Politik

AfD-Parteitag in Bremen 42 Seiten Misstrauen

Das Führungstrio Frauke Petry, Konrad Adam und Bernd Lucke soll es in dieser Form bald nicht mehr geben.

Das Führungstrio Frauke Petry, Konrad Adam und Bernd Lucke soll es in dieser Form bald nicht mehr geben.

(Foto: imago/Christian Ditsch)

Die AfD will sich bei ihrem Parteitag als "verantwortungsbewusste politische Kraft" präsentieren. Über Pegida, den Islam oder die Umgangsformen der AfD-Spitze soll möglichst wenig diskutiert werden. Doch die misstrauische Basis könnte den Plan zunichte machen.

Wenn deutlich mehr als 2000 Menschen drei Tage lang in zwei getrennten Gebäuden über ein 462-seitiges Antragsbuch diskutieren, steht das Ergebnis schon vorher fest: Chaos. Willkommen in Bremen, beim Bundesparteitag der Alternative für Deutschland.

Immerhin könnte die AfD einen Rekord aufstellen. Den bislang größten Parteitag in der bundesdeutschen Geschichte veranstalteten die Piraten 2012 in Neumünster mit zweitausend Mitgliedern - um danach in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Das wird der AfD nicht passieren. Wie die Piraten haben die Rechtskonservativen zwar eine schwierige Basis. Aber der Unterschied ist: Die AfD hat eine Führung, die politisch abgebrüht und mitunter durchaus autoritär ist.

Bereits in der Einladung appellierte das amtierende Führungstrio an die Disziplin der Mitglieder. Der Parteitag sei "eine vorzügliche Gelegenheit, um der Öffentlichkeit die AfD als eine konstruktive, verantwortungsbewusste politische Kraft zu präsentieren", schrieben die Bundessprecher Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam. Darin unterscheidet sich die AfD nicht von den "Altparteien": Im Zweifel ist die Außenwirkung wichtiger als die Debatte.

Dabei gäbe es durchaus Gesprächsbedarf. Da ist zum einen der rüde Umgangston innerhalb der Führung. Lucke und die Europaabgeordnete Beatrix von Storch reden dem Vernehmen nach gar nicht mehr miteinander. Bundesvize Hans-Olaf Henkel schrieb Adam im Dezember in einer Mail, dieser sei "total von der Rolle". Die Mail landete später beim "Spiegel" - undichte Stellen sind in der AfD-Führung keine Ausnahme, sondern die Regel.

Mal für, mal gegen den Tabubruch

Beim Streit zwischen Henkel und Adam ging es um Luckes Ambitionen, einziger AfD-Chef zu werden. Über diese Frage gab es heftigen Krach - bis die Streithähne, wie das in Parteien eben üblich ist, einen Hinterzimmer-Kompromiss aushandelten: Die AfD bekommt einen alleinigen Vorsitzenden, aber erst ab Dezember. Für eine Übergangszeit von April bis November soll ein Duo die Partei führen, aller Voraussicht nach Lucke und Petry. Dieser Kompromiss soll in Bremen verabschiedet werden.

Alexander Gauland verursachte mit seinem Besuch einer Pegida-Demo Aufsehen.

Alexander Gauland verursachte mit seinem Besuch einer Pegida-Demo Aufsehen.

(Foto: REUTERS)

Umgangston und Parteireform sind nur ein Teil des Streits. Einen Dissens gibt es auch in der inhaltlichen Ausrichtung. Petry, AfD-Vize Alexander Gauland und andere wollen die Partei nationalkonservativ ausrichten. Vor allem Gauland lässt seit Wochen Sprüche hören, die sich an ein Pegida-Publikum richten. Einen ernstzunehmenden liberalen Flügel gibt es in der AfD nicht mehr; Henkel allein ist kein Flügel - nach Bremen kommt er gar nicht.

Und Lucke? Festlegungen sind von ihm nicht zu erwarten, abgesehen vom Euro hat er ein eher taktisches Verhältnis zu politischen Inhalten. In einer Mail vom 31. Juli 2013, die der "Spiegel" kürzlich öffentlich machte, schlug er Adam und Gauland vor, einen "Tabu-Bruch" zu begehen, um Aufmerksamkeit für die AfD zu bekommen. "Das machen wir, indem wir Herrn Sarrazin vereinnahmen", also Thilo Sarrazin, den Verfasser des Buches "Deutschland schafft sich ab". Lucke freute sich schon auf die "Kritik der linken Presse".

Anderthalb Jahre später sind die Rollen vertauscht: Jetzt suchen Gauland, Adam und Petry den Tabubruch durch die Nähe zu Pegida, Lucke will lieber auf Distanz bleiben. Das Pendeln zwischen diesen beiden Positionen, zwischen Bürgerlichkeit und Radau, hat bei der AfD Methode - und funktioniert mittlerweile sogar zwischen Gauland und Petry. Wenn Gauland dem "Tagesspiegel" sagt: "Wir sollten eine Einwanderung von Menschen, die unserer kulturellen Tradition völlig fremd sind, nicht weiter fördern, ja wir sollten sie verhindern." Dann geht Petry bei Spiegel Online auf Distanz: "Die AfD fordert ein Zuwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild. ... Religion und Herkunft spielen hierbei keine Rolle."

Inhaltliche Debatte wird Gästen überlassen

Die AfD will schließlich Volkspartei sein, da muss man flexibel bleiben. Die inhaltliche Debatte überlässt sie auf lieber Gästen. Vier Experten wurden zum Parteitag geladen, die über Demografie, Familienförderung, Gesundheitspolitik und Einkommenssteuer sprechen sollen - eine typische Lucke-Idee, mit der er das Selbstbild der AfD als Professorenpartei wiederbeleben will. Mehr als sieben Stunden sind für die Gastvorträge eingeplant. Damit hat Lucke es wohl übertrieben: Zahlreiche Protestmails erreichten die Parteizentrale, die Basis will die Zeit lieber für Debatten nutzen. Doch die Panels werden durchgezogen - wenn der Parteitag sich nicht querstellt.

Mehrere Anträge zur Geschäftsordnung fordern, die Gastvorträge zu streichen oder ans Ende des Parteitags zu schieben. Noch umstrittener ist TOP 10, bislang vorgesehen für den späten Samstagvormittag: "Persönliche Erklärung Bernd Lucke (nichtöffentlich)". Lucke hatte diese Erklärung schon im vergangenen Jahr angekündigt. Bei seinen Kollegen stieß das auf Ablehnung. Ende Dezember sagte Petry n-tv.de auf die Frage, ob Lucke unter Ausschluss der Öffentlichkeit sprechen wolle: "Nein. Der Parteitag ist öffentlich, und die Diskussion kann auch öffentlich geführt werden. Wir haben nichts zu verbergen."

42 Seiten mit "GO-Anträgen"

Ob die Erklärung nun öffentlich ist oder nicht, werde der Parteitag am Freitag entscheiden, sagte AfD-Pressesprecher Christian Lüth n-tv.de. Anträge zur Geschäftsordnung, die Lucke zur Öffentlichkeit zwingen wollen, liegen reichlich vor. Überhaupt zeichnen diese sogenannten GO-Anträge ein interessantes Bild der AfD. Von den 462 Seiten mit Anträgen an den Parteitag sind allein 42 Seiten GO-Anträge. Ganz offensichtlich misstraut ein guter Teil der Basis der Parteispitze. In einem Antrag beispielsweise heißt es: "Wenn Herr Lucke etwas zu einem Satzungsänderungsantrag zu sagen hat, möge er dies, wie jedes andere Mitglied auch, nach entsprechender Wortmeldung vom dafür vorgesehenen Platz tun."

Bereits die ersten Stunden des Parteitags werden zeigen, ob die Basis auf Krawall gebürstet ist. Prognosen wagt niemand: Parteitage der AfD sind Mitgliederversammlungen, keine Delegiertentreffen. Heißt: Jeder, der sich anmeldet, kann kommen; wer kommt, ist stimmberechtigt. In der AfD-Führung hat man längst gemerkt, dass solche Veranstaltungen problematisch sind. Doch die misstrauische Basis bevorzugt nun einmal Mitgliederparteitage.

Vielleicht ändert sich das nach Bremen. Da der ursprünglich gebuchte Saal für den erwarteten Ansturm zu klein ist, musste die AfD einen zweiten buchen. Um beide Örtlichkeiten, das Maritim-Hotel und ein anderthalb Kilometer entferntes Musical-Theater, gleichberechtigt zu bedienen, will die AfD-Spitze hin und her pendeln.

Der Plan ist umstritten. Die Bundestagsverwaltung hat der AfD-Spitze zwar bestätigt, dass dieses Vorgehen rechtmäßig ist. Aber es gibt Juristen, die das anders sehen. "Die Partei geht damit das Risiko ein, dass Beschlüsse angefochten werden und der Parteitag wiederholt werden muss", sagte der Parteienrechtler Martin Morlok dem "Handelsblatt". Es wäre genau das Signal, das die AfD vermeiden will: Chaos.

Quelle: ntv.de

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