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Gesetz nach "Spanischem Modell" Wie die Fußfessel funktioniert - und was sie bringt

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Die Fußfessel soll Gewalt verhindern.

Die Fußfessel soll Gewalt verhindern.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die elektronische Fußfessel kommt in Deutschland vergleichsweise selten zum Einsatz. Das könnte sich künftig ändern. Aber wie funktioniert das Gerät? Was passiert, wenn der Akku leer ist? Und welche Pläne hat die Bundesregierung? Alle Fragen und Antworten im Überblick.

Was ist die elektronische Fußfessel?
Technisch gesehen ist die elektronische Fußfessel ein GPS-Sender. Ein kleines, meist schwarzes Gerät, das oberhalb des Knöchels angebracht wird. Ist sie einmal angelegt, lässt sie sich nicht mehr regulär öffnen. Der Tracker sendet ein Signal aus und übermittelt den Standort des Trägers. Aus rechtlicher Sicht ist die Fußfessel eine Form der sogenannten Elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Sie ermöglicht es den Behörden, Straftäter nach der Haft zu überwachen. Bei Verstößen, wenn der Träger beispielsweise einen zuvor festgelegten Bereich verlässt, schlägt das Gerät Alarm.

Wie oft kommt die Fußfessel zum Einsatz?
Ende August wurden bundesweit 129 Straftäter mit einer elektronischen Fußfessel überwacht. Das teilte das Justizministerium dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mit. Die geringe Zahl erklärt sich durch hohe rechtliche Hürden. Denn die Fußfessel ist in erster Linie ein präventives Instrument, das Straftaten verhindern soll. Nur wenn die Behörden zur Einschätzung kommen, dass von den Personen ein hohes Risiko ausgeht und andere Möglichkeiten ausgeschöpft sind, kann die Fußfessel eingesetzt werden.

Wer wird damit überwacht?
Dem Ministerium zufolge handelt es sich zum überwiegenden Teil um Sexualstraftäter. Die Fußfessel kann eine Auflage nach einem Haftaufenthalt sein, wenn ein Straftäter seine Strafe abgesessen hat, aber noch als gefährlich für die Allgemeinheit eingestuft wird. So trägt etwa der heute aus der Haft entlassene Sexualverbrecher und Verdächtige im Fall "Maddie", Christian B., eine Fußfessel. Auch bei einer Verurteilung auf Bewährung kann ein Gericht den Einsatz anordnen.

Nach dem Terroranschlag am Frankfurter Flughafen 2011, bei dem ein Islamist zwei US-Soldaten getötet hatte, folgte eine Ausweitung. Per richterlicher Anordnung können seither auch terroristische Gefährder mit einer Fußfessel überwacht werden.

In manchen Bundesländern, wie Hessen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen, wird die Maßnahme über das Polizeigesetz zudem eingesetzt, um Betroffene von häuslicher Gewalt zu schützen. Seit Jahresanfang war das bei zwölf Personen der Fall. Auch hier erfolgt der Einsatz nach richterlichem Beschluss. Das Bundesjustizministerium plant ein Gesetz, das den Einsatz der elektronischen Fußfessel bei häuslicher Gewalt oder Stalking bundesweit erlauben und vereinfachen soll. In Zukunft könnten also deutlich mehr Menschen, in den allermeisten Fällen Männer, eine elektronische Fußfessel bekommen.

Und wer überwacht das?
Alle eingesetzten Fußfesseln werden an einem Ort überwacht: der Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder. Diese befindet sich in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt bei Darmstadt, dem größten Gefängnis Hessens. Dort laufen alle Daten ein und werden von einem Computersystem ausgewertet. Bei Verstößen informieren die Mitarbeitenden die zuständigen Stellen, wie Bewährungshelfer oder die Polizei. In manchen Fällen wird auch der Fußfesselträger direkt angerufen. Geht es um den Schutz vor häuslicher Gewalt, werden auch Betroffene informiert, wenn sich der Träger verbotenerweise in ihrer Nähe befindet.

Wann wird Alarm geschlagen?
Häufig ist das bei Aufenthaltsverstößen der Fall, wenn also die betroffene Person Bereiche betritt, die sie nicht betreten darf. Das können etwa Wohnungen von Opfern, Schulen oder bestimmte Stadtteile sein. Auch wenn die Person von zuvor festgelegten Tagesroutinen abweicht, die eigene Wohnung zum Beispiel nachts verlässt, kann das zu einem Alarm führen. Wenn versucht wird, die Fußfessel zu entfernen, zu zerstören oder das Signal zu blockieren, gibt es ebenfalls eine Warnung. Hinzu kommen technische Faktoren: Wenn das GPS-Signal über längere Zeit verloren geht oder der Akku leer ist. Die Träger sind verpflichtet, den Akku regelmäßig aufzuladen, üblicherweise passiert das nachts.

Doch das System hat auch Schwachstellen. Im Jahr 2017 etwa bestieg ein islamistischer Gefährder trotz Fußfessel unbemerkt ein Flugzeug. Über Stunden ging bei der Überwachungsstelle kein Signal ein, die nächste Ortung gelang erst am Flughafen von Athen. Da eine Überwachung im Ausland in der Regel nicht gestattet ist, wurde das Signal abgestellt.

Worum geht es beim "Spanischen Modell"?
In der aktuellen Debatte um die Ausweitung der Fußfessel auf Fälle von häuslicher Gewalt ist häufig vom "Spanischen Modell" die Rede. Anders als bei der herkömmlichen Fußfessel-Nutzung, bei der es um die Überwachung festgelegter Bereiche geht, misst das GPS-Gerät auch den Abstand zwischen Täter und der von Gewalt betroffenen Person, die selbst ein Ortungsgerät bei sich trägt. Dieses warnt sie, wenn sich der Fußfesselträger nähert und verfügt über einen Notfallknopf. Zudem wird die Polizei alarmiert. Spanien hat die Maßnahme bereits 2009 eingeführt, seither ist keine Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt wurde und zu deren Schutz eine Fußfessel im Betrieb war, mehr getötet worden.

Was plant die Bundesregierung?
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig strebt ein Gesetz nach diesem Vorbild an. Familiengerichte sollen die Fußfessel für bis zu sechs Monate anordnen können, um Kontakt- und Näherungsverbote wirksamer machen zu können. Eine Verlängerung um drei Monate soll möglich sein. "Alle paar Minuten wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner angegriffen", sagt Hubig. "Beinahe jeden zweiten Tag tötet ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin." Elektronische Fußfesseln könnten Leben retten. "Es ist an der Zeit, dass wir dieses Instrument auch in Deutschland flächendeckend einsetzen, um insbesondere Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen."

Was sagen Experten zu den Plänen?
Die Erfahrungen aus Spanien zeigen, dass elektronische Fußfesseln für Gewalttäter zur Verhinderung von Femiziden abschreckend wirken können. "Das Wissen, dass Verstöße sofort Alarm auslösen, scheint verbotene Kontakte zu verhindern", sagt Lorea Arenas, Dozentin für Kriminologie an der Universität Extremadura in Westspanien, der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Anekdotische Berichte und Opferbefragungen in Spanien zeigten ein gesteigertes Sicherheitsgefühl und weniger gemeldete Verstöße. Die Wirksamkeit hänge allerdings stark von einer schnellen polizeilichen Reaktion und konsequenter Durchsetzung ab.

So sehr die elektronische Fußfessel das Opfer schützt, so sehr kann sie jedoch auch die Rechte des potenziellen Täters einschränken, sagt Jörg Kinzig, Direktor des Kriminologischen Instituts der Universität Tübingen. "Zum einen kann ein Opfer sich subjektiv sicherer fühlen. Zum anderen ist das ein schwerwiegender Grundrechtseingriff - in diesem Spannungsverhältnis bewegen wir uns."

Kinzig sagt, die Fessel könne den einen oder anderen abhalten, ein solches Risiko einzugehen. "Aber wenn jemand sich entschlossen hat, eine andere Person zu töten, dann wird er das möglicherweise auch machen, wenn er eine Fußfessel hat." Deshalb sei sie kein Allheilmittel. "Wir müssen uns bewusst sein, dass sie nur ein begrenztes Maß an Sicherheit bietet."

Und eine Fußfessel allein reicht nicht aus, um Leben zu retten, davon ist auch der Weiße Ring überzeugt. "Es wäre ein wichtiger Baustein, der das Risiko der Gewalt reduzieren würde", sagt der Landesvorsitzende der Opferschutz-Organisation, Hartmut Grasmück. Auch Angebote wie das Annäherungsverbot, nach dem sich die gewalttätige Person ihrem Opfer nicht nähern darf, Schutzräume und Beratungen sind wichtig.

Kinzig nennt eine elektronische Fußfessel einen Stein von vielen. "Andere präventive Vorkehrungen sind mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger. Deshalb würde ich davor warnen, zu sagen: Jetzt haben wir ja die Fußfessel. Dann können wir auf andere präventive Maßnahmen verzichten."

Quelle: ntv.de, mdi/dpa

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