Herrmann revidiert Falschaussage Das wissen die Ermittler über den Täter von München
14.02.2025, 14:31 Uhr Artikel anhören
Am Donnerstag fuhr Farhad N. mit seinem Mini Cooper in die Demonstration der Gewerkschaft Verdi.
Kurz nach dem Anschlag in München wendet sich Bayerns Innenminister Herrmann mit vermeintlichen Informationen zum Täter an die Presse. Später wird klar, dass das nicht stimmt. Inzwischen gibt es neue Details. Laut einem Bekannten war der Afghane "koraninteressiert".
Kerzen und Blumen erinnern am Münchener Stiglmaierplatz an den gestrigen Anschlag, bei dem ein junger Afghane mit seinem Auto von hinten in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi gerast war. Polizeiangaben zufolge sind 36 Menschen verletzt worden. Demnach gibt es zwei Schwerverletzte, darunter ein Kind. Kurz nach der Tat hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erste Informationen zum Täter mitgeteilt, die sich später allerdings als falsch erwiesen.
Gesichert ist: Bei dem Täter handelt es sich um den 24-jährigen Farhad N. Er sei Ende 2016 als unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter von Afghanistan nach Deutschland gekommen, wie Herrmann am Abend berichtete. Sein Asylverfahren sei im Jahr 2020 endgültig abgeschlossen gewesen - mit einem Ablehnungsbescheid und der Aufforderung zur Ausreise. Die Landeshauptstadt München habe dann aber im April 2021 einen Duldungsbescheid erlassen und im Oktober 2021 eine Aufenthaltserlaubnis. Der Afghane hielt sich zum Zeitpunkt des Anschlags also vollkommen rechtmäßig in Deutschland auf.
Bericht über falsche Angaben beim Bamf
Nach Informationen, die dem "Spiegel" vorliegen, hat N. damals gegen die Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geklagt. Er habe angegeben, dass er von "Mitgliedern einer Bande" verfolgt werde, die bereits seinen Onkel getötet und es nun auf ihn abgesehen hätten.
Doch weder das Bamf noch das Verwaltungsgericht München seien von N.s Fluchtgeschichte überzeugt gewesen. Das gehe aus einem Urteil vom 9. Oktober 2020 hervor, das dem Nachrichtenmagazin vorliegt. Die Angaben seien laut dem Gericht "nicht glaubhaft", die Erzählungen über sein angebliches Verfolgungsschicksal "detailarm und lebensfremd" gewesen. Zudem habe der Vortrag des Afghanen "Unstimmigkeiten" aufgewiesen. Dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer "ernsthaften Bedrohung" rechnen müsse, sei "unwahrscheinlich", wie es in dem Urteil heiße.
Arbeit als Ladendetektiv
Farhad N. hat laut Herrmann eine Schule besucht und eine Berufsausbildung gemacht. "Er war dann als Ladendetektiv für zwei Sicherheitsfirmen tätig", erklärte der Minister. Vorbestraft sei er nicht gewesen, erklärte die Leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann nun auf einer Pressekonferenz. Bis auf ein eingestelltes Verfahren wegen Arbeitsamtsbetrugs sei N. nicht kriminell auffällig gewesen.
Am Donnerstagmittag hatte Herrmann noch andere Angaben gemacht: Der 24-Jährige wäre bereits "mit Betäubungsmitteln und Ladendiebstählen aufgefallen" und "wohl" wegen seines abgelehnten Asylantrags ausreisepflichtig. Später revidierte der Minister seine Aussagen. Der Afghane sei den Behörden zwar aus Ermittlungsverfahren bekannt gewesen - allerdings als Zeuge im Zuge seiner Tätigkeit als Ladendetektiv. Herrmann räumte ein, es habe ein "Missverständnis" gegeben.
Die Polizei rechtfertigte die Falschinformationen über den Täter mit der "Chaosphase", in der viele Informationen "virulent" rumgehen würden. "Es dauert eine gewisse Zeit, bis man ein Bild bekommt", sagte der Vizepräsident des Polizeipräsidiums München, Christian Huber. Dafür müsse man zunächst Daten zusammenführen.
Der Täter sei in einem System zu Ladendiebstählen registriert gewesen - aber eben als Zeuge, nicht als Beschuldigter, sagte Huber. Da sei schnell eine Botschaft draußen, die vielleicht nicht so stimmig sei. Die Information komme aus "Polizeibeständen", aber wer wie mit wem kommuniziert habe, sei für ihn nicht nachvollziehbar.
Täter soll "Allahu Akbar" gerufen haben
In den sozialen Medien hatte N. Zehntausende Follower und präsentierte sich dort vor allem als Bodybuilder. Auf Fotos im Internet zeigte er sich immer wieder mit seinem cremefarbenen Mini Cooper - dem späteren Tatfahrzeug. Er teilte aber auch religiöse Inhalte. Im Januar schrieb er unter einem Post beispielsweise "Gott vergibt uns und ihnen nicht".
Die Ermittler gehen daher von einem islamistischen Motiv des Attentäters aus, so Tilmann. Es gebe aber bisher keine Hinweise darauf, dass der 24 Jahre alte Afghane in ein Netzwerk eingebunden gewesen sei.
Als Anhaltspunkte für eine islamistische Motivation nannte Tilmann unter anderem die Aussage von Polizisten, der Fahrer habe nach der Tat "Allahu Akbar" gerufen. Er habe in einer Vernehmung auch eingeräumt, den Wagen absichtlich in das Ende eines Verdi-Demonstrationszugs gesteuert zu haben. Die Aussagen deuteten auf eine religiöse Motivation hin, sagte Tilmann.
Zwar stünden die Ermittlungen noch am Anfang, betonte Tilmann. Sie traue sich aber, nach derzeitigem Stand von der Annahme eines islamistischen Hintergrunds zu sprechen.
"Gläubig und koraninteressiert"
Im Gespräch mit einem RTL-Reporter bezeichnete ein Bekannter Farhad N. als "gläubig und koraninteressiert". Beide kannten sich demnach aus dem Fitnessstudio. Bei einem gemeinsamen Treffen in der vergangenen Woche soll sich N. darüber beklagt haben, dass Frauen in Deutschland so "freizügig" leben würden. Es habe ihn gestört, wenn Frauen vor der Ehe mehrere Geschlechtspartner hätten. "Solche Frauen willst du nicht mehr heiraten", soll er gesagt haben. Auf Fragen zu seiner Heimat Afghanistan und den Einfluss der Taliban habe N. erzählt, dass er die Terrorgruppe kritisch sehe. Die Taliban würden den Islam nicht "ordentlich ausleben".
Zudem soll Farhad N. zuletzt Geldprobleme gehabt haben. Nach Aussage des Bekannten habe sein Bodybuilding-Trainer zuletzt die Zusammenarbeit beendet. Er habe ihn sich nicht mehr leisten können. Nach dem Treffen habe der Bekannte den Eindruck gewonnen, dass Farhad N. in einer "verlorenen Welt" feststecke. "Er wirkte auf mich wie ein Mensch, der vom Leben enttäuscht ist", sagte er im RTL-Interview. Trotz der Andeutungen, die N. im Gespräch gemacht habe, sei für ihn undenkbar gewesen, dass der Afghane ein radikaler Islamist sein könnte.
Quelle: ntv.de, apr/dpa