Albtraum für Ärzte und Patienten Hohe Zahl an Behandlungsfehlern
21.06.2011, 15:10 Uhr
In 30 Prozent der Fälle wurde tatsächlich gepfuscht.
(Foto: dpa)
Falsche Behandlungen, nicht entdeckte Leiden, unzureichende Diagnosen: Trotz aller Bemühungen um mehr Sicherheit in der Medizin stellen Gutachter bei tausenden Patienten Ärztefehler fest. Das muss die Bundesärztekammer auch in ihrem neuesten Bericht eingestehen. Im vergangenen Jahr bekamen 30 Prozent der Versicherten Recht.
Immer mehr Patienten beschweren sich über Behandlungsfehler ihrer Ärzte. Insgesamt seien bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern im vergangenen Jahr 11.016 Anträge auf Schadensersatz eingegangen, teilte die Bundesärztekammer in Berlin mit. Dies seien 44 Beschwerden mehr als im Vorjahr und zehn Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.
Von den bearbeiteten 7355 Anträgen wurde 2199 Mal - also in jedem dritten Fall - ein Behandlungsfehler oder eine ungenügende Risikoaufklärung nachgewiesen. In 1821 Fällen führte falsche ärztliche Behandlung zu einem Gesundheitsschaden, der wiederum eine Entschädigung rechtfertigte. 87 Patienten starben an den Fehlern der Ärzte.
Doch insgesamt ist das Problem weit größer. Mit Ärztepfusch und -fehlern sind nämlich noch andere Gremien befasst. Insgesamt beanstanden Patienten nach Schätzungen jährlich in rund 40.000 Fällen ihre Behandlung bei den Schlichtungsstellen sowie Gerichten, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen und Haftpflichtversicherern. In jedem vierten Fall bekamen sie Recht, meinte der Vorsitzende der Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärzte, Andreas Crusius.
Immer weniger Zeit für den Patienten
Crusius machte den zunehmenden Druck der Ärzte verantwortlich. "Der Patient muss in immer kürzeren Zeiträumen durchgeschleust werden - und da können Fehler passieren", sagte er.
Den häufigsten Anlass für Beschwerden boten Knie- und Hüftgelenksoperationen mit 562 Anträgen. In 109 Fällen konnte den Medizinern hier ein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Nach Angaben von Johann Neu von der norddeutschen Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen handelte es sich etwa um Schäden an Nerven oder um falsch eingesetzte Prothesen. Die zweitmeisten Beanstandungen bezogen sich auf Eingriffe nach Unterarm-, Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen.
Rückgang bei Brustkrebs-Fehlern
Bei einzelnen Krankheiten zeigt sich ein Rückgang der nachgewiesenen Fehler - so etwa beim Brustkrebs. In den vergangenen fünf Jahren habe sich deren Zahl auf 29 Fälle verringert und damit fast halbiert, teilte die Ärztekammer mit. Dies liege vermutlich daran, dass sich Ärzte hier häufiger als bisher bei Kollegen eine zweite Meinung einholten.
Die seit 1975 bei den Ärztekammern eingerichteten Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bieten eine Begutachtung durch unabhängige Experten sowie eine außergerichtliche Streitschlichtung an. Der Patient kann durch ein gebührenfreies Verfahren überprüfen lassen, ob sein Vorwurf gerechtfertigt ist. In 90 Prozent der Fälle werden die Entscheidungen von beiden Parteien akzeptiert. Den Patienten stehen aber weitere rechtliche Schritte offen.
Die Zahl der Beschwerden wird nach Einschätzung der Ärzte noch zunehmen, weil die Bundesregierung die Patientenrechte per Gesetz stärken will. "Ich denke schon, dass eine erhöhte Inanspruchnahme die Folge sein wird", sagte der Ärztliche Leiter des Unfallkrankenhauses Berlin, Walter Schaffartzik.
Crusius wies aber auch darauf hin, dass die allermeisten Behandlungen lupenrein abliefen. Die Fehler müsse man in Verhältnis: Angesichts von 480 Millionen Arztbesuchen und 18 Millionen Klinikaufenthalten pro Jahr sei die Fehlerhäufigkeit insgesamt eher gering.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP