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Debatte um Prostitution Deutschland der "Puff Europas" - stimmt das?

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Offiziell arbeiten etwa 32.200 Menschen als Prostituierte in Deutschland - die Dunkelziffer dürfte weit höher sein.

Offiziell arbeiten etwa 32.200 Menschen als Prostituierte in Deutschland - die Dunkelziffer dürfte weit höher sein.

(Foto: picture alliance/dpa)

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nennt Deutschland den "Puff Europas" und spricht sich für strengere Gesetze gegen Prostitution aus, um insbesondere Frauen besser zu schützen. In einem Sexkaufverbot nach dem "Nordischen Modell" aus Schweden sieht sie ein geeignetes Konzept. Was ist das genau? Und warum hat Deutschland womöglich diesen Ruf? Ein Überblick.

Ist Prostitution in Deutschland legal?

Ja, Prostitution ist seit 2002 in Deutschland legal, sofern sie freiwillig und angemeldet erfolgt, anders als in vielen Ländern. Sie ist damit offiziell eine Dienstleistung. Das Ziel war, Prostituierte aus der Illegalität zu holen, besser vor Ausbeutung zu schützen und ihnen Zugang zu einer Krankenversicherung zu ermöglichen. Mit Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) im Jahr 2017 wurden die Regeln nochmal verschärft. Seitdem gibt es eine Kondompflicht und eine jährliche Gesundheitsberatung.

Ist Deutschland wirklich der "Puff Europas"?

Das sagt zumindest Julia Klöckner. Mit dieser Aussage hat die Bundestagspräsidentin erneut eine Debatte um Prostitution in Deutschland ausgelöst. Medienberichte über Deutschland als "Bordell Europas" gibt es jedoch bereits seit mehr als zehn Jahren. Kritiker sprechen von einem "Boom der Sexarbeit" und einer "Sogwirkung" infolge der Legalisierung. Häufig bezieht sich die Bezeichnung "Puff Europas" auch auf den Sextourismus. Durch die liberale Gesetzgebung zieht Deutschland tatsächlich Sextouristen aus dem Ausland an, vor allem in den Grenzregionen. Genaue Zahlen dazu gibt es jedoch nicht.

Wie viele Menschen arbeiten in Deutschland in der Prostitution?

32.200 Menschen arbeiteten im vergangenen Jahr laut dem Statistischen Bundesamt als Sexarbeiterinnen oder Sexarbeiter. Die Zahl ist jedoch nur bedingt aussagekräftig: Schätzungen zufolge sind weitaus mehr Menschen - und überwiegend Frauen - illegal tätig. Dazu kursieren Angaben von Verbänden und Hochrechnungen zwischen 200.000 und mehr als 800.000 Frauen. Fachleute gehen von einem Verhältnis von eins zu drei aus, also auf eine registrierte Prostituierte kommen drei nicht-registrierte Prostituierte. Demzufolge wären es rund 90.000 Prostituierte in Deutschland.

Woher kommen die meisten Prostituierten?

Nur etwa ein Fünftel der angemeldeten Prostituierten stammt laut Statistik aus Deutschland (17 Prozent). Die meisten Sexarbeiterinnen kommen aus dem EU-Ausland, etwa aus Rumänien (36 Prozent), Bulgarien (11 Prozent) und Spanien (8 Prozent).

Warum gibt es Kritik an der Legalisierung der Prostitution?

Wer ist freiwillig hier und wer nicht? Die Anmeldepflicht für Prostituierte soll es der Polizei erleichtern - in der Praxis ist die Lage häufig schwierig.

Wer ist freiwillig hier und wer nicht? Die Anmeldepflicht für Prostituierte soll es der Polizei erleichtern - in der Praxis ist die Lage häufig schwierig.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wo hört sexuelle Selbstbestimmung auf und wo fangen Zwang und Ausbeutung an? Diese Grenze lässt sich nicht immer klar ziehen. Zudem schränkt die Rechtslage Kritikern zufolge die Polizei bei ihrem Vorgehen gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution ein. Eine Legalisierung führe außerdem zu mehr Menschenhandel. Auch kritisieren Vereine wie "Karo", der sich für ein Sexkaufverbot einsetzt, dass das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) zur Folge habe, dass Prostitution verharmlost und romantisiert wird. Auf dem Hamburger Kiez, einem Hotspot für Sex-Tourismus in Deutschland, werden zum Beispiel "Sex and Crime"-Führungen für Touristen angeboten.

Hat der Menschenhandel in Deutschland zugenommen?

Ein Blick in die Statistik des Bundeskriminalamts sagt: Ja, zumindest befindet sich die Zahl der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren mit 576 Fällen laut BKA auf einem historischen Höchststand. Das "Lagebild 2024" verzeichnet einen Anstieg um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das sind so viele wie noch nie seit Beginn der Erfassung im Jahr 2000. Bei mehr als jedem zweiten Fall ging es um sexuelle Ausbeutung. 96 Prozent der Opfer waren Frauen, jedes zehnte Opfer unter 17 Jahre alt. Nicht mal jedes zehnte Opfer war als Prostituierte registriert.

Machen die Frauen das freiwillig?

Es gibt die freiwillige Prostitution häufig in Form von Edel-Prostitution oder Escortservices. Diese Frauen stammen jedoch zumeist aus einem privilegierten Umfeld und machen nur einen Bruchteil aus. Ganz überwiegend arbeiten Frauen in der Armuts- und Beschaffungsprostitution. Ob sie von einer anderen Person dazu gezwungen werden, lässt sich oft nur schwer feststellen. Auch emotionaler Druck durch die "Loverboy-Masche", bei der ein Mann einer Frau eine Beziehung vorspielt, um sie dann zur Prostitution zu zwingen, ist ein weiteres Phänomen. Die Frauen in der Sexarbeit sind Untersuchungen zufolge häufig in finanzieller Not, haben kein gutes soziales Netzwerk, sehen keine andere Perspektive oder wollen sich schnell Geld beschaffen, um beispielsweise ihre Drogensucht zu finanzieren. Wenn Edel-Prostituierte oder Dominas in Talkshows oder Dokus zu Wort kommen, kann das zu einer verzerrten Wahrnehmung führen. Diese kleine Gruppe ist medial überrepräsentiert.

Wo gilt ein Sexkaufverbot?

In Schweden gilt seit Ende der 1990er ein Sexkaufverbot. Andere Länder haben das auch Nordische Modell genannte Prinzip übernommen. Zunächst Norwegen und Island (2009), später dann Irland, Nordirland, Frankreich, Kanada und zuletzt Israel im Jahr 2020.

Was genau ist das Nordische Modell?

Schweden hat hier eine Vorreiterrolle eingenommen. Das erklärte Ziel ist es, Prostitution komplett zu beenden. Es gibt drei große Säulen: Zum einen werden Prostituierte - ganz überwiegend Frauen - entkriminalisiert, also nicht bestraft. Freier und Bordellbetreiber werden hingegen bestraft. Zudem werden Prostituierten Ausstiegsperspektiven angeboten, um ihnen den Weg zurück in eine normale Beschäftigung zu ermöglichen.

Was spricht für ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell?

Die Kriminalisierung verschiebt sich weg von den Frauen, hin zu denen, die sexuelle Dienste in Anspruch nehmen, und denen, die daran das meiste Geld verdienen: Freier und Bordellbetreiber. Das führt laut Befürwortern zu einem gesellschaftlichen Umdenken und mehr Gleichberechtigung. Die Prostitution werde so zurückgedrängt und Menschenhandel erschwert. Die Straßenprostitution ist nach Angaben der Nationalen Koordinierungsstelle gegen Prostitution und Menschenhandel in Schweden stark zurückgegangen. Doch sie könnte sich - auch aufgrund der Digitalisierung - lediglich in andere Bereiche verlagert haben. In dem skandinavischen Land fallen etwa seit dem Sommer auch Livestreams bei Plattformen wie "OnlyFans", in denen sexuelle Handlungen vorgenommen werden, unter "digitale Prostitution". Es gibt jedoch Schlupflöcher. Das neue Gesetz gilt nicht für aufgezeichnete Aufnahmen wie Pornografie.

Was spricht gegen das Nordische Modell?

Kritikern zufolge treibt das Sexkaufverbot Prostituierte in die Illegalität, wodurch das Risiko für Gewalt und Krankheiten steigt. Demnach soll Prostitution grundsätzlich legal sein, bei einem zugleich gezielteren Vorgehen gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel. Zudem sehen Befürworter einer Legalisierung von Sexarbeit das Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt. In Frankreich zogen Prostituiertenverbände gegen ein Sexkaufverbot vor Gericht und 2024 schließlich bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Der sah jedoch keine Verletzung der Grundrechte und wies die Klage gegen das in Frankreich seit 2016 bestehende Sexkaufverbot ab.

Gibt es Bestrebungen, das Gesetz in Deutschland zu ändern?

Ja, Bundesgesundheitsministerin Nina Warken spricht sich etwa für ein Sexkaufverbot nach Nordischem Modell in Deutschland aus. "Deutschland braucht wie andere Länder auch ein strafbewehrtes Sexkaufverbot für Freier", sagte sie im Zuge der jüngsten Debatte der "Rheinischen Post". "Prostituierte sollen straffrei bleiben und umfassende Ausstiegshilfen erhalten." Zudem hatte Bundesfrauenministerin Karin Prien von der CDU bereits im Sommer angekündigt, eine unabhängige Expertenkommission einsetzen zu wollen, die sich mit dem bestehenden Prostituiertenschutzgesetz befassen und Vorschläge zur Überarbeitung machen soll. Ein Evaluationsbericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen hatte zuvor dem Gesetz zwar zum einen Erfolge, aber auch Schwächen attestiert. Aus Sicht von Kritikern bildet der Bericht nicht die Realität ab, sondern lediglich das Hellfeld der angemeldeten Prostituierten.

Wären einheitliche Regeln in der EU nicht besser?

Das fordert das EU-Parlament für alle 27 Mitgliedsstaaten. Und zwar in Form eines Sexkaufverbots, das Freier bestraft und Prostituierte entkriminalisiert. So geht es aus einer 2023 verabschiedeten Resolution hervor. Darin heißt es, dass rund 70 Prozent der Prostituierten in der Europäischen Union Migrantinnen aus besonders prekären Verhältnissen seien. "Diese Menschen befinden sich nicht aus freiem Willen in der Prostitution, sondern aus purer Perspektiv- und Alternativlosigkeit", erklärte die zuständige Abgeordnete Maria Noichl von der SPD nach der Abstimmung im Parlament. Die verschiedenen Rechtslagen in den EU-Staaten führten laut der Resolution zu mehr Opfern von Menschenhandel und bildeten einen Boden für Organisierte Kriminalität.

Quelle: ntv.de

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