Psychologie in Wahlwerbung "Grünen-Plakate sind Verharmlosung der Weltlage"
22.02.2025, 13:36 Uhr Artikel anhören
Am 23. Februar wird in Deutschland gewählt.
(Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber)
Vor der Bundestagswahl werben die Parteien um Stimmen. Klassisch auf Plakaten oder mit KI-generiertem Werbespot. Dahinter verbergen sich Strategien, die mal mehr und mal weniger erfolgreich sind, vor allem aber eines wollen: auffallen. Was bringt der Aufwand?
Friedrich Merz liegt am Boden. Die KaDeWe-Tüte hat er weggeworfen, umringt von Frauen hält er schützend die Hände vors Gesicht, bevor er aufspringt und davonrennt. Während der Kanzlerkandidat der CDU kurz darauf von der eigenen Ehefrau vergewaltigt wird, stapft AfD-Chefin Alice Weidel in Zeitlupe durch Tiefschnee und schwört mit frostroten Wangen, das Grundgesetz zu ehren - so wahr ihr Gott helfe.
Was nach Thriller und Globetrotter-Reklame klingt, sind Szenen aus Wahlwerbespots von Die Partei und AfD. Sie laufen auf den YouTube-Kanälen der Parteien und werden in den vier Wochen vor der Wahl auch im linearen Fernsehen ausgestrahlt, kostenfrei. Das ZDF hatte sich gegen den Spot von Die Partei zwar gewehrt, vor Gericht aber verloren, denn: Auch die fiktive Vergewaltigung von Friedrich Merz ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.
"Einfluss bleibt gering"
Neben Wahlwerbespots, die mit KI-generierten Inhalten gefüttert oder als Reels auf Social Media gespült werden, wirken die Wahlplakate, die sich zuhauf an Laternenpfosten, Ampeln und als Aufsteller auf Mittelinseln finden, etwas aus der Zeit gefallen. Dennoch haben sie Vorteile. "Plakate werden von fast allen Menschen wahrgenommen", sagt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider ntv.de. Sie seien nach wie vor wichtig, sofern sie gut gemacht sind.
"Zudem werden Druckmedien eher als seriös erlebt", sagt Thomas Kliche, Bildungsforscher und Psychologe, "wohingegen Fernsehen eher auf die Gefühle zielt." Daneben seien Soziale Medien derzeit eine Domäne des Populismus, der über disziplinierte Multiplikatoren, durch Hass und Polarisierung über emotionalisierte Slogans verfügt, die sich im Netz leicht selbst verstärkten. Bevorzugt genutzt von: Rechtsextremen.
"Insgesamt bleibt der Einfluss von Wahlwerbung jedoch gering", fügt Kliche hinzu. Der Werbezirkus verdeutliche allgemein die Bedeutung des Ereignisses, die Entscheidung für eine Partei werde jedoch kaum geändert. "Früher galt: Vertraute Reize sind angenehmer, vertraute Gesichter daher vertrauenswürdiger." Laut Kliche funktioniert das in einer Situation allgemeiner Enttäuschung und Skepsis nicht mehr, eher lösten manche Gesichter Erinnerungen voller Abscheu aus.
Farbe, Schrift und Bild
Gesichter finden sich auf fast jedem Wahlplakat. Für Kliche haben diese wenig Aussagekraft. "Kein Gesicht ersetzt die Zuverlässigkeit, die eine Partei über Jahre gezeigt hat. Wer seine Ankündigungen vergisst, inkompetentes Personal und verwaschene Programme anbietet, zänkisch oder intrigant taktiert, wird mit keinem Gesicht der Welt noch jemanden anlocken", sagt er.
Für eine gelungene Wahlwerbung bedürfe es mehr als einer Person. Gerade in diesem Wahlkampf brauche man einen kurzen inhaltlichen Anreiz, was diese Partei bewirken will. Die Grünen beschränken sich auf nur ein Wort: Zuversicht. "Eine schreckliche Verharmlosung der Weltlage", nennt Kliche das.
Neben dem Bild spielt grundsätzlich auch Farbe eine Rolle. Hellblau teilen sich in diesem Wahlkampf AfD und CDU, die SPD bleibt bei Rot, die Grünen bei Grün. "Farben werden werbepsychologisch vorab auf ihre Sympathiewerte und die Assoziation mit der Partei getestet", sagt Kliche. Das funktioniere jedoch kaum noch, anderenfalls würden die Menschen massenhaft darauf reagieren. Die FDP setzt auf schwarz-weiß. "Das wirkt dokumentarisch und ernsthaft, es soll sich als zugleich seriöse und dramatische Botschaft abheben", so Kliche.
Angriff oder positive Selbstdarstellung?
Nun kann sich eine Botschaft gegen andere Parteien richten oder die eigene Politik bewerben. "Die Mischung macht’s", sagt Kommunikationswissenschaftler Brettschneider. Anders als in den USA komme Negative Campaigning bei Wählerinnen und Wählern in Deutschland weniger gut an. Vor allem, wenn es sich um persönliche Angriffe auf Kandidierende handele, das falle letztlich auf den Angreifer zurück. Kliche sieht es ähnlich: "Positive, selbstbewusste Darstellung schafft mehr Vertrauen." Dennoch könnten Angriffe auch zur Klarheit beitragen - nur müssten die Parteien dafür Mut aufbringen. "Man stelle sich eine Brandmauer aller Parteien vor, mit dem Slogan: 'Jede Stimme für die AfD ist für den Mülleimer.' Das hätte Wirkung gehabt", sagt Kliche. Wohltemperierte Kritik an Versäumnissen gehört auch für Brettschneider dazu. "Wobei der Blick zurück oft weniger Wählerstimmen bringt als der Blick nach vorne", sagt er.
Zurück schaut die FDP in ihrem Wahlwerbespot dennoch, allerdings im Positiven. Es wird an historische Ereignisse erinnert, die das Land entsprechend ihrem Wahlspruch "Alles lässt sich ändern" nach vorn gebracht haben. "Der Spot setzt damit vielleicht einen neuen Impuls, besonders viel Varietät gibt es im Bereich Wahlwerbung aber nicht", sagt Christian Schicha. Er ist Medienwissenschaftler und beobachtet Wahlwerbespots seit mehr als 20 Jahren. Insgesamt sei der Innovationsgrad gering, man folge immer demselben Muster: Testimonials, also Stimmen von Privatpersonen, schöne Bilder, Feelgood-Atmosphäre - wie in der Produktwerbung. Das sei auch strategisch klug, man wolle die Wählerschaft nicht verwirren, etwa mit zu viel Ironie oder Sarkasmus. Die Partei hingegen nutzt genau diese Methoden, um auf politische Missstände hinzuweisen. Wahlplakate und Slogans sind bewusst überzogen und provokativ - "ein Spiel mit der Aufmerksamkeit", so Schicha.
Ein Garant für den Urnen-Gang ist Aufmerksamkeit nicht. Generell kann die Werbeflut eher überfordern. "Es nervt", sagt Kliche. Denn es fordere ständig Stellungnahmen und Parteilichkeit ab, ohne bei der Entscheidung zu helfen. "Und die ist grausig schwierig."
Quelle: ntv.de