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Depression ist beeinflussbar "Es wird schon irgendwie weitergehen"

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Das dauergraue Wetter und das mangelnde Licht können aufs Gemüt schlagen.

Das dauergraue Wetter und das mangelnde Licht können aufs Gemüt schlagen.

(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)

Der Himmel ist grau, die Weltlage mindestens genauso trüb. Der Psychiater Prof. Dr. Andreas Menke erklärt, wie wir uns trotzdem vor einer Depression schützen und warum ein Schnurrbart im November psychische Erkrankungen vom Stigma befreit.

ntv.de: Überall klagen die Leute momentan über den grauen November, der aufs Gemüt schlägt. Erkranken im Herbst und Winter mehr Menschen an einer Depression als im Sommer?

Andreas Menke: Wir haben hier eine Subgruppe der depressiven Erkrankungen, nämlich die saisonale affektive Erkrankung, die typischerweise im Herbst und Winter auftritt. Betroffen sind Menschen, die unter dem Wetter, mangelndem Licht und unter diesem Grau leiden. Die saisonale affektive Störung ist grundsätzlich eine Depression, aber etwas milder ausgeprägt. Es gibt natürlich auch Menschen, die diese Jahreszeit einfach nicht toll finden und etwas schlechter drauf sind, aber trotzdem im Leben unbeeinträchtigt bleiben.

Wie wirkt sich die saisonal affektive Erkrankung im Vergleich zum Schlecht-drauf-sein aus?

Betroffene können im beruflichen und sozialen Kontext beeinträchtigt und belastet sein. Sie schlafen und essen mehr, während der klassische melancholische Patient eher unter Appetitmangel und Schlaflosigkeit leidet. Lichttherapien mit Tageslichtlampen können sehr gut helfen, bei schweren Fällen ist ein Antidepressivum notwendig.

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Ein weiterer Faktor, der sich vom Individuum nicht beeinflussen lässt, ist die Weltlage: Kriege, Trump, Klimawandel, Pandemie, Wirtschaft. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Entwicklung einer Depression zu 60 Prozent von der Umwelt beeinflusst wird, durch toxischen Stress. Wie kann man sich vor den Realitäten der Welt schützen?

Üblicherweise gibt es immer Stress, der Schutz davor gelingt normalerweise auch recht gut. Wir gehen davon aus, dass jeder von uns seine eigene Vulnerabilitätsschwelle hat, beim einen ist sie höher, beim anderen niedriger. Diese Schwelle wird einerseits bestimmt durch die Genetik, zum anderen durch früh prägende Umweltvariablen, etwa die Kindheitserziehung, die Schulzeit, frühe Krankheiten oder sogar Kindheitstraumata.

Wenn diese Schwelle nicht so hoch ist und ganz viel passiert, kann das zu einer stressbezogenen Erkrankung führen. In der Regel ist es dann die Depression. Diese Schwelle ist aber nicht gottgegeben, sondern beeinflussbar. Das kann ich zum einen durch Sport tun. Der ist präventiv wirksam, hilft aber auch depressiven Patienten: Wenn sie die mit einem Antidepressivum behandeln und in zwei Gruppen einteilen, wird die Gruppe mit Sport schneller gesund als die ohne Sport. Dazu kommen eine gesunde, naturbelassene Ernährung, ausreichend Schlaf und positive soziale Kontakte. So haben Sie es selbst in der Hand, diese Schwelle nach oben oder nach unten zu bewegen.

In Umfragen äußert die Mehrzahl der Befragten die Sorge, dass die Zukunft noch schlimmer wird - obwohl gleichzeitig die eigene Situation gar nicht so negativ bewertet wird. Gibt es so etwas wie die kollektive Depression?

Prof. Dr. Andreas Menke ist ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Medical Park Chiemseeblick.

Prof. Dr. Andreas Menke ist ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Medical Park Chiemseeblick.

(Foto: Urs Golling/Medical Park / Piper Verlag)

Nein, eine Depression hat man individuell für sich. Der negative Blick in die Zukunft ist bei dieser Weltlage berechtigt, aber dass jeder Einzelne für sich noch keinen unmittelbaren Nachteil daraus zieht, ist ein positives Signal. Es hört sich so lapidar an, aber es gibt schöne Studien, die die Wirkung von positivem Denken belegen, nach dem Motto: Es wird jetzt schon irgendwie weitergehen.

Männer aus aller Welt lassen sich aktuell Schnurrbärte stehen: Der Movember - ein Mix aus Moustache und November - soll das Bewusstsein für Prostata- und Hodenkrebs sowie psychische Erkrankungen bei Männern erhöhen. Ist das Bild vom "starken Mann", der sich Probleme und Schwächen nicht eingesteht und Hilfe ablehnt, tatsächlich noch aktuell?

Ja, das ist nach wie vor präsent. Jungen und Mädchen wachsen in diesem Rollenklischee auf. Natürlich wird das von Eltern und Familien unterschiedlich gehandhabt, aber diese Stereotypen, diese männlichen Eigenschaften sind bei den meisten vorhanden. Dieses männliche Konzept will man später erfüllen: alles in der Hand zu haben, sehr widerstandsfähig und unangreifbar zu sein. Das geht natürlich nicht so einher mit einer Depression.

Kampagnen von Krankenkassen wirken manchmal etwas bemüht. Kann eine eher lässige Aktion wie Movember mit ihrem Anliegen besser durchdringen?

Also, ich finde das sehr gut. Wir haben über die letzten 30, 40 Jahre schon eine Abnahme der Stigmatisierung gesehen. Dass Prominente ihre Depressionen öffentlich gemacht haben, hat sehr geholfen. Trotzdem sind psychische Erkrankungen nach wie vor stigmatisiert, bei Männern ist das noch mal höher als bei Frauen. Das kann es einfach nicht sein. Depression ist eine Erkrankung, die den ganzen Körper betrifft, eine medizinische Erkrankung, die kann ich diagnostizieren und behandeln - und dann ist es auch wieder gut. Wenn ich das aber nicht mache, laufe ich Gefahr, dass sie chronifiziert oder dass sie immer schlechter wird - bis zum Outcome des Suizids. Initiativen wie Movember sind also sehr willkommen.

Rat und Nothilfe bei Suizid-Gefahr und Depressionen
  • Bei Suizidgefahr: Notruf 112
  • Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33

  • Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
  • Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
  • In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
  • Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).

In der Gesellschaft und auch den Medien ist Suizid ein Tabuthema. Sie plädieren in Ihrem Buch dafür, offen darüber zu sprechen.

Seit Jahrzehnten hat die Suizidrate sukzessive abgenommen, aber zuletzt ist sie um fast zehn Prozent gestiegen. Das ist ein Alarmzeichen. Es ist sehr wichtig, dass man nicht jeden Suizid in der Presse benennt, weil es tatsächlich diese Nachahmereffekte gibt, den sogenannten Werther-Effekt. Wenn man differenziert darüber berichtet und gleichzeitig Hilfestellungen anbietet, dann habe ich den "Papageno-Effekt", nämlich ein Sinken der Suizidrate. Im freundschaftlichen oder familiären Bereich, auch im therapeutischen Bereich sollte man das auf jeden Fall ansprechen: "Mensch, ich sehe dir an, dir geht es nicht gut." Manche denken, wenn ich es anspreche, dann bringe ich jemanden erst recht auf die Idee. Das ist Quatsch. Entweder hat er die Idee oder nicht. Die meisten sagen vor ihrem Suizid, dass sie diese Gedanken haben. Darüber muss man aufklären, und dies dann auch ernst nehmen.

Sie beschreiben, dass Depressionen kein Phänomen der Neuzeit sind, sondern schon Aufzeichnungen aus der Zeit vor Christi auf Erkrankungen hinweisen. Sind die Risikofaktoren heute dennoch größer: Es leben mehr Menschen in Städten, wir bewegen uns zu wenig, haben jede Krise jederzeit auf dem Bildschirm in der Hand, wo außerdem Social Media an unserem Selbstwert nagt?

Die Erkrankung war früher grundsätzlich die gleiche, aber die Umweltfaktoren, die eine Erkrankung beeinflussen können, verändern sich natürlich. Das Stress-Hormonsystem und die Genetik, das Gehirn, funktionieren noch wie vor 10.000 Jahren. Das Gehirn hat sich nicht an die industrielle Revolution angepasst und schon gar nicht an die digitale Revolution. Das heißt, wenn wir Stress haben - auch toxischen auf Social Media -, ist der Körper darauf geeicht, dass wir vom Säbelzahntiger weglaufen. Tatsächlich sitzen wir aber vor dem Rechner, wir haben diese Kompensationsmechanismen nicht mehr.

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Unser Erbgut ist optimiert für ein Leben als Jäger und Sammler. Wenn wir also mehr von diesem ursprünglichen Leben in unseren Alltag integrieren, machen wir uns wieder resilienter und können besser mit Stress umgehen: raus aus dem Hamsterrad, rein in die Natur, mehr bewegen, natürliches Licht. Es fällt nicht immer leicht, aber ich bin selbst in der Lage, etwas zu verändern.

Mit Andreas Menke sprach Torsten Landsberg

Quelle: ntv.de

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