Ein Sprengmeister berichtet "Die letzte Bombe wird nie gefunden"
03.04.2013, 15:26 Uhr
Mitunter ist eine kontrollierte Sprengung die sicherste Methode, um einen Blindgänger zu entschärfen.
(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)
Bei der jüngsten Bombenentschärfung in Berlin blieb die befürchtete Explosion aus. Ruhe kehrt damit aber nur vorübergehend ein. Davon zeigt sich Horst Lenz überzeugt. Im Interview mit n-tv.de spricht der technische Leiter des Kampfmittelräumdienstes Rheinland-Pfalz über die Tücken der Suchtechnik und erklärt, warum Blindgänger die Deutschen auch in 1000 Jahren noch überraschen werden.
n-tv.de: 2010 tötete ein Blindgänger drei Sprengmeister in Göttingen. 2011 verlor der bekannteste Entschärfer Brandenburgs im Einsatz eine Hand. Ist der Beruf des Sprengmeisters so gefährlich, wie er mitunter auf Außenstehende wirkt?
Horst Lenz: Gemessen an der Anzahl der Bombenentschärfungen ist der Anteil der Einsätze, bei denen etwas passiert, verschwindend gering. Aber aufgrund der exotischen Umstände – es ist ja exotisch, sich 2013 mit Munition aus dem zweiten Weltkrieg zu befassen – sind natürlich Gefahrenmomente vorhanden. Man kann nicht alles bis ins letzte Detail vorhersehen. Der Beruf des Sprengmeisters ist gefährlich. Das liegt in der Materie.
Wie gehen Sie mit der Angst vor einem Einsatz um?

Horst Lenz: "Sie müssen sich das so vorstellen: In einem Haufen von Stecknadeln suchen Sie eine bestimmte Art von Stecknadel."
(Foto: picture alliance / dpa)
Ich persönlich blende die Gefahr völlig aus. Ich sehe das als eine normale Tätigkeit an.
Ist das eine Ausbildungsfrage?
Ausbilden kann man das nicht. Das ist ja eine psychische Qualität. Ich kann nur von meinen Erfahrungen berichten, aber ich bin der Meinung, dass Leute, die diesen Beruf wählen, diese Qualität mitbringen.
In Berlin haben sich Kollegen von Ihnen vor wenigen Stunden daran gemacht, am Hauptbahnhof eine 100 Kilo schwere Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen. Es lief glimpflich ab. Gibt es da eine Routine?
In den meisten Fällen wird das Zündsystem aus dem Munitionskörper herausgeschraubt (so auch in Berlin, Anm. d. Red.). Es geht um die Trennung der gefährlichen Komponenten von den auslösenden Teilen. In unserer Region wird so in 90 Prozent der Fälle gearbeitet. Es gibt aber auch Zündsysteme mit Fallen. Die sind so so ausgelegt, dass man sie auslöst, wenn man den gewöhnlichen Weg über das Gewinde geht. Während der Kriegszeit war das ein enormes Problem. Da sind die Leute in diese Fallen hineingelaufen. Aber heute ist das alles bekannt. Vom äußeren Anschein her weiß man schon direkt, mit welchem Zündsystem man es zu tun hat.
Wie viele verschiedene Zündertypen gibt es denn?
Ich hab sie nie gezählt, es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Konstruktionen, die sich zum Teil stark, zum Teil kaum unterscheiden in ihrer Wirkungsweise. Sie haben aber immer ein anderes Aussehen. Es dürfte so um die 120 verschiedene Zündertypen der Alliierten geben. In Ostdeutschland und rund um Berlin kommen noch russische hinzu.
Obwohl all diese Zündertypen bekannt sind, kommt es trotzdem mitunter zu Unfällen. Deswegen ist die Besorgnis, wenn wieder ein Fall wie der in Berlin an die Öffentlichkeit dringt, wohl auch so groß.
Es gibt Bomben, die nach dem Zelluloid-Aceton-Prinzip arbeiten - und darin liegt die große Unwegbarkeit. Es ist nicht die versehentliche Auslösung dieser Fallen, die zur Katastrophe führen, sondern, dass zum Zeitpunkt der Entschärfung die Bombe von selbst auslöst. Die Zünder sind sehr labil nach der langen Zeit. Hinzu kommt, dass durch die Einwirkungen der Umwelt chemische Veränderungen an den Zündern eintreten können, die die einzelnen Komponenten zudem sensibler machen als vorgesehen. Die Kollegen, die in Göttingen starben, waren vermutlich einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.
Auch aus diesem Grund entscheiden sich Sprengmeister mitunter für eine kontrollierte Sprengung.
Ja, bei einigen Systemen ist die Entscheidung vernünftiger, wenn man die Bomben in die Luft jagt. Und dabei denke ich eben vor allem an die Zündsysteme der Zelluloid-Aceton-Technik.
Im vergangenen Jahr zündete ein Sprengmeister im Münchener Stadtteil Schwabing einen 250-Kilo-Weltkriegsblindgänger kontrolliert. In Wohnungen rund um den Fundort kam es zu Brandschäden, Scheiben zerbarsten. Wie bezieht man diese Komponente in seine Entscheidung für oder gegen eine Sprengung ein?
Natürlich kann auch eine kontrollierte Sprengung zu Schäden führen. Aber man muss immer vor Augen haben: Das erste zu schützende Gut ist das Menschenleben. Auch das eigene. Unter Beachtung dieser Prämisse sollte man sich überlegen, ob auch größere Schäden legitim sind.
Schätzungen zufolge liegen noch 250.000 Blindgänger im Boden. Wie oft werden sich Fälle wie die kontrollierte Sprengung in Schwabing oder der jüngste Einsatz in Berlin, der zu erheblichen Verkehrsbehinderungen führte, noch wiederholen?
Ich halte es für vergebene Liebesmühe, sich über so etwas Gedanken zu machen. Diese Schätzungen haben keinen Anspruch auf Nachvollziehbarkeit. Und davon abgesehen: Die letzte Bombe wird sowieso niemals gefunden.
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie die Kollegen von der Landesarchäologie. Die finden auch heute noch Waffen aus römischer Zeit, aus einer Periode, die inzwischen 2000 Jahre zurückliegt. Man muss nur vergleichen, wie viele Bomben im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kamen und wie viele Schwerter zu Römerzeiten. Daraus kann man sich schnell ableiten, dass auch in 1000 Jahren noch Bomben in Deutschland gefunden werden.
Zwischen römischen Schwertern und Bomben gibt es aber einen Unterschied: Von den Schwertern geht keine Gefahr aus.
Richtig.
Es gibt Stimmen, die sagen, man müsste darum systematisch nach den Bomben suchen – zum Beispiel in der besonders heftig bombardierten Region rund um Oranienburg in Brandenburg.
Das ist schwer zu beurteilen. Selbst wenn man mit sehr, sehr hohem materiellem Aufwand danach suchen geht, zeigt sich immer, dass trotzdem noch Bomben im Boden bleiben. Die Hersteller entsprechender Geräte hören das nicht gern, aber so ist es. Die vorhandene Technik ist überhaupt nicht in der Lage, alle Blindgänger zu finden.
Wo liegen die technischen Grenzen?
Sie müssen sich das so vorstellen: In einem Haufen von Stecknadeln suchen Sie eine bestimmte Art von Stecknadel. Alles beruht auf den physikalischen Eigenschaften der Bombenkörper, die im Boden liegen. Also, entweder sie sind elektrisch leitfähig, man kann also Strom induzieren, der dann zurückgegeben wird, oder man kann Erdmagnetfeldveränderungen wahrnehmen. Aber man kann so nur feststellen, ob Metall im Boden ist. Um welche Art von Metall es sich handelt, bleibt zunächst unbekannt. Hinzu kommt, dass die verfügbaren Geräte aus teils noch unerklärlichen Gründen versagen. Theoretisch geht es, aber die Praxis zeigt, dass es nicht immer funktioniert. Alle Geräte haben ihre weißen Flecken. Eine systematische Suche bedeutet darum, dass man versucht, nach bestem Wissen und Gewissen Herr des Problems zu werden.
Auch deutlich mehr Geld für die Kampfmittelbeseitigung kann Überraschungen wie die am Berliner Hauptbahnhof also nicht verhindern?
In Deutschland wird im Vergleich zum europäischen Ausland verhältnismäßig viel gemacht. Aber das führt nicht unbedingt zum Erfolg, ist nicht unbedingt zielführend, weil in der vorhandenen Technik eben zu viele weiße Flecken zu verzeichnen sind. Es müsste ein Gerät geben, das es ermöglicht, einen Einblick in den Erdboden zu geben, eine Art Röntgentechnik. Es ist mir aber nicht bekannt, dass es so etwas gibt.
Mit Horst Lenz sprach Issio Ehrich
Quelle: ntv.de