Warum Papst Franziskus nicht zu beneiden ist Der schwerste Job der Welt
14.03.2013, 14:51 Uhr
266. Papst und neues Oberhaupt der Katholiken: Jorge Mario Bergoglio alias Franziskus in einem Geschäft in Neapel.
(Foto: dpa)
Von einem Tag auf den anderen wird Jorge Mario Bergoglio zum Hoffnungsträger von 1,2 Milliarden Katholiken. Es gibt maximale Erwartungen. Doch der eigentliche Spielraum für Papst Franziskus ist wesentlich kleiner, als man auf den ersten Blick glauben könnte. Ein großer Papst kann er trotzdem werden.
Einen Vorgeschmack lieferte Papst Franziskus schon am Abend seiner Wahl. Statt mit der Limousine fuhr er mit den anderen Kardinälen im Bus zurück ins Gästehaus Santa Marta. Ein Bild mit großer Symbolkraft. Weniger überraschend dürfte die Wahl des Verkehrsmittels für die "porteños" gewesen sein. Die Menschen aus Buenos Aires kannten es bis zuletzt gar nicht anders, als dass ihr Erzbischof neben ihnen in Bus oder U-Bahn saß. In dunklem Mantel und ohne Kardinalshut fuhr der Mann mit der großen Brille zur Arbeit in die Kathedrale seiner Geburtsstadt. "Kardinal der Armen", so nannten sie hier den gelernten Chemie-Techniker. Denn er suchte gern die Konfrontation mit der argentinischen Politik, mit Néstor und Cristina Kirchner, kritisierte Armut und Korruption.
Seine Namenswahl war schließlich nur logisch: Franziskus. Als Namensgeber fungiert Franz von Assisi. Ausgerechnet. Er, der Ende des 12. Jahrhunderts als Sohn eines reichen Tuchhändlers geboren wurde, Ritter war und auf Gottes Zuruf hin seiner wahren Berufung folgte. Franz von Assisi tauschte mit einem Bettler die Kleider, wurde Einsiedler und scharte Anhänger um sich, die wie er in radikaler Armut lebten und sich um Arme und Kranke kümmerten, nach dem Vorbild der Jünger Jesu.
Bei Papst Franziskus kommt also vieles zusammen: Der Name, die Symbolik, die Herkunft - er ist der erste nicht-europäische Papst der Neuzeit. Die Erwartungen an den neuen Papst werden dadurch nicht geringer, ganz im Gegenteil. Auf den 266. Pontifex wartet viel Arbeit. Auf ruhige Jahre im Vatikan kann er sich nicht freuen. Benedikts Pontifikat war eines der tiefen Krisen, eines von Kritikern beklagten Reformstaus und der bürokratischen Pannen in Rom. Dazu kommt das nachwirkende Beben des Missbrauchsskandals und das weiterhin ungeklärte Verhältnis zu den abtrünnigen erzkonservativen Pius-Brüdern. Die Weltkirche schleppt seit Jahren viele Probleme mit sich herum. Herausforderungen, die Benedikt XVI. nicht zu bewältigen vermochte und die jetzt auf Franziskus lasten.
Verhärtete Fronten
Die katholische Kirche leidet nicht nur unter drastischem Mitgliederschwund. In einigen Ländern herrscht akuter Priestermangel. Dass sich immer weniger junge Männer für das Priesteramt entscheiden, stellt die Kirche schon jetzt vor große Existenzprobleme. Damit eng verbunden ist die Diskussion um den Zölibat. Unter Papst Benedikt XVI. blieb eine Reform aus. Doch wie lange kann die katholische Kirche ihr Dogma noch aufrechterhalten? In Deutschland sind 90 Prozent der Menschen für eine Abschaffung des Zölibats. Ähnlich populär ist die Forderung nach einer Öffnung der Kirche für Frauen. Benedikt bekräftigte erst im vergangenen Jahr das Nein zu beiden Themen. Jesus habe sich bewusst nur mit Männern als Aposteln umgeben, so argumentiert der Vatikan.
Es gibt so viele Stellschrauben: Der Forderungskatalog an den neuen Papst impliziert im ersten Moment einen immensen Handlungsspielraum. Aber Papst zu sein gilt nicht umsonst als "schwerster Job der Welt". Bei allem muss er stets zwischen den verschiedenen Ausprägungen der katholischen Kirche abwägen. Dabei verdeutlicht schon ein Blick auf Bergoglios Heimat das Dilemma der Weltkirche. In Lateinamerika, wo über 40 Prozent der weltweit 1,2 Milliarden Katholiken leben, sind die Fronten zwischen den beiden großen Strömungen, Befreiungstheologen und Konservativen, völlig verhärtet. Zwischen diesen lateinamerikanischen Konfliktlinien bewegt sich Bergoglio zwar seit Jahrzehnten.
Doch auf dem Heiligen Stuhl wird es bedeutend schwerer: Weltweit warten nun weitere von Spannungen und Widerständen geprägte Pole der katholischen Welt. So muss der Argentinier künftig auch europäische Anliegen berücksichtigen: Fortschritte in der Ökumene, Lockerung der Sexualmoral, die stärkere Rolle der Frauen in der Kirche und die Zölibatsfrage. Von überall werden sie an ihm zerren. Bei jedem Schritt in eine neue liberale Richtung droht von der anderen Seite ein Aufschrei. Ein Papst soll die Interessen der Gläubigen aller Kontinente im Auge behalten. Aber über allem steht die Einheit der Kirche. Bergoglio droht die Zerreißprobe. Bleibt da am Ende überhaupt noch Spielraum für Reformen?
Ist der Vatikan bereit für die PR-Offensive?
Es wird erwartet, dass der Argentinier die Kirche mit harter Hand und einem starken sozialen Profil führen wird. Doch so politisch modern Bergoglio in der Vergangenheit oft auftrat - gerade in der Familienpolitik vertritt er eindeutig konservative Positionen. Vor drei Jahren griff er die argentinische Regierung wegen der Legalisierung der Homo-Ehe an. "Wir dürfen nicht naiv sein. Das ist kein einfacher politischer Kampf, das ist der Versuch, Gottes Plan zu zerstören", formulierte er scharf. Klingt so jemand, der die Reformen in der Kirche durchführt, die sich über Jahrzehnte angestaut haben, jemand, der den schweren Schritt in die Moderne vollzieht?
Tatsächlich hatten viele Katholiken auf einen jüngeren Papst gehofft. Einen der die Weltkirche öffnet und zukunftsfähig macht. Benedikt galt als Übergangspapst. Schließlich begründete er seinen Rücktritt auch mit seinem fortgeschrittenen Alter. Viele vermuteten auch gesundheitliche Gründe. Bergoglio ist in dieser Hinsicht keineswegs ein Gegenentwurf zu seinem Vorgänger. Der Argentinier ist schon 76 Jahre alt und damit nur zwei Jahre jünger als Ratzinger zum Zeitpunkt seines Amtsantritts. Im Vorfeld des Konklaves galt er auch wegen seiner angeblichen gebrechlichen Gesundheit als Außenseiter. Seit seinem 21. Lebensjahr lebt er mit nur einem Lungenflügel. Franziskus wird deutlich weniger Zeit haben als ein Papst wie Johannes Paul II., der schon mit 58 ins Amt kam.
Welche Erwartungen an den neuen Papst sind also überhaupt realistisch? Vielleicht ist es gerade der Bezug auf Franz von Assisi, der nicht nur große Bürde, sondern auch Chance ist für eine PR-Offensive mitten heraus aus dem Herzen der katholischen Welt. Nimmt Franziskus Abstand von dem für viele Menschen verschlossenen, abgehobenen und monarchistisch anmutenden Vatikanstaat, reagiert er entschiedener auf die offenkundigen Skandale wie die Missbrauchsfälle, dann könnte er einen neuen Weg einleiten. Hin zu einer neuer moderneren Kirche, die mit einfacheren und transparenteren Strukturen glaubwürdiger und weniger fremd erscheint. Franziskus hat die große Chance, einen neuen Stil zu prägen und das ramponierte Image des Heiligen Stuhls auf eine andere Ebene zu hieven. Er muss sie nur nutzen.
Quelle: ntv.de