von heute geht hervor, dass nun auch Thüringen als letztes Bundesland unter der 50er-Marke liegt. Die dortige Sieben-Tage-Inzidenz war demnach zuletzt bei 47,5. Besonders gut ist die Lage in den nördlicheren Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern (14,7), Schleswig-Holstein (17,9), Brandenburg (20,0), Hamburg (22,4) und Niedersachsen (23,1). Allerdings ist denkbar, dass die Inzidenzen wegen eines verminderten Testgeschehens an Pfingsten etwas zu niedrig ausfallen.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag zuletzt mit 0,75 deutlich unter 1 - das bedeutet sinkende Fallzahlen. Der Rückgang wird von Experten unter anderem mit Immunschutz durch Impfungen und durchgemachte Infektionen, höheren Temperaturen und Schnelltests bei Schule, Arbeit und Freizeit in Verbindung gebracht.
Allerdings ist nicht auszuschließen, dass aggressive Virus-Varianten die Situation in Deutschland nochmal brenzliger machen. Breitet sich die Variante aus Indien auch hierzulande aus - ähnlich wie das in Großbritannien bereits geschieht? Das ist bislang kaum vorherzusagen.
Weitere Lockerungen geplant
In mehreren Bundesländern sind weitere Lockerungen vorgesehen, sobald die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region über mehrere Tage hinweg unter 50 liegt. In den Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern entfällt beispielsweise bei einem stabilen Wert von unter 50 bei Sportveranstaltungen, in Theatervorstellungen, Freibädern oder Fitnessstudios die Pflicht zur Vorlage eines negativen Corona-Tests. Nach den Pfingstferien Anfang Juni kommt es bei einer Inzidenz unter 50 auch in den bayerischen Schulen zu weiteren Lockerungen.
Auch in den Schulen in Mecklenburg-Vorpommern ist in Regionen mit einem solchen Inzidenzwert mehr möglich. In hessischen Landkreisen gilt bei einem Wert unter 50 die zweite Öffnungsstufe des Landes: Dann können sich wieder mehr Menschen im privaten Kreis treffen. Cafés und Restaurants dürfen Gäste - unter Auflagen - auch drinnen empfangen, und Schüler aller Jahrgangsstufen können zum Unterricht zurück in die Klassenräume, allerdings mit Corona-Tests.
Trotz der guten Entwicklung gilt es aber weiter auf der Hut zu sein. "Ich glaube schon, dass es noch eine Welle geben kann. Aber sie mag kleiner ausfallen. Und das Gesundheitssystem würde deutlich weniger belastet sein als in der dritten Welle", sagte Thorsten Lehr, ein Saarbrücker Experte für Corona-Prognosen. Ob und wie stark die Zahlen nochmal hochgehen könnten, hinge von mehreren Faktoren ab. Zum einen von den Lockerungen: "Da ist die Frage: Haben wir ganz schnell wieder ganz viele Kontakte?" Punkt zwei: Der Reiseverkehr werde auch zu weiteren Fallzahlen führen. "Was passiert, wenn alle zurückkommen und natürlich auch Infektionen mitbringen?" Man dürfe nicht vergessen, dass die nicht-geimpfte Bevölkerung "ein großer Infektionspool" sei.
Impfanreiz könnte nachlassen
Und dann gebe es noch "eine gewisse Gefahr", dass im Herbst die Impfbereitschaft sinke. Im Moment übersteige die Impfbereitschaft das Impfangebot noch bei weitem. "Das wird sich aber irgendwann drehen", sagte Lehr. Wenn die Inzidenz so weit absinke, werde die Gefahr einer möglichen Infektion nicht mehr so stark wahrgenommen. Und wenn dann gleichzeitig auch für Nicht-Geimpfte die Normalität zurückkehre, gebe es weniger Gründe, sich impfen zu lassen. Zudem hätten die Menschen nach dem Sommer auch den Anreiz zum Impfen wegen des Urlaubs nicht mehr. Bislang haben mehr als 40 Prozent der Menschen in Deutschland eine erste Impfdosis erhalten.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wies darauf hin, dass Deutschland sein Impfziel in der Corona-Krise nur mit einer konsequenten Impfung von Kindern und Jugendlichen erreiche. "Unser Impfziel von 80 Prozent schaffen wir nicht, ohne auch die 12- bis 18-Jährigen zu impfen", sagte Lauterbach der "Bild am Sonntag". Bei den Jugendlichen sei eine Impfquote von 65 Prozent anzustreben.
"Dafür sollte auch in den Schulen geimpft werden, um es den Familien möglichst leicht zu machen", schlug der SPD-Politiker vor. Er warnte, Kinder und Jugendliche würden unter einer vierten Corona-Welle besonders leiden. Dem widersprach indirekt der Virologe Alexander Kekulé in einem Gastbeitrag für ntv.de. Darin fordert er, mit der Impfung von Kindern und Jugendlichen noch zu warten, bis mehr gesicherte Daten etwa über Langzeitnebenwirkungen vorlägen. Zudem sei das Erreichen einer Herdenimmunität bei dem hoch-ansteckenden und extrem variablen Erreger Sars-CoV-2 ohnehin illusorisch.
Aus Sicht von Lehr von der Universität des Saarlandes ist Deutschland insgesamt "auf einem sehr, sehr guten Weg": Die Inzidenzen, die Todeszahlen und die Patientenzahlen in den Krankenhäusern gingen zurück. "Wir sehen den Erfolg der Impfungen", sagte er. Vor allem bei den vulnerablen Gruppen, die dem Risiko ausgesetzt sind, schwer zu erkranken.
Quelle: ntv.de, can/dpa