Gegen jeden Widerstand Nice Leng'ete, ausgezeichnete Aktivistin
20.04.2018, 12:12 Uhr
Eine außergewöhnliche, ausgezeichnete Frau: Nice Nailantei Leng'ete.
Nice Nailantei Leng'ete ist eine der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten 2018 - die junge Massai setzt sich für die Aufklärung gegen weibliche Genitalbeschneidung ein. Mit n-tv.de spricht sie über ihren Kampf, ihre Leidenschaft, ihre Ziele.
Sie ist zwar nicht die jüngste Frau auf der "Top 100"-Liste des "Time"-Magazins - das ist die 14-jährige "Stranger Things"-Darstellerin Bobby Brown. Sie ist auch keine Fast-Prinzessin so wie Meghan Markle, die es bereits vor ihrer Hochzeit mit Prinz Harry auf die Liste der einflussreichsten Personen des Jahres 2018 geschafft hat. Dafür ist sie aber diejenige, die garantiert am meisten für Frauen in einer bisher fast ausweglosen Situation getan hat und auch weiterhin tun wird: Amref-Mitarbeiterin und Anti-FGM-Botschafterin Nice Nailantei Leng'ete. Die junge Massai aus Kenia, die als Achtjährige selbst von Beschneidung bedroht war, wird für ihr Engagement gegen die weibliche Genitalverstümmelung geehrt.
Nice Nailantei Leng'ete wirkt, als n-tv.de sie trifft, wie viele andere junge Frauen auch: lustig und ernsthaft gleichzeitig, modisch gekleidet und von einer Kraft, die nur sehr junge Frauen haben, die unbedingt etwas erreichen wollen im Leben. Dass sie jedoch wesentlich anders "tickt" als Gleichaltrige, stellt sich im Gespräch schnell heraus.
Es fängt mit einem "Nein!" an
Aufgewachsen in einem kleinen Dorf am Fuße des Kilimandscharo verlor Nice Leng'ete früh ihre Eltern. Als Achtjährige drohte sie ihrem Großvater wegzulaufen, wenn er sie zur Beschneidung zwingen würde. Nice lächelt bei der Erinnerung an diese Situation: "Ich hatte gar keine Wahl, ich wusste, dass ich weiter zur Schule gehen will. Ich hatte bereits einige Beschneidungszeremonien erlebt, und da war ich erst sieben Jahre alt. Du darfst nicht einmal weinen, weder beim Zuschauen noch wenn es dir selbst widerfährt, denn wenn du weinst, bekommst du keinen Mann, heißt es."
Nice hat Dinge gesehen, die für die meisten unvorstellbar sind: Mädchen, die in Ohnmacht gefallen sind, die fast verblutet sind bei der Beschneidung. Sie hat Mädchen sterben sehen und sie hat erlebt, wie Mädchen mit acht Jahren verheiratet wurden. Schließlich überzeugte sie ihren Großvater und ihre Onkel: Nice durfte weiter zur Schule gehen. "Jetzt ist er sehr stolz auf mich, aber am Anfang war das nicht einfach. Letztendlich musste er sich auch gegen die anderen durchsetzen."
Dankbar für diese Chance begann ihr unermüdlicher Einsatz für andere Mädchen. "Nicht jeder ist so verständnisvoll wie mein Großvater," sagt Nice. Mit großem Engagement und der Unterstützung von Amref Health Africa begann Nice Leng'ete die Ältesten und die jungen Männer über sexuelle und reproduktive Rechte und die Folgen der Beschneidung in ihrer Heimat aufzuklären. Leng'ete weiß wie Männer denken und fühlen, die den Traditionen noch verhaftet sind. "Rituale und eine jahrhundertealte Kultur zu verändern oder abzuschaffen ist nicht leicht, aber da wir die Männer mit ins Boot geholt haben und Bildung für alle stärken, nicht nur für Mädchen, gibt es ein stetiges Umdenken." Dabei stieß sie immer wieder an Grenzen. "Es hat eine Weile gedauert, bis einige Männer überhaupt akzeptiert haben, dass ich, ein Mädchen, eine Frau, sie tatsächlich anspreche, das gehört sich nämlich nicht. Mittlerweile geht das. Ich mach' das ja auch nicht mehr alleine. Und die Botschaft ist angekommen: Wie stärken wir unsere Mädchen? Aber auch: Wie stärken wir alle unsere Kinder? Eltern wünschen sich, dass es ihren Kindern gut geht."
Bis heute haben Nice Leng'ete und Amref Health Africa gemeinsam mehr als 15.000 Mädchen vor der Beschneidung geschützt. Was erhofft sich Nice von ihrer Zukunft? Sie reist viel durch die Welt, für einen Freund hat sie momentan keine Zeit: "Ich möchte ein Zentrum für Frauen aufbauen, wo sie lernen können, wie sie sich selbst und anderen helfen können. Ich selbst möchte studieren und mit möglichst vielen Menschen sprechen, auch mit Politikern. Aber jetzt habe ich erstmal keine Zeit", sagt sie und lacht.
Jedes Mädchen sollte seine Träume leben können
Ihrem Durchhaltevermögen ist es zu verdanken, dass sich inzwischen etwas verändert hat. Sogenannte "Alternative Rituale", die den Übergang vom Mädchen zur Frau darstellen, werden inzwischen anstelle der Beschneidung akzeptiert. "Ich habe zu viele Mädchen und Frauen gesehen und kennengelernt, deren Leben so verändert und oft zerstört wurden, dass sie nie wieder ein normales Leben führen können", erzählt Nice mit leiser Stimme. "Diese Form der Unbeschwertheit, die alle Mädchen und Frauen haben sollten, die bekommen sie nie wieder zurück."
Für ihre Arbeit wurde sie dafür vor Kurzem auch mit dem Annemarie-Madison-Preis ausgezeichnet. "Einen Preis zu gewinnen ist eine große Sache. Es bedeutet mir sehr viel", so die 27-Jährige. "Andere, vor allem in meiner Heimat, sehen, dass meine Arbeit Sinn hat. Und das erleichtert die Aufklärung in Zukunft." Nice Leng'eti betont, dass es vollkommen egal ist, woher man kommt: "Das Wichtigste ist, dass du weißt, wohin du möchtest, was du erreichen willst." Nice betont aber, wie viele Mitstreiter gemeinsam am Werk sind.
"Nice Leng'ete ist eine außergewöhnliche junge Frau, der es gelingt, soziale Normen und Praktiken von innen heraus zu verändern. Deshalb freut es uns sehr, dass ihre Arbeit vom "Time"-Magazine in dieser Form gewürdigt wird", so Dr. Marcus Leonhardt, Geschäftsführender Vorstand von Amref Health Africa Deutschland. Ihren Kampf gegen die weibliche Genitalbeschneidung wird sie weiterführen: "Ich mache das, bis kein Massai-Mädchen sich dieser Prozedur mehr unterziehen muss. Ich bestehe darauf, dass aus Mädchen Frauen werden können, ohne dass sie beschnitten werden. Jedes Mädchen, auch in Kenia, sollte die Frau werden dürfen, die sie sein möchte." Und sie fügt hinzu: "Jedes Mädchen, überall auf der Welt, sollte seine Träume leben können."
Anlässlich der Würdigung durch das "Time"-Magazin bittet Amref um weitere Unterstützung - im Förderverein oder in Form von Spenden - für die Mädchen, denen Nice Leng'ete mit ihrer Arbeit hilft.
Quelle: ntv.de