Legendärer Postzugräuber Vor 60 Jahren türmte Ronnie Biggs
08.07.2025, 07:31 Uhr Artikel anhören
Biggs war den größten Teil seines Lebens auf der Flucht.
(Foto: dpa)
Nur wenige Verbrecher schaffen es, zur Legende zu werden. Einer davon ist der Engländer Ronnie Biggs. Verantwortlich ist dafür vor allem seine spektakuläre Flucht.
Es ist kurz nach 15.00 Uhr am 8. Juli 1965, als an einer Seitenmauer des Londoner Gefängnisses Wandsworth ein roter Möbelwagen vorfährt. Bald darauf wird eine Strickleiter am Inneren der Mauer heruntergelassen.
Der erst ein Jahr davor zu 30 Jahren Haft verurteilte Postzugräuber Ronnie Biggs und drei weitere Kriminelle, die gerade im Gefängnishof ihre Runde machen, klettern blitzschnell die mehrere Meter hohe Mauer hinauf. Ihre Wärter können nur zusehen, denn andere Gefangene hindern sie daran, einzuschreiten. Die Flüchtigen entkommen.
Die Nachricht schlägt hohe Wellen im Vereinigten Königreich. Im Unterhaus in London fordert ein Abgeordneter gar den Einsatz der Armee, um die Ausbrecher zu fangen, wie die Deutsche Presse-Agentur damals berichtet.
36 Jahre auf der Flucht
Biggs flieht über Frankreich nach Australien und lebt dort sogar die ersten Jahre mit seiner Familie. Als ihn die Behörden aufspüren, zieht er alleine weiter nach Brasilien. Es soll 36 Jahre dauern, bis die britische Justiz ihn wieder in ihre Finger bekommt. Jahre, in denen der Engländer zur Legende wird.
Stoff für Legenden ist aber bereits das Verbrechen, das Biggs hinter Gitter bringt und als "Great Train Robbery" in die Geschichte eingeht. Er ist Teil einer 15-köpfigen Bande, die 1963 mittels einer manipulierten Signalanlage einen Postzug auf dem Weg von Glasgow nach London zum Halten bringt und dabei alte Geldscheine im Millionenwert erbeutet, die aus dem Verkehr gezogen werden sollten.
Die Story von den tollkühnen Räubern findet auch in Deutschland große Beachtung. Schon drei Jahre nach der Tat läuft im deutschen Fernsehen eine dreiteilige Fernsehserie mit dem Titel "Die Gentlemen bitten zur Kasse". Die Rolle des Masterminds Bruce Reynolds – allerdings unter anderem Namen – spielt Horst Tappert, der später vor allem durch die Serie "Derrick" in Erinnerung geblieben ist.
Für die meisten Räuber währt die Freude über den Geldsegen nicht sehr lange. Zwölf von ihnen werden schon bald gefasst und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt – darunter Ronnie Biggs. Zu ihrer Ergreifung führen unter anderem Fingerabdrücke an einem Monopoly-Spielbrett, das sie an ihrem Versteck zurücklassen.
Symbol der Punk-Bewegung
Nach seiner Flucht baut sich Biggs in Rio de Janeiro das Image eines Lebemanns auf, der Cocktail trinkend unter Palmen der britischen Obrigkeit den Stinkefinger zeigt. Das macht ihn zum Symbol der Punk-Bewegung. Die Sex Pistols nehmen 1978 mit ihm den Song "No One Is Innocent" auf.
Anfang der 80er Jahre wird er zwar von britischen Ex-Soldaten entführt und auf die Bahamas gebracht. Doch mangels Auslieferungsabkommen darf er wieder nach Brasilien zurückkehren.
Vom Rebellen-Image des Posträubers Biggs lassen sich auch die Toten Hosen mitreißen, die 1991 den gemeinsam mit Biggs aufgenommenen Song "Carnival in Rio" veröffentlichen. Im Musikvideo sind Campino und Co. mit Biggs Fußball spielend und zechend an der Copacabana zu sehen.
Gitarrist Michael Breitkopf ("Breiti") bleibt mit Biggs bis zu dessen Tod befreundet. Im dpa-Gespräch vor einigen Jahren sagt er, der Brite habe sich vor allem in die Öffentlichkeit gedrängt, weil er in Brasilien nicht arbeiten durfte und keine andere Möglichkeit sah, an Geld zu kommen.
"Dadurch sah es nach außen immer so aus, als würde er den britischen Behörden noch zusätzlich dazu, dass sie nicht an ihn rankamen, den Stinkefinger hinhalten." Kurz nach Biggs Tod hatte er dem "Spiegel" aber erzählt, der Brite habe natürlich auch die Ader zur Provokation gehabt. "Für einen blöden Spruch war er immer zu haben."
Hoffnung auf Begnadigung geht nicht auf
Obwohl er in Brasilien in Sicherheit vor dem Zugriff der britischen Polizei ist, kehrt Biggs 2001 in seine Heimat zurück. Doch die Hoffnung, man könne ihn nach all den Jahren begnadigen, geht nicht auf.
Biggs wird direkt nach seiner Ankunft verhaftet und erst 2009 – längst schwer krank – aus der Haft entlassen. Er stirbt vier Jahre später in einem Londoner Altenheim.
Quelle: ntv.de, Christoph Meyer, dpa