Zwei Jahre nach Erdbeben in L'Aquila "Wir sind Menschen in Trümmern"
06.04.2011, 08:00 Uhr
Das Erdbeben zerstört auch das Dorf Onna nahe der italienischen Stadt L'Aquila (Archivfoto vom 07.07.2009).
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Zwei Jahre nach dem verheerenden Erdbeben liegt die italienische Stadt L'Aquila immer noch in Trümmern. Viele Menschen der Region in den Abruzzen fühlen sich von der Politik in Rom vergessen. Die Tragödie von Japan weckt bei ihnen schreckliche Erinnerungen.
Wenn Bilder der Erdbebenkatastrophe in Japan im Fernsehen zu sehen sind, schaltet Lidia aus. Zu schmerzlich sind die Erinnerungen an die Nacht vom 6. April 2009. Als damals um 3.32 Uhr die Erde in der mittelitalienischen Region Abruzzen bebte, verlor die 53-Jährige viele Freunde in den Trümmern. Ihre Wohnung, ihre Heimatstadt wurden schwer beschädigt. Bis heute konnte sie weder nach Hause noch in ihre Tischlerwerkstatt in der Altstadt von L'Aquila zurückkehren. "Ich habe Glück gehabt, ich lebe", meint Lidia. "Aber meine Heimat habe ich trotzdem verloren."
Die schweren Erdstöße rissen in den Abruzzen 308 Menschen in den Tod. Mehr als 1600 Menschen wurden bei dem Beben der Stärke 6,3 verletzt, Zehntausende verloren ihre Wohnungen und Häuser und wurden in Zeltstädten und Hotels an der Adria untergebracht. 15.000 Gebäude wurden beschädigt, 10.000 allein in der Regionalhauptstadt L'Aquila. Seitdem sind zwei Jahre ins Land gegangen und viele der ehemaligen Bürger von L'Aquila und Bewohner anderer zerstörter Städte der Abruzzen fühlen sich vergessen. Denn auch wenn sich alle einig sind, dass die Regierung die erste Notlage nach dem Beben gut gemeistert hat, kommt der Wiederaufbau nicht in Gang.
Kein gemeinsames Zusammenleben
17.000 Menschen waren in kürzester Zeit in modernen Wohnblocks untergebracht worden. 19 Satellitenstädte ranken sich heute um das immer noch zerstörte L'Aquila. Die den modernsten Erdbeben-Sicherheitsstandards entsprechenden Gebäude wurden von der Regierung von Silvio Berlusconi in nur wenigen Monaten aus dem Boden gestampft. So schnell, dass sich andere Opfer von früheren Beben in Umbrien und Kampanien gar beschwerten: Um sie hätte man sich nie so gut gekümmert.
L'Aquila ist jedoch weiter abgesperrt. "Viele von uns sind heute immer noch Menschen in Trümmern - nicht nur von außen, sondern auch von innen", sagt Lidia, die selbst zu ihrem Freund aufs Land ziehen konnte. Denn mit der zerstörten Stadt sei auch die Gemeinschaft der Menschen verlorengegangen.
Stefania Pezzopane, Mitglied der aquilanischen Stadtverwaltung, beschreibt es ähnlich. "Bis heute warten 36.000 Menschen darauf, in ihre Wohnungen und Häuser zurückkehren zu dürfen. Das gemeinsame "Zusammenleben" von früher gibt es nicht mehr", erzählt sie.
Bürokratischen Hickhack blockiert Wiederaufbau
Offiziell heißt es, Experten müssten zunächst entscheiden, was gerettet und was abgerissen werden soll. Für Bürgermeister Massimo Cialente fehlt es schlicht an Sondervollmachten, um schnell vorzugehen. Das Ende des Notstandes wurde vor 14 Monaten erklärt. Aber der Beginn des Wiederaufbaus sei durch bürokratischen Hickhack blockiert worden. Außerdem gehe die versprochene Finanzierung seitens der Regierung in Rom nur zögerlich voran. "Es sind zwei Jahre vergangen und bisher konnte noch keine einzige Familie wieder in den Stadtkern zurückziehen, die Menschen fühlen sich vergessen." Cialente zögert nicht, dies als "Schande" zu bezeichnen.
Auch das 400-Einwohner-Dorf Onna acht Kilometer östlich von L'Aquila wurde 2009 dem Erdboden gleichgemacht: 90 Prozent der Gebäude wurden zerstört, 41 der 280 Einwohner starben. Besondere Unterstützung kommt aus Deutschland, das damit auch eine schwere menschliche Schuld zu begleichen versucht: 1944 hatte die Wehrmacht dort ein Massaker angerichtet und mehr als ein Dutzend unschuldige Zivilisten erschossen.
Deutschland begleicht Schuld in Onna
Ein neues Gemeindezentrum steht bereits, ein Kindergarten ist im Bau. Beide wurden mit deutschen Spendengeldern finanziert. Der Wiederaufbau der Kirche wird von der Bundesregierung mit 3,5 Millionen Euro unterstützt. Am Jahrestag des Bebens will der deutsche Botschafter Michael Gerdts dem Bürgermeister von L'Aquila einen Wiederaufbauplan für Onna überreichen.
Der im Auftrag der Deutschen Botschaft in enger Kooperation mit einem Unternehmen aus Onna erstellte Plan regele die komplizierten städtebaulichen und baurechtlichen Fragen, erklärte Gerdts in Rom. Diese verzögerten nicht nur in Onna den erdbebensicheren Wiederaufbau. Auf der Grundlage des Plans könnten nun die Bürger Projektanträge für die staatlichen Wiederaufbaumittel stellen. Dann stehe dem Wiederaufbau nichts mehr im Wege.
Quelle: ntv.de, Katie Kahle, dpa