Panorama

"Strange" Parteiensprache CDU, AfD, Grüne & Co. catcallen ihr De-Risking

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Wahlkampf mit Wahlplakaten - und jeder Menge Anglizismen.

Wahlkampf mit Wahlplakaten - und jeder Menge Anglizismen.

(Foto: dpa)

Was bedeuten die knapp 200 teils verrückten Anglizismen der deutschen Parteien? Zum Beispiel Catcalling, De-Risking, Quick Freeze, Anti-Gold-Plating, Topsharing oder Social Leasing? Und wer soll das verstehen?

Im Wahlprogramm der CDU steht - am Rande - etwas über Sprache: Deutsch zu lernen, lege den Grundstein für Integration und Teilhabe. Das ist richtig! Zweifel kommen auf, wo sich die Union an Zuwanderer richtet, die in Deutschland arbeiten: "Wir stärken das Erlernen der deutschen Sprache - on the job". Give me a break - wie bitte?! Das mag sich der eine oder die andere Expat in Deutschland denken. Welche Sprache soll ich hier überhaupt lernen? On the job! Deutsch? Oder Englisch?

Die beste Antwort, die einem niemand sagt, liegt dazwischen: Deutsch mit einem großen Anteil Englisch. Es ist das fortgeschrittene Kauderwelsch, das jeder kennt, aber keine Sprachschule unterrichtet. Es ist eine Art Sprachhybrid, das sich aus zwei Wortschätzen speist: aus dem deutschen und dem englischen. Die Politik ist voll davon!

Oh yes, FDP! Ze Freie Denglische Partei!

Das gilt einerseits für die Angebersprache, die international wirken soll - wie das "on the job" der CDU. Oder "Level Playing Field" im SPD-Programm. Gemeint sind "gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer". Dieser Stil ist eine Art Ausgrenzung weniger weltoffener Gruppen. Er wird vor allem von der FDP kultiviert, die von "Airports" statt "Flughäfen" schreibt. Unter Christian Lindner wurde die FDP mit Sprüchen wie "Deutschland Update" oder "Digital First, Bedenken Second" zur "Freien Denglischen Partei".

Unterdessen nutzt die AfD Englisch auffällig oft, um diejenigen anzuprangern, die sich vielleicht mit "Cum-Ex" bereichert haben oder die eine "woke" Ideologie besitzen. Es ist eine andere Art der Ausgrenzung: gegen politische Feinde.

Umfrage: Jeder Zweite versteht kein Englisch

So oder so - es kommen in der deutschen Politik immer mehr englische Fachwörter zum Einsatz, ähnlich wie schon während der Corona-Pandemie, als auf einmal von "Social Distancing" oder "Flattening the Curve" die Rede war. Es ist der Policymaking Jargon, also eine weltweit akzeptierte Fachsprache politischer Entscheidungsträger. Er bedroht die Definitionshoheit der deutschen Sprache. Ein Teil des deutschsprachigen Volkes wird damit sprachlich übergangen und abgehängt. Rund 50 Prozent der Bevölkerung geben an, Englisch "nicht sehr gut" oder "gar nicht" zu verstehen. Das ergab eine Befragung des Allensbach-Instituts im Sommer 2024. Also jeder Zweite!

Vor dem Hintergrund, dass die Parteien stets beteuern, "bürgernah" sein zu wollen, ist die Rolle englischer Wörter kaum begreiflich. Knapp 200 englische Lehnwörter und -wendungen kursieren in den Programmen von CDU, SPD, Grüne und FDP genauso wie Linke und AfD: zum Beispiel "EU-Forechecking", "Quick Freeze", "German Vote", "New Space", "Social Leasing". Während sich die einen Begriffe nicht sofort sprachlich erschließen, sind andere, die man scheinbar versteht, inhaltlich missverständlich: Wenn etwa die Grünen eine "Vision Zero" ausrufen: Gemeint ist kein Dienst für Umwelt und Natur, sondern das Ziel von 0,0 Verkehrstoten. Darauf muss man kommen.

Oder was soll "One in, one out" bedeuten, eine Forderung der FDP? Die CDU legt drauf: "One in, two out". So will man die Regelungswut des deutschen Staates in den Griff kriegen: Für jedes neue Gesetz sollen ein oder zwei gestrichen werden.

In einer aktuellen Untersuchung kommen auch Forscher der Universität Hohenheim zum Schluss, dass die Programme der Parteien "nur schwer verständlich und verdaulich" seien. Frank Brettschneider, Professor für Kommunikation, sagt: "Die Wahlprogramme schließen einen erheblichen Teil der Wählerinnen und Wähler aus."

Zehn besonders strange Politanglizismen

Für alle, die genau wissen wollen, für wen und vor allem wofür sie am 23. Februar ihre Häkchen auf dem Wahlzettel setzen, hier zehn besonders seltsame, also strange Erklärungen und Übersetzungen:

1. "Catcalling" ist Internet Slang, aber auch als analoge Handlung seit Jahrhunderten bekannt: Belästigung und Erniedrigung anderer, meistens Frauen, durch alle Arten von Anzüglichkeiten mit Worten und Bildern. Die SPD will es unter Strafe stellen.

2. "Social Leasing" ist eine Forderung der Grünen, die wollen, dass mehr Menschen E-Autos fahren. Für den Erwerb soll ein sozialverträgliches Programm zu Leasingbedingungen sorgen, also nichts anderes als "soziales Leasing".

3. "EU-Forechecking" ist eine vom Ice Hockey geliehene Strategie, um den Puck respektive die Gesetzesvorhaben der EU früher unter Kontrolle zu bekommen, also mitzuwirken.

4. "Anti-Gold-Plating" soll nicht billigen Goldschmuck verbieten, sondern laut CDU und FDP verhindern, dass EU-Recht durch zusätzliche deutsche Gesetze noch komplizierter wird.

5. "Quick Freeze" bedeutet "Schockfrosten" und ist ein Begriff aus der Hauswirtschaft, um möglichst alle Inhaltsstoffe von Lebensmitteln zu bewahren. Als Wortbild dient er für die "Vorratsdatenspeicherung" für die Strafverfolgung.

6. "German Vote" kritisiert deutsche Enthaltungen in Brüssel, die dort Verfahren erschweren. CDU und Grüne wollen es verhindern.

7. "Farm to Fork" ist ein Programm der EU. Die Produktion von Lebensmitteln soll auf allen Stufen - vom Bauernhof bis auf die Gabel der Konsumenten - dem "Green Deal" gerecht werden und dazu beitragen, dass der CO2-Ausstoß bis 2050 auf null reduziert wird.

8. "New Space" ist kein neuer Musik- oder Modetrend. Es war schon im vergangenen Wahlkampf ein Schlagwort. AfD, CDU und Grüne wollen die Entwicklung von Weltraumtechnologien nutzen. Investitionen und Nutzen für die Gesellschaft sollen steigen.

9. "Socialwashing" will die Linke unterbinden. Es ist dem "Greenwashing" entlehnt, das im Duden kompliziert erklärt wird: "Der Versuch, sich durch Geldspenden für ökologische Projekte als besonders umweltbewusst darzustellen". Socialwashing steht nicht einmal im Duden. Gemeint ist ein vergleichbares Verhalten, um sich sozial und gerecht darzustellen.

Mehr zum Thema

10. "De-Risking" ist für CDU, FDP, SPD und Grüne die Reduzierung des Risikos, das mit Geschäften in China verbunden ist.

Auch totale Gaga-Begriffe haben sich in die Programme verirrt. Den Vogel schießt mal wieder die Freie Denglische Partei ab, wenn sie "Topsharing" fordert. Was klingen soll wie "Jobsharing" für Führungskräfte, muss in der englischsprachigen Welt als Austausch von Oberbekleidung aufgefasst werden.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen