Juristen halten Pistorius für schuldig War Richterin Masipa zu milde?
12.09.2014, 12:36 Uhr
Das wichtigste Urteil nahm Pistorius stehend zur Kenntnis.
(Foto: dpa)
Noch steht nicht fest, ob oder wie lange Oscar Pistorius für die Schüsse auf Reeva Steenkamp ins Gefängnis muss. Doch schon die Tatsache, dass er lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen wurde, bringt viele Juristen auf. In Deutschland wäre das Urteil anders ausgefallen.
Richterin Thokozile Masipa muss sich für ihre Urteilsfindung im Fall Oscar Pistorius viel Kritik anhören. Südafrikanische Juristen zeigten sich schockiert von der Entscheidung der Richterin, ihn von jedem Vorsatz freizusprechen. "Es gibt einen Konsens unter Juristen, dass er des Mordes schuldig ist", sagte etwa der Johannesburger Strafrechtler Martin Hood. "Wie kann man absichtlich vier Schüsse auf eine Toilette abfeuern und nicht absehen, dass derjenige darin womöglich getötet wird?", schrieb der Strafrechtsexperte James Grant bei Twitter.
M asipa hatte Pistorius von den Vorwürfen des Mordes und des Totschlags freigesprochen und ihn lediglich der fahrlässigen Tötung und des fahrlässigen Schusswaffengebrauchs in einem Restaurant für schuldig befunden. Das Urteil fiel einstimmig zwischen Masipa und ihren Beisitzern Themba Mazibuko und Janet Henzen-du Toit. 19 Monate zuvor hatte der unterschenkelamputierte Sprintstar seine Freundin Reeva Steenkamp in seinem Haus mit vier Schüssen getötet.
Der Angeklagte hatte die Schüsse eingeräumt, aber angegeben, einen Einbrecher in der Toilette vermutet zu haben. Vor Gericht sprach er einmal von Notwehr, weil er sich bedroht gefühlt habe, ein anderes Mal sprach er von einem Unfall. Eine Absicht, Steenkamp zu töten, sei ihm nicht nachzuweisen gewesen, erklärte Richterin Masipa.
Freibrief für Mörder?
Dass er nun sowohl vom Mordvorwurf als auch vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen wurde, birgt für den Juristen Hood eine Gefahr. Für Menschen, die ihre Partner töten und dies als Notwehr bezeichneten, könne der Freispruch "die Tür zu einem systematischen Missbrauch unserer Gesetze öffnen".
Anwalt David Dadic aus Johannesburg sagte, er und viele andere Kollegen seien "fassungslos". Denn der Tod des Menschen hinter der Toilettentür, unabhängig davon, wer das Opfer war, erscheine als nicht absehbar. Für ihn ist offenkundig, "dass der Tod auf Fahrlässigkeit, auf sehr große Fahrlässigkeit zurückzuführen ist."
Juraprofessor Grant von der Universität Wits verwies auf die Möglichkeit des Staates, das Urteil anzufechten. Die Richterin akzeptiere nicht, dass der Beschuldigte jemanden habe töten wollen. "Seine Verteidigung war es, dass er nicht beabsichtigte, ILLEGAL zu töten", schrieb er auf Twitter.
10 bis 15 Jahre für Totschlag
In Deutschland wäre Oscar Pistorius nach Einschätzung von Juristen wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt worden. Am wahrscheinlichsten sei eine Verurteilung wegen Totschlags, führte Erik Olaf Kraatz von der Kanzlei Dr. Schulte und Partner in einer Stellungnahme zu dem südafrikanischen Urteil aus. Der Strafrahmen hätte nach seinen Worten bei 10 bis 15 Jahren gelegen, je nach den Umständen der Tat.
Die Kanzlei stellte die Frage, wie man annehmen könne, "dass einem Schützen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, der seine Waffe viermal hintereinander abfeuert, nicht klar gewesen sei, dass er damit einen Menschen töten kann?" Auch wenn sich Pistorius tatsächlich gegen einen Einbrecher in seinem Haus hätte wehren müssen, hätte er nach Ansicht der Rechtsexperten einen Warnruf und einen warnenden Schuss abgeben müssen. Das Strafmaß steht mit dem Urteil in Pretoria noch nicht fest: Zwischen 15 Jahren Haft und Bewährung ist noch alles möglich.
Quelle: ntv.de, sba/AFP