Der Autor im krassen Selbsttest Gibt es guten Wein, der schmeckt, auch ohne Alkohol?


Man bekommt schon beim Anblick einen "Kopp".
(Foto: IMAGO/Panama Pictures)
Unser Autor ist dem Trend gefolgt und kommt zu einer Antwort: Nein! Den besseren Ersatz findet er in Säften und Tees. Der Beste kommt sogar von einem Winzer.
Die nüchternen Zahlen sprechen für sich. Nach dem Einbruch des Bierkonsums vor drei Jahrzehnten wird in Deutschland nun auch weniger Wein getrunken. Das meldet das Deutsche Weininstitut (DWI). Immer mehr Menschen wollen - aus unterschiedlichen Gründen - teils oder ganz auf Alkohol verzichten. Handel und Restaurants reagieren mit einem Angebot neuer Getränke. Alleine der Absatz sogenannter entalkoholisierter Weine ist 2023 um knapp 30 Prozent gestiegen. Aus dem Trend werde langsam Normalität, heißt es nicht nur aus dem DWI.
Die Nachfrage sei "gigantisch", sagt Lukas Kloskowski. Er ist Miteigentümer von "Viniculture" - dem "Berliner Weinhandel mit dem mutigsten Sortiment", wie der Weinjournalist Stuart Pigott einmal feststellte. "Low and no" sagt man im lifestyligen Jargon zur Gruppe der alkoholreduzierten und -freien Getränke. Bei Viniculture bilden sie ein kleines Angebot, aber sie haben ein eigenes, großes Regal. "Der Vorbesitzer unseres Geschäfts konnte irgendwann keinen Alkohol mehr trinken und machte sich auf die Suche nach der besten Alternative", erzählt Kloskowski.
Essig, Zucker und chemische Bitternoten
Wie mühsam und enttäuschend diese Suche sein kann, hat der Journalist über mehrere Wochen erlebt. Obwohl das Angebot entalkoholisierter Weine wächst, konnte er keinen finden, der ihm so gut schmeckte, dass er ihn freiwillig trinken würde. Insgesamt hat er 20 probiert, die ihm von unterschiedlichen Händlern empfohlen wurden: aus Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien. Während es selbstverständlich Unterschiede gibt und einige Kostproben - vor allem aus Spanien - durch eine gewisse Fruchtigkeit genießbar waren, dominieren Geschmacksnoten von Essig und Zuckerlösungen, untermalt von chemischer Bitterkeit. Der Suchende scheint kaum mehr zu bekommen als faden Saft oder abgestandenen Wein, der ans Aufräumen nach einer Party erinnert, wenn sich der Alkohol in Flaschen und Gläsern verflüchtigt hat. (Wer selbst probieren und urteilen möchte, findet am Ende des Textes sechs Empfehlungen für Weine ohne Alkohol.)

Dieses spritzige Getränk heißt nicht aus Versehen "Kylie" - auch Frau Minogue versucht sich im alkoholfreien Wein-Business.
(Foto: IMAGO/Panama Pictures)
Quittensaft als radikale Alternative
Unterdessen beweist ein Teil des Angebots bei Viniculture, dass sich die Suche lohnt - wenn man bereit ist, sich auf eine radikale Alternative zu Wein einzulassen. Das köstlichste Getränk, das der Autor gefunden hat, ist ein - selbstverständlich vollständig alkoholfreier - Quittensaft vom fränkischen Winzer Stefan Vetter. Preis: 12 Euro. Dank der Eigenschaften der Quitte bietet er ein Spiel aus Fruchtzucker, Säure und Gerbstoffen - wie in einem ausgewogenen Wein; mit konzentrierten Aromen und einer anregenden, beinahe tanzenden Präsenz auf Zunge und Gaumen, die den Mund ausfüllt und den Speichel angenehm bindet. Und mit einem Nachgeschmack, der anhält. Jeder Schluck dieses Saftes ist ein Genuss, alleine und zu vielen Speisen. Im Berliner Sternerestaurant "Nobelhart & Schmutzig" ist der Quittensaft längst ein beliebter "Speisenbegleiter", wie nichtalkoholische Getränke in der gehobenen Gastronomie genannt werden.
Ebenso überraschend gut schmecken die recht unterschiedlichen Getränke der Obstkeltereien Peter Van Nahmen am Niederrhein, Jörg Geiger auf der Schwäbischen Alp sowie Klaar Fruchtfermente in Kneese am Schaalsee.
Ein edler Pflaumensaft für Charles III.
Peter van Nahmen produziert viele Säfte, die man als "sortenrein" vom Wein kennt: zum Beispiel von den Trauben des Rieslings und des Spätburgunders (Pinot Noir), allerdings mit gewöhnungsbedürftiger Süße, die mehr eine Nachspeisenbegleitung ist oder selbst ein Dessert. Im Fall der weniger süßen Wilden Pflaume aus dem italienischen Piemont, die knapp acht Euro pro Flasche kostet und zu Lamm, Rind, Wild und Pilzen empfohlen wird, kann man in denselben Genuss kommen wie der britische König. Stolz erzählt van Nahmen, dass Charles III. der Pflaumensaft beim Staatsbankett im Schloss Bellevue serviert wurde.
Sehr gut schmecken auch die verschiedenen Mixturen der Keltereien, in der Weinsprache Cuvées genannt. Zum Beispiel Klaars "Proxy Rot", ein "Stellvertreter" für roten Wein. Mehrere Zutaten werden gepresst und vermischt: Holunderbeeren und -blüten, Rote Bete, Aronia, Ingwer, Walnussblätter sowie die Stiele und Schalen von Äpfeln und Quitten. Seine samtig-herben Noten machen den Proxy Rot zu einem idealen Speisenbegleiter. Der Preis liegt mit knapp 13 Euro auf dem Niveau hochwertiger (alkoholhaltiger) Gutsweine.
Einen im Tee?
Etwas günstiger sind die kohlensäurehaltigen Fruchtauszüge von Jörg Geiger. Sein breites Sortiment ist stark von Kräutern und Gewürzen geprägt, was sie zu einem Sologenuss macht, etwa als Aperitif - selbst wenn Geiger sie zu vielen Arten von Speisen anpreist. Da alles Geschmackssache ist, seien zum Essen drei empfohlen: Prisecco Nr. 11 mit unreifem Boskop und Eichenlaub, Aecht Bitter mit grüner Jagdbirne und Wermutkraut sowie Cuvée Nr. 23 mit Rhabarber, Äpfeln und Blüten.
Auch Van Nahmen stellt prickelnde Fruchtseccos her, etwa aus Apfel und Quitte. Sie machen am zweiten oder dritten Tag mehr Spaß, wenn ein Teil der Kohlensäure entwichen ist. Dasselbe lässt sich nicht für eine wahre Innovation sagen, die Peter van Nahmen mit den köstlichen, nur leicht perligen JuicyTeas gelungen ist. Das sind drei verschiedene Cuvées aus Säften und Teeinfusionen. Egal, ob Darjeeling, Rhabarber und Rose, Jasmin, Eisenkraut und Riesling oder Weißer Tee, Vanille und Quitte - was wie ein großes Flüssigexperiment klingt, ist geschmacklich dermaßen ausgewogen, dass der Autor die JuicyTeas in allen Varianten gerne trinkt. Vorzüglich ist auch der Preis von knapp neun Euro.
Auch "alkoholfrei" ist nicht ganz frei von Alkohol
Ebenfalls auf Tee setzt das rheinhessische Weingut St. Antony mit seinem auf den Trend spezialisierten Tochterunternehmen Châto Zero. Dort werden sogenannte Infiniteas für knapp 10 Euro pro Flasche abgefüllt: "The Duke of Blacktea" und "The Duchess of Rooibos". Beide haben es über die Tees hinaus in sich - nämlich das Thema dieses Textbeitrags: entalkoholisierter Wein! In beiden Fällen kommt er aus Spanien und ist von der weißen Chardonnay-Traube. Diese Mixturen sind erfrischend leicht, mit einem eleganten Weinaroma und feiner Säure - und mit einem geringen Alkoholanteil von maximal 0,5 Volumenprozent, was vier Gramm pro Liter entspricht. Das gilt per Gesetz als alkoholfrei, der minimale Anteil dient dem Geschmack. Im Unterschied zu den JuicyTeas besitzen die Infiniteas weniger Fruchtaromen, was sich fürs "Food Pairing" noch besser eignet.

Nicht Eau, sondern Zero de Cologne - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
(Foto: IMAGO/Political-Moments)
Wer etwas Ähnliches ohne Kohlensäure sucht, sollte zu 36° Grenache und 32° Riesling greifen, zwei ausdrücklich "stille Essensbegleiter" von Jörg Geiger, die allerdings knapp 16 Euro kosten und ebenfalls aus entalkoholisierten Weinen hergestellt sind. Dabei wird die Grenache-Traube mit Zwetschgensaft und Kräutern gemischt, der Riesling mit Apfelsaft und Kräutern. Der Restalkohol beträgt hier nicht mehr als 0,3 Volumenprozent.
Einen geringen Alkoholanteil besitzt auch die teuerste Weinalternative, die der Autor finden konnte - bei Lukas Kloskowski, der sie exklusiv in Deutschland verkauft. Die Rede ist von Muri Drinks. Sie gibt es in fünf Sorten mit Kohlensäure für 23 Euro und in einer Sorte ohne Kohlensäure für 20 Euro. Hergestellt werden sie in Kopenhagen, genauer gesagt, sie werden gebraut, aus Kefirpilzen - was erklärt, woher der Alkohol stammt. Erklären mag es auch, warum sie nach dem Öffnen nicht so gut riechen. Tatsächlich entfalten sie erst gut gelüftet nach einem Tag ihr Aroma - in der Nase und im Mund. Daran kann weder das beeindruckende Marketing noch der Kultstatus etwas ändern, den Muri in der Nobelgastronomie innehat. Ohne Zweifel sind diese Getränke durch ihre besonderen Zutaten und Machart etwas ganz Eigenes, das keine geschmacklichen Erwartungen erfüllt und Mut erfordert.
Die Entalkoholisierung tötet Aromen

Der Autor hat alles gegeben - und genehmigt sich jetzt mal ein "richtiges" Gläschen.
(Foto: IMAGO/Pius Koller)
So bleiben entalkoholisierte Weine nicht das einzige Experiment, um dem zunehmenden Bedürfnis nach weniger alkoholischem Nervengift gerecht zu werden. Das bedeutet freilich nicht, dass sie rein und sauber sind wie ein Qualitätswein oder gar ähnlich strengen Kontrollen unterliegen. Das Verfahren zum Entalkoholisieren von Wein, das der Rheingauer Winzer Carl Jung vor mehr als 100 Jahren entwickelte, bringt auch weiterhin drei fundamentale Nachteile mit sich, die man schmeckt: Erstens verschwinden Aromen, zweitens der Alkohol als sogenannter Geschmacksträger und drittens wird der Verlust mit Zuckeranreicherungen wieder ausgeglichen. Überdies sind sämtliche Verfahren aufwendig, kaum nachhaltig - und teuer.
Sechs Empfehlungen für alle, die dennoch probieren möchten:
- Deutschland: "Carl Jung" (weiß: Chardonnay, Riesling oder als Cuvée; rosé: Grenache aus Spanien; rot: Merlot, Cabernet und als Cuvée), ca. 6 Euro.
- Deutschland: "Dr. Lo" von Dr. Loosen (weiß: Riesling), 9 - 10 Euro
- Deutschland: "Fabelhaft drink & drive" (weiß: Riesling), 13 - 16 Euro
- Spanien: "Torres Natureo 0,0" (weiß: Muskateller; rosé: Cabernet Sauvignon; rot: Syrah), 8 bis 10 Euro
- Spanien: "Torres Sangre de Torro" (weiß: Muskateller; rosé: Cuvée aus Syrah und Cabernet Sauvignon: rot: Granache und Syrah), 7 bis 9 Euro
- Italien: "Doppio Passo" (weiß: Muskateller oder Grillo; rot: Cuvée), ca. 7 bis 9 Euro.
Quelle: ntv.de