Erklärvideos im Netz Dr. Johannes - der Arzt dem Surfer vertrauen
31.08.2016, 14:48 UhrEin Hamburger Arzt erklärt im Internet, was Hämorrhoiden sind, ob zu viele Pornofilme impotent machen, gibt Tipps gegen Überfressen zu Weihnachten und beschreibt, wie Medikamente wirken.
Es zwickt ein bisschen hier und da. Seit Tagen schon. Aber sich deshalb gleich in ein Wartezimmer setzen, in dem sich Schniefnasen, Dauerhusten und glühende Wangen dicht an dicht drängeln?
Weil sich die meisten Wehwehchen permanent wiederholen, kam einem Hamburger Klinikarzt die Idee, medizinische Probleme jenseits vom Fachkauderwelsch in kurzweiligen Videos zu erklären. Seitdem begeistert Dr. Johannes Wimmer die Internetgemeinde, auf Twitter folgen ihm Tausende. Seine Videoclips tragen so klickträchtige Titel wie "Die größten Rückenkiller", "Was sind Hämorrhoiden?, "Tipps gegen Überfressen an Weihnachten", "Der perfekte Stuhlgang" oder "Sex nach Hüft-OP".
Wimmer schafft es tatsächlich, auch pikante Themen irgendwie sympathisch zu verpacken. So sind Hämorrhoiden ein eher unangenehmes Thema, über das die meisten Menschen auch vor dem eigenen Arzt lieber nicht sprechen möchten. "70 Prozent der über Dreißigjährigen leiden darunter", beruhigt Wimmer zu Beginn und erklärt dann mit Hilfe seiner Hände, was sich da nun im Darm abspielt.
In einem anderen Video beleuchtet er aus dem Strandkorb heraus mithilfe von Muscheln und seinen zwei Dackeln, welche Wirkung Antibiotika auf Bakterien haben. Und auch anderen, spezielleren Fragen nähert er sich rein medizinisch: "Machen zu viele Pornofilme impotent?", "Soll ich meinem Arzt sagen, dass ich Drogen nehme?" oder "Ist Zucken beim Einschlafen normal?"
Alles wiederholt sich ständig
Ob im Studium, in der Hausarztpraxis oder am Krankenhausbett: Wimmer musste feststellen, wie oft sich Inhalte einfach immer wieder wiederholten. Wie oft er dem einen Patienten zu 90 Prozent dasselbe sagte wie dem nächsten. Manche Ärzte flüchten sich deshalb über kurz oder lang, auch weil die Krankenkassen das Reden und Zuhören kaum bezahlen, ins geschäftige Schweigen. Seine Videoclips, so glaubt Wimmer, können dieses Dilemma lösen. Denn sind sie erst einmal abgedreht, kosten sie ihn keine Sekunde mehr, lassen sich dafür aber unbegrenzt abrufen.
Vor dreieinhalb Jahren startete er seine Internetkarriere, damals noch unter dem Namen "Dr. Johannes". Mittlerweile ist Wimmer eine richtige Berühmtheit, sogar Dickschiffe wie der öffentlich-rechtliche NDR und die Techniker Krankenkasse wurden auf den smarten Arzt aufmerksam und verpflichteten ihn für ihre Sprechstundenformate .
"Medizin ist Kommunikation", daran glaubt Wimmer fest und hat sich am Hamburger Uniklinikum für eine Halbtagsstelle den klingenden Titel "Head of Digital Patient Communication" geben lassen. Schon bald wird er mit einem neuen Netzwerk namens "Doc Cast" an den Start gehen. Dafür hat Wimmer zwei Dutzend Ärzte aus unterschiedlichen Fachgebieten gewonnen, die nach seiner Anleitung Videos drehen.
Dr. Johannes Wimmer absolvierte seinen Zivildienst in einer Katholischen Gemeinde in Hamburg. Er studierte Medizin in Marburg, Lübeck und Wien, danach zog es ihn nach Südafrika, Australien, China und den USA, wo er unter anderem an der Harvard Medical School in Boston als Arzt praktizierte. Aktuelle Position: Head of Digital Patient Communication im CV Derm, Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf.
Zwei große gesellschaftliche Trends stecken hinter Wimmers Erfolg. Erstens sind Erklärvideos, sogenannte "Tutorials", das neue Zaubermittel, wenn Menschen im Internet nach Antworten auf die vielen Fragen des Alltags suchen. Und zweitens suchen drei von vier Menschen heute zuerst im Internet Rat, wenn sie ein Wehwehchen plagt. Die meisten Ärzte sind davon jedoch wenig begeistert. Nicht einmal jeder Zweite glaubt daran, dass die Popularität von "Dr. Google" das Verhältnis zwischen Patienten und leibhaftigen Ärzten verbessert. Der Satz "Im Internet habe ich gelesen… " wird von Ärzten gerne als Anzeichen des überlagerten, sprich emotional überforderten Patienten mit hochgradigem Nervpotenzial für den Arzt gesehen.
Wimmer aber warnt, diese Patienteneinleitung als "dümmliches Fehlverhalten" abzutun. Nach seiner Beobachtung sollten sich viele Ärzte umstellen: "Anstatt die Patienten dort abzuholen, wo die sogenannte Patientenreise beginnt, nämlich online, wird das Internet als vorübergehende Erscheinung ähnlich einer Grippewelle angesehen, die bald vergeht."
Fernbehandlung in Deutschland verboten
Während es in Deutschland ein Fernbehandlungsverbot gibt, sind Online-Praxen in Großbritannien längst Alltag. DrEd etwa zählt 10.000 Patienten pro Jahr. Die virtuelle Arztpraxis wendet sich an Selbstzahler und konzentriert sich vor allem auf Krankheiten, die mit einem hohen Schamfaktor verbunden sind. Wer geht schon gerne zum Arzt, weil es plötzlich im Schritt kribbelt, schmerzt oder brennt? Oder wegen Erektionsstörungen, vorzeitigem Samenerguss oder Genitalherpes? Die meisten Patienten hätten zudem die Warterei in vollen Wartezimmern satt, erklärte DrEd Gründer David Meinertz.
In Deutschland ist diese medizinische Hilfe allerdings umstritten, vor allem unter Medizinern. Einige von ihnen machen Stimmung gegen die Konkurrenz aus dem Internet. Erst vor kurzem sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery auf dem Deutschen Ärztetag, er wolle keine "Schmuddel-Rezepte" aus dem Netz.
Wimmer glaubt dennoch, dass sich auch in Deutschland die rechtliche Lage bald ändern und das Fernbehandlungsverbot über kurz oder lang fallen wird.
Quelle: ntv.de