Spaß mit tödlichem Ausgang Was steckt hinter den gefährlichen Online-Challenges?


Mit Smartphones gegen die Langeweile: Bei Jugendlichen nicht mehr wegzudenken.
(Foto: iStockphoto/Phoenixns)
Online-Challenges sorgen oft für Negativschlagzeilen, nicht selten mit Todesfällen. Plattformen werden schnell verantwortlich gemacht. Medienpsychologe Benjamin P. Lange sieht das Problem woanders.
Ende Mai endet in Auckland ein scheinbar harmloser Wettbewerb mit einem Toten. Zwei junge Männer rennen bei der sogenannten "Run-it-straight"-Challenge ohne Schutzausrüstung frontal aufeinander zu. Das Prinzip: Wer nach dem Aufprall noch stehen bleibt, hat gewonnen. "Wir möchten alle ermahnen, die an einem Spiel oder einer Veranstaltung wie dieser teilnehmen wollen, an die enormen Sicherheits- und Verletzungsrisiken zu denken", warnt Ross Grantham von der neuseeländischen Polizei nach dem Vorfall.
Die "Run-it-straight"-Challenge ist nur ein Beispiel für neue Mutproben, die von Social Media befeuert werden und tödlich enden können. Die Blackout-Challenge, bei der sich Jugendliche bis zur Ohnmacht würgen, forderte weltweit 15 bis 20 Todesopfer, meist Kinder zwischen 8 und 14 Jahren. Ein 13-jähriges Mädchen aus dem Kreis Kassel war eines davon. Die Cinnamon-Challenge, bei der ein Löffel Zimtpulver ohne Wasser geschluckt wird, führte zu Todesfällen, darunter war 2015 ein vierjähriger Junge aus Kentucky. Die Hot-Chip-Challenge, bei der scharfe Chips gegessen werden, endete für mehrere Jugendliche mit Krankenhausaufenthalten. Und beim Carsurfing, bei dem Teilnehmer auf fahrenden Autos balancieren, kam es wiederholt zu tödlichen Unfällen.
Status, Attraktivität und evolutionäre Vorteile
Während medial vorwiegend Fälle bekannt geworden sind, bei denen besonders junge Kinder betroffen sind, zeigen zahlreiche Studien und Statistiken, dass eine bestimmte Gruppe besonders anfällig für halsbrecherische Herausforderungen ist: "Das sind vor allem junge Männer", sagt Medienpsychologe Benjamin P. Lange von der IU Internationalen Hochschule im Interview mit ntv.de. "Die Rivalität, insbesondere die innergeschlechtliche Rivalität unter jungen Männern, ist sehr stark."
Schon die Kreuze entlang von Landstraßen, die fast immer männliche Namen tragen und deren Geburts- und Todesdatum oft eine Differenz von 18, 19 oder 20 Jahren ergeben, belegen diese Affinität in seinen Augen eindrücklich. Lange spricht von "Wettkampfaggression", die im Prinzip durch die Anwesenheit eines Rivalen ausgelöst wird: "Ich will siegen. Die Challenge, um die es hier geht, ist ja genauso: Es geht darum, aufeinander zuzurennen, und wer stehen bleibt, hat gewonnen." Letztlich dreht sich dabei alles um Status, Attraktivität und evolutionäre Vorteile.
Auch wenn laut Kinderschutzorganisation KlickSafe lediglich ein Prozent der auf TikTok ausgewerteten Videos potenziell tödliche Challenges zeigt: Laut US-Statistiken gaben 67 Prozent der befragten Teenager an, im vergangenen Jahr mindestens eine gefährliche Online-Challenge gesehen zu haben. Eine von TikTok selbst in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2021 zeigte: Immerhin 0,3 Prozent von 10.000 befragten Teenagern gaben an, an Challenges teilgenommen zu haben, die sie für "sehr gefährlich" hielten. Angesichts der geschätzten Nutzerzahl von fast einer Milliarde Menschen täglich wirkt dieser Wert nicht mehr gering.
Kein mediales Phänomen
Die Schuld an den tragischen Vorfällen wird dementsprechend meist in den Sozialen Medien gesucht. In Deutschland fordern Petitionen deshalb ein Verbot sozialer Medien für unter 16-Jährige, Australien hat bereits entsprechende Gesetze erlassen. Eltern, Lehrkräfte und Experten warnen eindringlich vor den Risiken - die Faszination für die Herausforderungen aber bleibt.
Denn dieses Verhalten ist weder neu noch ein mediales Phänomen, betont der Psychologe: "Es gibt Kulturen ohne unser Medienangebot, in denen junge Männer trotzdem Bungee-Jumping machen, sich eine Wurzel um die Knöchel binden und irgendwo runterspringen. Jeder Zehnte landet im Rollstuhl. Sie machen das trotzdem." Jetzt aber gibt es Soziale Medien, und die Mutproben gehen viral, sind geradezu ansteckend.
Die Plattformen reagieren unterschiedlich: TikTok etwa blockiert gefährliche Suchbegriffe und löscht entsprechende Videos. Doch die Verbreitung lasse sich kaum vollständig stoppen, wird argumentiert. Für Lange ist das wenig glaubhaft: "Die leben vom Traffic, von Klicks, Zuschauerzahlen, Likes und Abonnenten. Das zieht Publikum an. Wenn mir jemand von TikTok oder Instagram ehrlich sagen würde: 'Wir wollen das gar nicht rausfiltern, weil wir damit Traffic machen', würde ich sagen: 'Danke für die ehrliche Antwort.'"
Ein Verbot würde nichts bringen
Wettkämpfe machten junge Männer ohnehin - durch Social Media kommen sie lediglich auf entsprechende Ideen, ist sich der Experte sicher. Eine weitere Triebfeder für die Teilnahme an Online-Challenges ist Langeweile. "Junge Männer machen diesen Unsinn, weil sie sich langweilen und Stimulation brauchen. Besonders dann, wenn sie nichts zu tun haben, kommt so eine blöde Idee."
Ein Verbot von sozialen Medien hält der Psychologe für wenig erfolgversprechend: "Dann wird es nur noch reizvoller. Manche Jungs werden erst recht darauf aufmerksam: 'Das gibt es auf TikTok nicht mehr, aber ich habe es woanders gefunden.' Das bringt also nichts." Die Lösung sieht er darin, den natürlichen Drang nach Wettkampf in geregelte, am besten sportliche Bahnen zu lenken: "Das kann dann auch Kampfsport sein, solange es geregelt abläuft und jemand aufpasst, dass es nicht zu weit geht."
Quelle: ntv.de