"Arbeitskräfte gleich behandeln" Brüssel nimmt Fleischindustrie ins Visier
25.06.2020, 17:45 Uhr
Deutsche Arbeiter verdienen mehrere Hundert Euro mehr im Monat als Werkvertragsbeschäftigte.
(Foto: dpa)
Weniger Lohn und längere Arbeitszeiten: In Fleischfabriken arbeiten ausländische Beschäftigte zu miesen Konditionen. Mit solchen Missständen will die EU-Kommission in Brüssel Schluss machen. Sollte die Fleischindustrie ihre Saisonarbeiter nicht gleichberechtigt behandeln, drohen Strafen.
Durch den Corona-Ausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück kommen die ungleichen Arbeitsbedingungen in den Fleischfabriken ans Tageslicht. Ausländische Saisonarbeiter verdienen weniger, arbeiten länger und müssen für Unterkunft und Transport zahlen. Die EU-Kommission will künftig gegen solche Missstände vorgehen. "Saisonarbeiter müssen gleichberechtigt zu allen anderen Arbeitskräften behandelt werden", sagte EU-Arbeits- und Sozialkommissar Nicolas Schmit dem "Spiegel".
"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort", forderte Schmit, der nicht ausschloss, bei Verstößen Vertragsverletzungsverfahren gegen die betreffenden Länder zu eröffnen. Gleichsam wies er auf das entscheidende Problem hin: Die betroffenen Arbeiter fallen meist nicht unter die EU-Entsenderichtlinie, sondern sind bei inländischen Subunternehmen angestellt.
Gegen diese "fragwürdige Vorgehensweise" werde die EU-Kommission demnächst Leitlinien veröffentlichen. Schmit brachte ebenfalls eine mögliche Richtlinie ins Spiel, um dagegen vorzugehen. Die Mitgliedsländer müssten diese dann in nationales Recht umsetzen. Die Bundesregierung will Werkverträge in Fleischfabriken verbieten. Demnach sollen nur noch Mitarbeiter des eigenen Betriebes Tiere schlachten und das Fleisch verarbeiten.
Nicht nur im Fall Tönnies zerlegen die Werkvertragsbeschäftigten Fleisch zu miesen Konditionen. Das mittlere Einkommen bei den deutschen Kollegen lag der Bundesagentur für Arbeit zufolge Ende 2018 bei gut 2300 Euro brutto im Monat, bei den rumänischen Beschäftigten bei 1800, bei den Bulgaren bei 1700 und bei Polen und Ungarn bei 1900 und knapp 2000 Euro.
Von osteuropäischen Arbeitskräften abhängig
Auch die Arbeits- und Wohnbedingungen der aus häufig Osteuropa stammenden Beschäftigten sind durch den Tönnies-Skandal ins Rampenlicht gerückt. Viele teilen sich zu dritt ein Minizimmer, 320 Euro werden für ein Bett und 100 Euro für die Fahrten ins Werk vom Monatslohn einbehalten. Der Reichtum von Konzernen wie Tönnies beruhe "auf maximaler Ausbeutung", sagt Volker Brüggenjürgen, Caritas-Vorstand im Kreis Gütersloh. "Das System der Werkverträge bringt Elend über die Menschen."
Dabei ist die deutsche Fleischindustrie stark von osteuropäischen Arbeitskräften abhängig. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit haben in der Schlachtung und Fleischverarbeitung Ende September 2019 etwa 22.400 Rumänen, 8300 Polen, 3300 Ungarn und 2500 Bulgaren gearbeitet. Darauf kommen 84.500 deutsche Vollzeitbeschäftigte.
Quelle: ntv.de, mba/dpa