Panorama

Epidemiologe im Interview "Wird der Sommer doch nicht so unbeschwert, Herr Ulrichs?"

"Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zahlen wieder steigen."

"Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zahlen wieder steigen."

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Delta-Variante wird immer dominanter. In anderen Ländern steigen bereits die Infektionszahlen wieder. Epidemiologe Timo Ulrichs erklärt, wie Deutschland mit der sich abzeichnenden Entwicklung umgehen muss und welchen Vorteil es hierzulande gibt.

ntv: Die Delta-Variante schießt auch in Deutschland in die Höhe. Müssen wir jetzt damit rechnen, dass der Sommer doch nicht so unbeschwert wird wie erwartet?

Timo Ulrichs: Es wird so sein, dass die Delta-Variante hier bei uns den Laden übernehmen wird. Das heißt, die Delta-Variante wird sich durchsetzen, ähnlich wie das die Alpha-Variante auch hingekriegt hat. Allerdings gibt es da einige Unterschiede - und zwar sowohl zu der Zeit als auch zu Großbritannien. Wir gehen jetzt aus der dritten Welle raus, und die Zahlen werden immer niedriger. Wir waren, als die Delta-Variante aufgetreten ist, noch im Lockdown und hatten gute Restriktionen. Wir sind jetzt in der Lage, viel besser kontrollieren zu können, weil wir so niedrige Fallzahlen haben. Deswegen könnte es durchaus sein, dass wir den Sommer noch einigermaßen ruhig verbringen werden. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass mit wieder besseren Bedingungen für die Virusausbreitung auch die Delta-Variante für einen Auftrieb sorgen wird.

Vor einigen Wochen wusste man ja noch gar nichts über die Delta-Variante, jetzt spricht man in Indien über eine neue Version, und zwar über Delta plus. Was weiß man genau darüber?

Es gibt keine ganz neue Variante, sondern die Delta-Variante ist nochmal leicht verändert. Sie hat aber noch alle Eigenschaften der Delta-Variante. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass da noch eine Version auf uns zukommt, die es noch leichter hat, sich in den Rachenschleimhäuten festzusetzen.

Wir sollten den Sommer gut nutzen, Epidemiologe Timo Ulrichs.

Wir sollten den Sommer gut nutzen, Epidemiologe Timo Ulrichs.

(Foto: ntv)

Sollte die Politik jetzt Einreiseverbote für Länder verhängen, in denen die Situation schon dramatischer ist?

Wir haben schon die Ausweisungen von Virusvariantengebieten und damit einhergehend Beschränkungen. Es wird wieder kontrolliert, dass man nach Rückkehr in Quarantäne muss. Ganz abdichten kann man das natürlich nicht, aber man kann die Ausbreitung so lange verzögern, dass wir hier immer noch Zeit haben zu impfen. Deswegen sollten wir diesen Sommer gut nutzen - anders als den Sommer vor einem Jahr, weil wir damals noch gehofft hatten, es würde im Herbst nicht so schlimm. Wurde es aber, weil die auch die Maßnahmen erst verzögert eingesetzt wurden. Diesmal sind wir vorgewarnt, wir sehen das auch am Beispiel Großbritanniens.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warnt vor einem Sorgenherbst. Wie besorgt sind Sie?

Wir werden sicherlich eine vierte Welle erleben. Wie groß und dramatisch sie ausfallen wird, das hängt sehr davon ab, wie wir uns jetzt aufrüsten gegenüber dieser neuen Variante. Das heißt, wir müssen uns so vorbereiten, dass wir in Gegenden und auch bei Altersgruppen, wo kein Schutz durch die Impfabdeckung erzielt werden kann, gut aufgestellt sind. In Hygienekonzepte und Belüftungsanlagen für die Schulen sollte jetzt investiert werden. Alle, die den Impfstoff bekommen können, sollten ihn auch erhalten. Es wird wieder eine stärkere Ausbreitung kommen, das ist ganz klar. Wenn aber alles das gemacht wird, dann werden wir zwar leicht steigende Fallzahlen sehen, die Welle könnte aber klein ausfallen und vor allen Dingen nicht mehr diese schlimmen Konsequenzen haben, also viele Krankenhauseinweisungen, Intensivbettenbelegung und Todesfälle.

Wie gut helfen die eingesetzten Impfstoffe gegen die Mutationen?

Dazu laufen gerade die Untersuchungen. Die Impfstoffhersteller prüfen ihre Vakzine bei den neuen Varianten. Wir können da einigermaßen beruhigt sein. Es ist zwar nicht mehr hundertprozentig so, denn die Impfstoffe wurden alle mit dem Wildtyp entwickelt und solche Veränderungen sind nicht eingepreist, aber es klappt noch ziemlich gut. Und auch wenn es nicht mehr 100 Prozent sind, ist es immer noch so, dass eine große Impfabdeckung ein ebenso guter Schutz. Wir können uns nach wie vor auf die Schutzwirkung dieser gerade zugelassenen Impfstoffe verlassen.

Müssen wir damit rechnen, dass wir bald wieder neu impfen müssen?

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Warten wir ab, wie sich das Ganze entwickelt. In Israel sind hauptsächlich die jüngeren Altersgruppen betroffen, also die, die noch nicht geimpft sind. Klar, dass sich das Virus dann die Menschen vornimmt, die noch keinen Impfschutz haben und es dann zu einer Ausbreitung kommt. Das aber hat weniger klinische Auswirkungen, denn das Risiko für Kinder und Jugendlich, Covid-19 zu entwickeln und daran schwer zu erkranken, ist viel geringer. Umgekehrt ist es natürlich nicht gut, dass das Virus sich weiter ausbreiten kann. Aber wir müssen die Instrumente so einsetzen, wie wir es können. Und die Zulassung für Kinder unter zwölf Jahren ist ja nicht da. Deswegen müssen wir alles machen, was wir können. Und das bedeutet, die Erwachsenen und die älteren Jugendlichen impfen.

Mit Timo Ullrichs sprach Nele Balgo

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