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Ein Jahr trocken Vom Alltagsalkoholiker ins nüchterne Leben

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Gerade die Adventszeit verlockt viele Menschen zum Trinken.

Gerade die Adventszeit verlockt viele Menschen zum Trinken.

(Foto: IMAGO / Future Image)

Egal, ob Weihnachten, bei Geburtstagen oder im Urlaub: Ein Leben ohne Alkohol können sich viele Menschen überhaupt nicht mehr vorstellen. So ging es auch Felix Hutt vor noch nicht allzu langer Zeit. Doch dann wagte er ein Experiment mit weitreichenden Folgen.

Alkohol spielt eine zentrale Rolle bei vielen gesellschaftlichen Anlässen, sei es beim Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, dem Sekt bei Firmenfeiern oder dem Champagner an den Feiertagen. Doch wie verändert sich das Erlebnis, wenn man auf Alkohol verzichtet? RTL-Investigativreporter und Autor Felix Hutt wagte ein solches Experiment und entschloss sich, ein ganzes Jahr lang keinen Alkohol zu trinken, beginnend an seinem 44. Geburtstag. In seinem Buch "Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol" teilt er seine Erfahrungen und reflektiert über die tief verwurzelte Alltagsgewohnheit des Alkoholkonsums in unserer Gesellschaft. Im Interview mit ntv.de schildert Hutt, welche sozialen Reaktionen er auf seinen Verzicht erlebte und in welchen Situationen ihm es besonders schwerfiel, nüchtern zu bleiben.

ntv.de: Wie sah Ihr Alkoholkonsum vor dem Experiment aus?

Felix Hutt: Ich war ein sogenannter Alltagsalkoholiker. Ich habe vier- bis fünfmal die Woche getrunken, meistens in Gesellschaft und eigentlich nie zu Hause. Es ging meistens mit zwei bis drei Bierchen nach Feierabend los, darauf folgten gerne mal mit Freunden ein bis zwei Flaschen Wein und hinten raus gab es dann noch Longdrinks wie zum Beispiel Gin Tonic.

Würden Sie selbst Ihr Trinkverhalten damals als problematisch beschreiben?

Ja. Alltagsalkoholiker machen sich etwas vor, weil sie sich von den Alkoholikern auf der Parkbank abgrenzen wollen. Aber ob man problematisch trinkt, kann man ganz einfach überprüfen, indem man mal ein ehrliches Trinktagebuch führt. Und wenn man dann feststellt, dass man an vier bis fünf Tagen die Woche ziemlich viel Alkohol konsumiert, kann man von einem Problem sprechen. Ich verwende immer die Formulierung: "Ich habe ein Problem im Umgang mit Alkohol gehabt." Das ist auch die Formulierung, die ich vielen Alltagsalkoholikerinnen und -alkoholikern nahelegen würde, weil man dann diese Stigmatisierung von "Ich bin ein Alkoholiker" vermeidet. Mein Buch richtet sich an die bürgerliche Mitte, die ein Alkoholproblem gerne weit von sich weist.

Wieso haben Sie sich entschlossen, ein Jahr lang nichts zu trinken?

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Bei mir waren das mehrere Gründe. Das ging schon los im Corona-Lockdown. Da ich meistens in der Gastronomie und in Gesellschaft getrunken habe, ist mir da schon mal zum ersten Mal aufgefallen, dass es mir relativ gut ging ohne Alkohol. Im Lockdown war ich sehr klar und produktiv. Das war das erste Mal, dass ich dachte, es könnte eine gute Alternative für mich sein, nichts zu trinken. Ich hatte im Laufe der Zeit ein großes Problem mit den Katern bekommen. Wenn ich Samstagabend feiern war, habe ich bis Mittwoch oder Donnerstag in der nächsten Woche gebraucht, bis ich wieder einigermaßen gut drauf war. Aus dem Kater wurde dann eine schwere Verstimmung und das wollte ich nicht mehr. Ich habe eine kleine Tochter und einen sehr anstrengenden Beruf, auch vor der Kamera bei RTL, da wollte ich mich nicht mit Alkohol und Katern zusätzlich belasten.

Wie schwer fiel Ihnen der Verzicht?

Anfangs sehr schwer. Da kommen zwei Sachen zusammen: Zum einen ist auch bei Alltagsalkoholikern eine physische Abhängigkeit vorhanden, wie beim Raucher. Deswegen stört mich auch so, dass Nüchternsein gerade so ein bisschen in eine Wellnessecke gepackt wird, als sei das eine freie Entscheidung wie Yoga oder Pilates. Zum anderen ist natürlich der gesellschaftliche Druck vorhanden. Alkohol ist überall präsent und an jeder Ecke zu haben. Alkohol ist die einzige Droge, für die Sie sich rechtfertigen müssen, wenn Sie sie nicht mehr konsumieren. Gehen Sie mal auf den Christkindlmarkt und stellen Sie sich mit einem stillen Wasser hin. Dann sind Sie der Einzige, der es richtig macht und alle stehen drumherum mit Glühwein. Die schauen Sie an, als hätten Sie eine Krankheit. Das macht natürlich etwas mit Menschen. Es ist extrem hart, dann immer wieder zu sagen und zu erklären, weshalb man nichts trinken möchte. Und so war es auch bei mir.

Was waren die größten Trigger für Sie?

Ein großer Trigger war, wenn die Trinksaison im Frühjahr wieder draußen losging. Alle saßen da in den Cafés und in den Biergärten mit Bier, Wein oder Aperol Spritz in der Sonne. Der zweite Trigger war für mich als Münchner das Oktoberfest, weil ich damit aufgewachsen bin und weil es auch mehr ist als nur trinken. Man trifft sich einmal im Jahr mit seinen Freunden und feiert ausgelassen. Ohne Alkohol ist das überhaupt nicht vorstellbar für die meisten Leute. Ich bin trotzdem für ein Kapitel im Buch auch in dem Jahr nüchtern auf das Oktoberfest, was sehr lustig war.

Sie schreiben im Buch von einigen Rückfällen. Können Sie einen davon genauer beschreiben?

In dem Jahr ist Bayern München in allerletzter Minute in Köln mit dem Ausgleichstor von Jamal Musiala noch deutscher Meister geworden. Ich bin Münchner und Bayern-Fan und ich konnte mir in dem Moment einfach nicht vorstellen, diesen überraschenden Titel mit stillem Wasser zu feiern. Da bin ich dann für eine Nacht abgerutscht, habe gefeiert und aus dieser Feier ist dann das Kapitel "Der Sommer der letzten Male" entstanden. Wie man schon hört, der Sommer der letzten Male, Plural. Es war dann leider nicht der einzige Rückfall.

Das klingt schon so, als ob vor allem der Sommer bei Ihnen ein Problem ist.

Ja. Der Sommer ist mit Genuss besetzt. Man trinkt draußen, fährt gerne in den Urlaub. Vor allem im Urlaub wollen sich die Leute entspannen, ausruhen und erholen. Wenn sie aber in südliche Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich reisen, dann ist das sofort wieder mit Alkohol verbunden. Man ist dann eigentlich jeden Tag im Urlaub am Trinken, aber natürlich dient das angeblich nur der Entspannung. Man trinkt halt da ein Gläschen und dort eine Flasche Weißwein. Aber wir sind schließlich in Spanien. Da gehört es ja zur Lebenskultur. Am Ende des Tages geht es aber nur darum, seinen Pegel zu halten.

Das ist wie der Sauftourismus am Ballermann. Es gibt sehr viele Anlässe über das Jahr verteilt, die praktisch ja auch dafür gemacht worden sind, um zu trinken.

Genau. Es gibt die Karnevalssaison in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. In Bayern gibt es das Oktoberfest. Eigentlich hat man ständig Möglichkeiten und Anlässe, zu trinken. Mit denen muss man natürlich auch lernen, langfristig und nachhaltig umzugehen, wenn man abstinent leben will. Eine Methode ist dann das Wegbleiben. Eine andere Methode ist, sich dem mal ganz bewusst auszusetzen und sich das nüchtern anzugucken. Das habe ich für mein Buch gemacht.

Felix Hutt, geboren 1979, ist Autor und Investigativ-Reporter bei RTL. In seinem neuen Buch "Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol." widmet er sich dem Alkohol, der Abstinenz und der Freiheit, die im Rausch der Nüchternheit liegt.

Felix Hutt, geboren 1979, ist Autor und Investigativ-Reporter bei RTL. In seinem neuen Buch "Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol." widmet er sich dem Alkohol, der Abstinenz und der Freiheit, die im Rausch der Nüchternheit liegt.

(Foto: Copyrights (©Matthias Ziegler))

Viele Leute haben die Angst, dass es dann langweilig ist ohne Alkohol und sie gar keinen Spaß mehr haben werden. Wie war das bei Ihnen?

Erst mal ist das ja traurig, wenn man seinen Spaß oder sein Feiern mit einem sehr ungesunden Alkoholrausch besetzen muss. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn ein Abendessen lustig und amüsant war, es für mich auch als Abstinenzler amüsant und lustig war. Wenn es langweilig war, dann war es auch ohne Alkohol langweilig. Aber ohne Alkohol verzichtet man nicht nur, vieles wie zum Beispiel das Flirten wird deutlich besser, weil man sich die andere Person nicht schöntrinken muss, man sich ohne Alkohol viel besser auf sie einlassen kann. Wenn ich jemanden nüchtern auf dem Oktoberfest kennenlerne und er oder sie gefällt mir, dann gefällt mir die Person auch am nächsten Tag noch. Wenn ich 2,5 Promille hatte, dann habe ich Schwierigkeiten, mich am nächsten Tag überhaupt daran zu erinnern, mit wem ich mich unterhalten habe.

Wie haben andere Menschen auf Ihr Vorhaben reagiert?

Ich habe glücklicherweise einen sehr heterogenen und auch liberalen Freundeskreis. Da hat mich keiner ausgegrenzt. Seitdem ich mich mit dem Thema befasse, wollen aber alle immer über ihr eigenes Trinkverhalten reden. Es ist schon faszinierend, dass wenn jemand mir gegenüber sitzt und ich nichts trinke, er sein eigenes Trinkverhalten an meins koppelt und dann auch nichts trinken möchte. Das muss aber nicht sein. Wenn es Genuss und Freude für dich bedeutet, Alkohol zu trinken, dann mach es doch einfach.

Es herrscht ja oft ein gesellschaftlicher Druck zum Trinken. Wie haben Sie das empfunden?

Wenn man mit 14, 15 oder 16 Jahren anfängt zu trinken, ist irgendwann fast alles mit Alkohol verbunden. Geht man zum Grillen, assoziiert der Kopf das direkt mit einem kalten Bier. Es sind wahnsinnig viele Dinge mit Alkohol besetzt und da muss man sich erst mal selbst von befreien. Das dauert und ist nicht so einfach. Gleichzeitig muss man damit klarkommen, dass es dann auch noch ständig thematisiert wird. Man hat eigentlich schon genug damit zu tun, im Biergarten mit einem alkoholfreien Getränk zu sitzen. Und dann kommen auch noch Kommentare wie: "Was ist denn mit dir los? Warum trinkst du nichts?"

Wird es irgendwann leichter, damit umzugehen?

Nach sieben bis acht Monaten fand bei mir ein Umkehrprozess statt. Auf einmal musste ich mich nicht mehr gegen das Trinken entscheiden, sondern proaktiv fürs Trinken. Diese Entscheidung habe ich dann kaum noch getroffen. Ich vermisse heute weder den Alkohol noch seine Nachwehen.

Welche Veränderungen sind Ihnen bei sich selbst aufgefallen in dem Jahr des Verzichts?

Das eine ist die körperliche Veränderung. Ich bin Leistungssportler, spiele Tennis. Das heißt, ich habe das alles sehr direkt erfahren. Ich hatte keine Krankheiten mehr. Ich war das ganze Jahr über gesund. Ich hatte eine Übersäuerung der Achillessehne, die weggegangen ist und Probleme in der Schulter, die ebenfalls verschwunden sind. Ich bin viel ausdauernder, fitter, obwohl ich älter geworden bin. Ich schlafe auch viel besser. Dazu kommen die psychischen Vorteile, ich bin viel gelassener, nicht mehr so oft gereizt, habe eine höhere Frustrationstoleranz.

Trinken Sie wieder Alkohol?

Nein. Ich habe dieses Jahr einmal eine Ausnahme für das Oktoberfest gemacht und danach festgestellt, dass ich auch das nicht mehr möchte. Seitdem trinke ich nichts. Nächstes Jahr werde ich zum Oktoberfest wegfahren. Man muss sich manchmal einfach eine Alternative suchen, den Alkoholrausch mit einem gesünderen Rausch austauschen.

Nun gibt es sicherlich einige Leserinnen oder Leser, die ebenfalls auf Alkohol verzichten möchten. Wie schafft man es jetzt gerade über Weihnachten und Silvester, standhaft zu bleiben?

Es ist nicht so schlimm, Nein zu sagen. Gerade Weihnachten ist bei vielen Menschen damit assoziiert, bereits vormittags schon ein Gläschen Champagner mit der Familie zu trinken. Später gibt es noch Rotwein oder andere alkoholische Getränke. Dies kann man einfach weglassen. Man redet immer nur vom Verzicht. Wenn ich aber dann am 25. oder 26. Dezember morgens ein Stündchen joggen oder ins Gym gehe, dann werde ich ja dafür mit einem guten Gefühl belohnt, anstatt die Weihnachtsfeiertage verkatert zu verbringen. Man redet immer vom Verzicht, aber nicht von den Belohnungen, die einem ein abstinentes Leben schenkt. Ich schlafe gut, bin morgens um acht Uhr fit und kann dann mit meiner neuen Lebensqualität etwas anstellen. An Silvester kann man sich überlegen, welche Alternativen es zum Trinken gibt. Mache ich eine schöne Reise? Gönne ich mir eine Kulturveranstaltung? Wie kann ich mich vom Alkohol ablenken? Worauf freue ich mich und was kann ich mit dem gesparten Geld, das ich sonst für Alkohol ausgegeben hätte, jetzt alles machen?

Welche gesellschaftlichen Veränderungen würden Sie sich beim Thema Alkohol wünschen?

Eltern sollten sich darüber bewusst werden, wie sie mit ihrem Trinkverhalten auch ihre Kinder beeinflussen. Wir achten bei Kindern sehr darauf, dass wir gute Vorbilder sind. Wir gehen bei Rot nicht über die Ampel. Wir sagen keine Schimpfwörter vor Kindern, aber wir trinken vor ihnen und das ist natürlich ein großes Problem. Das Kind speichert dann ab, dass das bei vielen Gelegenheiten völlig normal ist. Wenn sie dann älter werden, übernehmen sie die Verhaltensmuster und trinken auch. Und so züchten wir uns immer wieder eine nächste Generation an Trinkern heran. Die Zielgruppe meines Buchs sind jene Menschen, die seit ihrer Jugend immer mit Alkohol in ihrem Leben konfrontiert waren und jetzt, wie ich, ihr Trinkverhalten hinterfragen möchten. Warum überlegen wir uns so selten, wie sehr uns unser Alkoholkonsum langfristig schadet? Beim Thema Geld sind wir ja auch in der Lage dazu, langfristig zu denken. Wir verzichten jeden Monat auf 100 Euro oder 200 Euro und legen das Geld in einem ETF-Sparplan oder in der Lebensversicherung an, weil wir wissen, dass wir später im Leben davon profitieren. Warum machen wir nicht das Gleiche mit unserer Gesundheit? Verzichten jetzt auf die Räusche, verringern damit aber das Risiko von Krebs und Herzinfarkt? Alkohol ist der Verursacher von vielen Krankheiten, auch Krebs, die häufig erst später auftreten. Warum machen wir uns das nicht bewusst? Warum investieren wir nicht langfristig in unsere Gesundheit, auch indem wir unseren Alkoholkonsum hinterfragen? Dazu möchte ich mit meinem Buch unter anderem ermutigen.

Mit Felix Hutt sprach Isabel Michael

Quelle: ntv.de

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