Dieter Hildebrandt, der Mann mit den Ebenen Nie wieder lachen und schießen gleichzeitig
20.11.2013, 15:10 Uhr
Ein Platz an der Sonde? DSGS - Deutschland sucht den Grauen Star? Das waren eher seine Altersscherze.
Große Worte sind das: "Eine Ära ist zu Ende". Aber genau so ist es, denn einer der besten deutschen Kabarettisten ist tot. Dieter Hildebrandt hat seinen Kampf gegen den Krebs verloren. Eine Stimme weniger, die uns fortan mahnend unterhalten kann.
Er hat gehaspelt, gewürgt und geschlingert - so wurde er von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gewürdigt. "Der Dieter hatte mehrere Ebenen", sagt Kabarettist Andreas Rebers im rbb-Radio. "Und trotzdem kam immer alles wieder zusammen." Klingt erst einmal nicht unbedingt nach Eigenschaften, die einen prädestinieren, um eine Karriere auf der Bühne zu machen, und doch hat Dieter Hildebrandt genau das geschafft. Mit Grimme- und vielen anderen Preisen ausgezeichnet, schaffte er, was nur wenigen Kollegen gelang: Er mahnte, ohne zu nerven. Er machte Witze, ohne in die "Comedy" abzurutschen. Er war immer da, wenn es etwas zu kritisieren gab. Er hat uns trotzdem zum Lachen gebracht, aber auch dazu, uns an den Kopf und die eigene Nase zu fassen. Das wird fehlen - nicht nur einzelnen Menschen, sondern vor allem diesem Land.
Wenn Hildebrandt den Machern, Mächtigen und Möchtegerns den Kopf gewaschen hat, dann haben die sich das - meist - gefallen lassen. Vielleicht haben sie sogar noch später darüber nachgedacht, was ihnen der einflussreichste Kabarettist Deutschlands mit auf den Weg gegeben hat. Denn das war nie einfach so dahin gesagt, das hatte immer Hand und Fuß, das hatte Gewicht und es hatte manchmal sogar Auswirkungen. Seine Sendung "Scheibenwischer" (1980 – 2009) schaffte es unter anderem, im Jahr 1986 nicht ausgestrahlt zu werden - zumindest in Bayern. Die ganze Geschichte zu erzählen, führt zu weit, aber Hildebrandt hatte manchen Mächtigen so auf die Füße getreten (es ging um die Katastrophe von Tschernobyl und den Umgang einiger Politiker damit), dass man sich von bayerischer Seite genötigt sah, die ARD zu bitten, die Folge nicht zu senden. Die ARD wollte sich aber nicht der kompletten Zensur unterwerfen - und so gab es "nur" eine kleine Sendepause im bayerischen Programm.
Dass er keine Sendelücken hinterlassen wird, dafür hat er zum Glück zeitlebens gesorgt: Wir dürfen uns nun nämlich darauf freuen, den "Sympathisanten der SPD, der aber nie in die Partei eingetreten ist, weil er schnell wieder rausgeflogen wäre" in unzähligen Auftritten, Sketchen und Filmen zu sehen. Sein Erscheinen in Fernsehserien wie "Kir Royal", in Kinoerfolgen wie "Man spricht deutsh", "Go, Trabi, Go" oder "Zettl" haben jeden Regisseur, jeden Kollegen geadelt. Früher, da hat er gerne jeden Mist mitgemacht, da war er wahrscheinlich jung und brauchte das Geld: "Eine hübscher als die andere" oder "Mein Mann das Wirtschaftswunder" heißen die Filmchen, in denen er entweder selbst mitspielte oder aber das Drehbuch schrieb. Das war Anfang der 60er Jahre. Aber bereits in den 50ern ging er seiner wahren Leidenschaft nach, dem politischen Kabarett. Mit Kommilitonen gründete er "Die Namenlosen", die es bereits ins Fernsehen schafften. 1956 rief er dann zusammen mit dem Sportreporter und seinem lebenslangen Freund Sammy Drechsel "Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft" ins Leben. Sie wurden in Funk und Fernsehen übertragen, die "Gesellschaft" ging auf Tourneen und bis zum Schluss traten dort große Namen wie Jochen Busse, Horst Jüssen, Bruno Jonas oder seine spätere Ehefrau Renate Küster auf.
Zurück in Stellung
Eigentlich wollte Hildebrandt Schauspieler werden. Er tat ziemlich viel dafür, nachdem ihn die Schauspielschule Otto Falckenberg nicht aufgenommen hatte. Er studierte aber auch Literatur- und Theaterwissenschaften sowie Kunstgeschichte, war dabei zu promovieren, brach jedoch ab, als sein Doktorvater starb, denn gleichzeitig stellten sich erste Erfolge auf der Bühne ein. Ihn prägte das Münchner "Theater Kleine Freiheit", wo er anfangs als Platzanweiser jobbte und ihn die Protagonisten stark beeindruckten.
Schwer zu schaffen machte ihm eine Episode seines Lebens, die mit seiner Jugend und der damit verbundenen Nazizeit zu tun hatte. Er war bei einer Spielschar der Hitlerjugend, er war Flakhelfer und er kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft. 2007 wurde entdeckt, dass er der NSDAP einen Parteiaufnahmeantrag gestellt hatte, er bestritt dies jedoch vehement. Schwer vorstellbar bei einem, der sich seit 60 Jahren über die Missstände dieses Landes hermachte - wozu der Zweite Weltkrieg mit all seinen Facetten und Nachwirkungen in Hildebrandts Fall definitiv gehört. "Ich habe Glücksgefühle, wenn ich in Berlin in eine nach Urin und Moder stinkende U-Bahn steige, denn 1943 war ich Luftwaffenhelfer, und immer wenn ich diese Treppe zur U-Bahn betreten habe, durfte ich weitergehen und Urlaub machen. Wenn nicht, dann war Fliegeralarm und ich musste umkehren und zurück in die Stellung."
Unser aller Papa
Immer machte er sich über die Führenden her, und er hatte ganz sicher eine Neigung dazu, sich eher über die konservative Seite der deutschen Gesellschaft auszulassen. Er wurde deswegen oft, viel und lange angefeindet als "Wahlhelfer der SPD", und selbst Kollegen wie Mathias Richling kritisierten sein "parteipolitisches Kabarett": "Sein 'Scheibenwischer' wurde von der SPD immer als parteieigene Sendung angesehen", so der Kollege.
Noch einmal und ganz anders Andreas Rebers: "Dieter Hildebrandt war ein bisschen wie unser aller Papa. Er war der Kabarettist, der vielen den Weg bereitet hat und er war der erste, der eine Fernsehsendung hatte. Er hat sich immer für neue und junge Künstler interessiert. Wenn man einen Fehler machte, dann sagte er, nächstes Mal machst du's eben besser", erinnert sich Rebers, der in den letzten Jahren viel mit ihm gemeinsam auf der Bühne stand. "Dieter hatte keine Dünkel, er kam aus einfachen Verhältnissen, er war ein Flüchtlingskind. Er war bescheiden und nicht arrogant, und er stand 60 Jahre vor Menschen und Mikrofonen. Wahrscheinlich hat er alle Fragen dieser Welt beantwortet."
Aber selbst, wenn er nicht gefragt wurde, gab er Antworten: "Ich werde kämpfen bis zum Schluss. Noch bin ich nicht tot!" Das hatte er vor zwei Tagen gesagt. Dass er gekämpft hat, nimmt man ihm sofort ab, denn er hatte noch immer Lust, mit 86 Jahren. Und er machte gerne Witze wie diesen hier: "Optimismus ist, wenn ein 95-Jähriger zur Vorsorgeuntersuchung geht." Für ihn war wohl seit dem Sommer klar, als seine Krebserkrankung diagnostiziert wurde, dass er nie wieder auf die Bühne zurückkehren wird, aber dass "es" dann so schnell passiert, hätte auch keiner gedacht. Er hatte Pläne! Er hatte sich zwar vom Fernsehen verabschiedet, aber im Internet sah er eine Möglichkeit, freier und unabhängiger zu agieren. "Man sieht, dass da etwas entsteht, das die eingetretenen Pfade verlässt." Das Projekt "stoersender.tv", das er gemeinsam mit dem Journalisten Stefan Hanitzsch gründete, machte dort weiter, wo er nie aufgehört hatte: mit der Kritik an den Zuständen.
Überall werden wir jetzt lesen, dass er derjenige war, dem wir so einige Lachkrämpfe zu verdanken hatten, dass er einer der Besten war und dass er jetzt mit Loriot da weiter machen kann, wo er hier aufhören musste. Im Himmel zumindest scheint es ganz witzig zu werden - und was machen wir hier? Das Beste draus, das würde ihm gefallen.
Quelle: ntv.de