Panorama

Tragisches Versehen oder eiskalter Mord? Viele Unklarheiten im Fall Pistorius

Pistorius im August 2013 vor Gericht.

Pistorius im August 2013 vor Gericht.

(Foto: dpa)

Bisher stand Oscar Pistorius' Name für eine der unglaublichsten Sportkarrieren der Welt. Doch nun kämpft der Mann mit den Karbonprothesen um ein Leben in Freiheit. Dafür muss er das Gericht überzeugen, dass er seine Freundin Reeva Steenkamp nicht ermordet hat. Das könnte nicht so einfach sein.

Am 14. Februar 2013 feuert Oscar Pistorius in seinem Haus in Pretoria vier Kugeln durch die geschlossene Badezimmertür und tötet seine Freundin, die 29-jährige Reeva Steenkamp. Der beinamputierte Sprintstar und das Model auf immer verbunden durch eine schreckliche Tragödie am Valentinstag, das hätte sich auch ein Romanautor nicht besser ausdenken können.

Doch außer der Tatsache, dass Steenkamp tot ist, gibt es nicht viele Klarheiten in diesem Fall. Pistorius' Version des Tatabends ist, dass er gemeinsam mit seiner Freundin einen ruhigen Abend zu Hause verbracht habe. Nach dem gemeinsamen Abendessen habe er ferngesehen, Steenkamp habe ein wenig Yoga gemacht. Dann seien sie zu Bett gegangen.

Streit und Vertuschung?

Steenkamp und Pistorius im November 2012.

Steenkamp und Pistorius im November 2012.

(Foto: dpa)

Die Staatsanwaltschaft zweifelt diese Darstellung an, denn Nachbarn haben ausgesagt, dass sie an jenem Abend lautes Rufen und Schreie aus dem Haus des Paares gehört hätten. Vor dem Hintergrund eines heftigen Streites wirkt Pistorius' Erklärung, er habe Steenkamp für einen Einbrecher gehalten und deshalb durch die geschlossene Badtür gefeuert, nicht sehr glaubwürdig. Doch die Auseinandersetzung ist nicht bewiesen. Die Tatsache, dass Steenkamp ihr Handy mit auf die Toilette nahm, könnte als Indiz gewertet werden. Ob sie von dort aus jemanden anrief, ist jedoch unklar. Auch Pistorius' Handy wurde von der Polizei beschlagnahmt. Doch obwohl der 27-Jährige den Behörden angeblich das korrekte Passwort für sein iPhone genannt hat, konnten sie bisher nicht auf die Daten des Mobiltelefons zugreifen. Damit bleibt offen, ob möglicherweise Textnachrichten einen Streit belegen oder nicht.

Pistorius' Telefon könnte auch noch aus einem anderen Grund wichtig für die Beweisaufnahme sein. Denn nach den Schüssen rief Pistorius nicht als erstes die Polizei an, sondern Johan Stander von der Verwaltung des Wohnkomplexes, in dem sein Haus steht. Außerdem telefonierte er mit dem privaten Gesundheitsdienst Netcare. Allerdings rief er dann um 3.20 Uhr auch die Polizei an. In der Kautionsverhandlung setzte Pistorius' Anwalt Barry Roux mit dem amtlichen Nachweis dieses Gesprächs immerhin den damaligen Chefermittler Hilton Botha schachmatt. Der hatte fälschlicherweise behauptet, Pistorius habe die Polizei gar nicht angerufen.

Da das nicht Bothas erster Fehler in der Angelegenheit war , musste er kurz darauf seinen Hut nehmen. Der erfahrene Polizist hatte bei der Spurensicherung das Haus von Pistorius ohne entsprechende Schutzkleidung an den Schuhen betreten. Zudem war Munition vom Tatort verloren gegangen und Botha hatte Medikamente, die in Pistorius' Haus gefunden worden waren, als Testosteron-Steroide bezeichnet. Nach Abschluss der Untersuchungen stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei der Substanz um ein homöopathisches Präparat handelte, das sich Pistorius spritzte. Damit wurde zumindest die Anschuldigung unglaubwürdig, Pistorius habe unter dem Einfluss von aggressiv machenden Dopingmitteln gestanden.

Pornos und Prothesen

Doch es bleiben noch genügend offene Fragen. "Wir waren zutiefst verliebt und hätten nicht glücklicher sein können. Ich weiß, sie hat genauso gefühlt", hatte der Paralympics-Star vor einem Jahr vor Gericht zu Protokoll gegeben. In der Tatnacht soll er jedoch pornografische Seiten im Web besucht haben. Kann ein Paar einen harmonischen Abend verlebt haben, wenn der Mann nebenher Pornos guckt? Bisher ging die Staatsanwaltschaft auch sicher davon aus, dass Pistorius auf seinen Prothesen stand, als er die tödlichen Schüsse abfeuerte. Dies spräche gegen seine Aussage, er habe in Panik nach seiner Waffe gegriffen und sei ohne Prothesen zum Bad gehastet. Vor dem Prozess berichteten nun südafrikanische Medien, die Ballistikuntersuchungen belegten, dass Pistorius keine Beinprothesen getragen habe. Heißt das nun umgekehrt, Pistorius hat nicht überlegt gehandelt?   

Und welche Rolle werden frühere Ermittlungen gegen Pistorius im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt spielen? War er krankhaft eifersüchtig, oder neigte er unter Alkoholeinfluss dazu, Frauen zu bedrängen oder mögliche Nebenbuhler zu attackieren? War Reeva Steenkamp tatsächlich im Nachthemd, wie es in den Tagen nach der Tat überall zu lesen war? Oder war sie vollständig bekleidet, um Pistorius' Haus zu verlassen?  

Die Besten der Besten

Weite Teile der südafrikanischen Öffentlichkeit scheinen ihr Urteil bereits gefällt zu haben. Sie nehmen Pistorius nicht ab, dass er bei den tödlichen Schüssen auf Steenkamp hinter der verschlossenen Badezimmertür wirklich einen Einbrecher vermutet hatte. Ihnen scheint die These des Staatsanwalts plausibler, Pistorius habe seine damals 29-jährige Freundin vorsätzlich umgebracht. Es ist die Entscheidung zwischen grob fahrlässiger Tötung mit bis zu 15 Jahren Haft und vorsätzlichem Mord. Darauf steht lebenslang.

Deshalb hat Pistorius mit Barry Roux nicht nur einen erfahrenen, gewieften und auch extrem teuren Anwalt verpflichtet, sondern außerdem noch den angesehenen Forensiker Reggie Perumal sowie eine erfahrene Kommunikationsexpertin. Auf Anneliese Burgers, die früher als investigative Reporterin unterwegs war und inzwischen eine eigene PR-Firma besitzt, könnte die Rolle zukommen, die öffentliche Meinung über Pistorius zu drehen. Nach der Entscheidung, dass der Prozess in weiten Teilen im Fernsehen übertragen werden darf, dürfte ihre Rolle noch wichtiger geworden sein.

Die offizielle Webseite des Blade-Runners wurde schon unmittelbar nach Steenkamps Tod zu einem Sprachrohr der Familie Pistorius über den Fall umfunktioniert. Die letzte Nachricht dort ist vom 14. Februar, Steenkamps erstem Todestag. Darin versichert Pistorius, dass ihn der Verlust von Reeva und das Trauma dieses schrecklichen Valentintages für den Rest seines Lebens begleiten werde.

Quelle: ntv.de

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