Panorama

Prozessauftakt in Göttingen Arzt im Organspende-Skandal bestreitet alles

Die Verteidigung bezeichnet die Anklage als "juristisch fragwürdig" und beharrt auf eine zum Tatzeitpunkt andere Rechtslage.

Die Verteidigung bezeichnet die Anklage als "juristisch fragwürdig" und beharrt auf eine zum Tatzeitpunkt andere Rechtslage.

(Foto: dpa)

Um schneller an Spenderorgane für seine Patienten zu gelangen, soll ein Oberarzt der Uniklinik Göttingen jahrelang Akten manipuliert- und damit den Tod anderer Patienten in Kauf genommen haben. Jetzt steht der Mann vor Gericht und bestreitet die Vorwürfe.

Vor dem Landgericht Göttingen hat der erste Prozess um den Organspendeskandal begonnen. Die Staatsanwaltschaft in Niedersachsen wirft dem seit Januar in Untersuchungshaft sitzenden Transplantationsmediziner Aiman O. versuchten Totschlag in elf Fällen vor. Er soll manipulierte medizinische Daten an die zentrale Vergabestelle Eurotransplant gemeldet haben, um für seine eigenen Leberpatienten schneller Spenderorgane zu erhalten. Dadurch habe er billigend in Kauf genommen, dass andere Patienten, die lebensbedrohlicher erkrankt waren, kein Spenderorgan erhielten und möglicherweise starben.

Die 156 Seiten dicke Anklageschrift umfasst außerdem drei Fällen, in denen der damalige Oberarzt Lebern transplantiert haben soll, obwohl dies medizinisch nicht geboten war. In allen drei Fällen starben die Patienten. Sie seien vor dem Eingriff nicht hinreichend aufgeklärt worden, betont die Staatsanwaltschaft und wertet das Verhalten als Körperverletzung mit Todesfolge.

Gegen den 46-Jährigen laufen zudem weitere Ermittlungen in Bayern. Er soll an seiner früheren Arbeitsstätte am Uniklinikum Regensburg in den Jahren 2004 bis 2006 ebenfalls Patientendaten manipuliert haben, um lange Wartezeiten für ein Spenderorgan zu umgehen. Gegen vier weitere Mediziner des Göttinger Klinikums, die in die Machenschaften verwickelt gewesen sein sollen, dauern die Ermittlungen noch an.

Arzt als Lebensaufgabe

Gegen vier weitere Ärzte der Uniklinik Göttingen laufen ebenfalls Ermittlungen.

Gegen vier weitere Ärzte der Uniklinik Göttingen laufen ebenfalls Ermittlungen.

(Foto: dpa)

Zum Prozessauftakt hat Aiman O. jetzt in einer schriftlichen Erklärung der Verteidigung alle Vorwürfe gegen sich zurückgewiesen.

Bei der Verlesung der Anklage schüttelte er mehrfach den Kopf. "Ich war Tag und Nacht für die Patienten bereit", betonte er vor Gericht. Sein Beruf als Arzt sei eine Lebensaufgabe für ihn gewesen. Selbst von Kongressen aus, etwa in China, sei er immer erreichbar gewesen. Auch wies er Spekulationen zurück, nach denen er die Zahl der Transplantationen steigern wollte, um Bonuszahlungen zu erhalten. Einen entsprechenden Vertrag habe ihm die Göttinger Klinikleitung aufgedrängt, als er 2008 dorthin kam. Danach erhielt der Mediziner ab einer gewissen Anzahl von Organverpflanzungen einen Bonus von 1500 Euro pro Patient.

Es sei ihm aber stets nur um das Wohl seiner Patienten gegangen, versichert der Arzt. Finanzielle Anreize für Transplantationsmediziner halte er für ethisch und moralisch schwer vertretbar.

Anklage ohne konkrete Opfer erweist sich als Problem

Die Staatsanwältin forderte derweilen, dass dem Angeklagten die Ausübung seines Berufes verboten werden müsse. Die Verteidigung bezeichnete die Vorwürfe als absurd. Selbst wenn wahrheitswidrige Angaben bei Eurotransplant gemacht worden wären, sei dies kein Fall für den Strafrichter, weil es eine entsprechende Strafvorschrift zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht gegeben habe. Auch sei weder jemand zu Schaden gekommen, noch könne die Staatsanwaltschaft ein nachvollziehbares Motiv nennen, erklärten die Verteidiger.

Organspendeorganisationen versuchen das Vertrauen der Menschen in das System wieder herzustellen.

Organspendeorganisationen versuchen das Vertrauen der Menschen in das System wieder herzustellen.

(Foto: dpa)

Mit dieser Problematik haben die Göttinger Richter jetzt viel Stoff zu bewältigen.  Neben den 35 Umzugskartons umfassenden Prozessakten, dürfte der Fall  auch rechtlich kompliziert sein. Das Gericht betritt nämlich nach Ansicht von Experten juristisches Neuland.  Es handelt sich um das bundesweit erste Verfahren, in dem einem Arzt nach Manipulation von Patientendaten ein Tötungsdelikt vorgeworfen wird. Es sei ein großes Problem, dass die Staatsanwaltschaft dem Arzt zwar versuchten Totschlag vorwerfe, aber nicht eindeutig benennen könne, wer die Opfer sind, sagt der auf Strafrecht in der Medizin spezialisierte Juraprofessor Gunnar Duttge von der Uni Göttingen. Auch Verteidiger Steffen Stern hatte den Vorwurf des versuchten Totschlags kurz nach der Festnahme des Arztes im Januar als "juristisch fragwürdig" bezeichnet.

Das Landgericht hat für den Prozess zunächst 42 Verhandlungstage bis Mai 2014 angesetzt. Dazu lud die Kammer vorerst 30 Zeugen und sechs medizinische Sachverständige vor. Auch das öffentliche Interesse an dem Verfahren ist groß. Alle 30 Sitzplätze für Journalisten sind bereits seit Wochen ausgebucht.

Transplantationspatienten leiden unter sinkenden Spenderzahlen

Der Göttinger Transplantations-Skandal hat das Vertrauen in die Organspende in Deutschland erschüttert. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den leitenden Oberarzt der niedersächsischen Universitätsklinik hat die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende stark nachgelassen. Die Zahl der Spender sank um fast 20 Prozent. Im ersten Halbjahr 2012 gab es bundesweit 562 Spender, im ersten Halbjahr 2013 nur noch 459.

Die Anwälte des angeklagten Arztes machen dafür die Staatsanwaltschaft verantwortlich. Die Behörde habe ein Zerrbild des Arztes gezeichnet und ihn fälschlich als Verbrecher und "verantwortungslosen Halunken" dargestellt, der sich die Taschen vollstopfe. Dabei habe der Mediziner in keinem Fall finanziell partizipiert.

Leidtragende des Rückgangs sind rund 11.000 Patienten, die bundesweit auf ein Organ hoffen. "Viele sterben, bevor sie ein Spenderorgan bekommen können", sagt Birgit Blome von der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Es scheint, als sei durch die Ermittlungen eine Lawine ins Rollen gekommen: Wie bekannt wurde, sollen neben Göttingen und Regensburg auch in München und Leipzig ansässige Transplantationszentren Patientendaten manipuliert haben. Politik und Ärzteschaft beschlossen daraufhin ein Reformpaket mit schärferen Kontrollen.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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