Panorama

Was widerfuhr den Passagieren? Gefühlsfolter für die Angehörigen

3hjl2635.jpg7260122990776856096.jpg

Seit fast zwei Wochen warten Freunde und Familien von Passagieren der verschollenen Boeing 777 auf sichere Informationen. Die Hoffnung auf ein Wunder schwindet, bei vielen könnte die Verzweiflung bald in Wut umschlagen.

Das zermürbende Prozedere führt Angehörige von Passagieren des Fluges MH370 täglich durch einen Korridor mangelnder Empathie. Im zweiten Stock des Pekinger Metro Park Hotels, in dem ein Teil von ihnen untergebracht ist, werden den Familien hinter verschlossenen Türen alle Neuigkeiten rund um die Suche nach der verschollenen Boeing 777 von Malaysia Airlines mitgeteilt. Seit 13 Tagen sind die Informationen, die sie erhalten, spärlich. Die Hoffnung auf ein Wunder schwindet, aber sie ist noch nicht bei allen versiegt. Doch sprechen wollen die allermeisten nicht über ihre Gefühle, wenn sie durch das Spalier von Journalisten laufen, die sich vor der Tür platziert haben.

Manche Angehörige wurden schon handgreiflich, heißt es,  weil sie ein Mikrofon unter die Nase gehalten bekommen haben und einfach nicht mehr wussten, wohin mit ihrer Wut. Dennoch werden diejenigen, die das Treffen besuchen, immer wieder aufs Neue bedrängt und mit Fragen bombardiert. Sie sollen Antworten geben, deren Inhalte doch eigentlich vorhersehbar sind. Denn die Gesichter der Menschen sprechen mehr als tausend Worte: Eine tiefe Leere hat sich in ihre Augen gefressen, wie sie Gesichter immer dann ergreift, wenn die Seele keinen Abzweig vom Pfad der Verzweiflung findet.

Viele Fragen werden wohl nie beantwortet werden

Die Nachricht, dass australische Satelliten mögliche Wrackteile geortet haben, ändert nichts an der emotionalen Tragödie, die Freunde und Verwandte durchleben. Wieder ein Informationsfetzen, der ihnen hingeworfen wurde, der aber das tiefe Bedürfnis nach detaillierten Erklärungen für das Schicksal der Maschine nicht stillen kann. Zumal nicht klar ist, ob es sich tatsächlich um Wrackteile handelt und wie schnell die Suche Aufschluss geben kann. Flugzeuge und Schiffe kreuzen in der Region, aber vielleicht benötigen sie Tage oder Wochen, ehe sie etwas finden.

Und selbst wenn in Kürze Wrackteile identifiziert werden, bleiben viele Fragen vorerst oder für immer offen. Was hat das Flugzeug in diese isolierte Region des Ozeans geführt, die tausende Kilometer abseits seiner geplanten Route liegt und rund 2500 Kilometer von der australischen Westküste entfernt? Ein technischer Defekt, eine Entführung, der geplante Selbstmord eines Piloten? Jahre können vergehen, bis die Antworten gefunden werden. Schlimmstenfalls werden die Ereignisse an Bord von MH370 für immer ein Rätsel bleiben.

Trauer in der Warteschleife

"Die Ungewissheit über die Hintergründe bedeutet für die Leute hier eine regelrechte Gefühlsfolter", sagt der Psychologe Lu Jisheng. Er ist ein zierlicher, kleiner Mann um die 40 mit Brille. Er trägt eine graublaue Uniform, die ihn als Mitarbeiter der Tzuchi-Organisation aus Hongkong ausweist. Die Gruppe leistet Menschen psychologische Hilfestellung bei Katastrophen jeder Art und hat einen buddhistischen Hintergrund, ähnlich wie die katholisch geprägte Caritas.

Lu ist wie die Angehörigen seit fast zwei Wochen in dem Hotel untergebracht und versucht zumindest zuzuhören, wenn jemand der Betroffenen Bedarf hat, mit ihm zu reden. Nach 13 Tagen fällt es auch den größten Optimisten schwer, noch immer an ein Überleben der 239 Menschen an Bord zu glauben. "Manche Angehörige haben damit begonnen, den Verlust eines geliebten Menschen zu akzeptieren", sagt Lu. Erst dann könne auch die Trauerphase beginnen und das Geschehene verarbeitet werden. Viele Betroffene wollen aber nicht einmal mit einem Psychologen reden. Stattdessen versuchen sie im engen Kreis der Familie, oder versunken in sich selbst ihr Innenleben zu ordnen.

Wut auf Peking und sein Krisenmanagement

Dass sich die Verzweiflung in Wut verwandeln könnte, ist auch eine Sorge der chinesischen Regierung. Denn die Angehörigen projizieren ihren Ärger nicht nur auf die Fluggesellschaft oder die ermittelnden Behörden in Malaysia, denen sie mangelnde Transparenz vorwerfen, sondern auch auf die chinesische Regierung. Die müsse viel mehr Druck ausüben auf Malaysia, um die Suche nach dem Flugzeug zu intensivieren, forderten die Menschen in den vergangenen Tagen. Im Internet läuft bereits eine Debatte über die Qualität des Krisenmanagements Pekings.

153 Menschen an Bord von MH370 waren Chinesen. Der Flug war in der Nacht zum 8. März in Kuala Lumpur in Richtung Peking gestartet. Entsprechend groß steht die Suche in der Volksrepublik im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Sondersendungen im Fernsehen und Aufmacher in den Tageszeitungen drehen sich um das Schicksal der Boeing. Die chinesische Regierung beteiligt sich intensiv an der Suche. Sie hat den australischen Behörden zudem jede Unterstützung zugesagt, die nötig sei. Peking hat einen Eisbrecher sowie drei Schiffe der Marine in die Region beordert. Zwei Rettungsschiffe seien ebenfalls auf dem Weg, teilte die Regierung mit.

Die Pekinger Behörden haben unterdessen die Angehörigen der Passagiere auf mehrere Hotels in der Stadt verteilt. So verhindern sie auch, dass sich Wut bündelt und womöglich gemeinsam entladen kann. Um das Metro Park Hotel haben sich Dutzende Einsatzfahrzeuge der Polizei postiert, aber auch Krankenfahrzeuge für den Fall, dass notärztliche Hilfe nötig wird, wenn die Angst vor der Todesnachricht Realität wird und Verwandte die Nerven verlieren. An beiden Eingängen des Gebäudes sind Sicherheitsschleusen aufgebaut. Mit Metalldetektoren wird jeder Besucher auf mögliche Waffen oder Bomben inspiziert.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen