Treue zu al-Baghdadi Ägyptische Terrorgruppe schließt sich IS an
28.11.2014, 05:59 Uhr
So sieht die ägyptische Anti-Terror-Politik aus: Ein Haus auf dem Sinai wird gesprengt.
(Foto: REUTERS)
Der "Islamische Staat" bekommt Zulauf in Nordafrika. Nachdem sich bereits eine algerische Extremistengruppe der Terrorgruppe angeschlossen hat, erklärt auch Ägyptens größte islamistische Miliz ihre Gefolgschaft zum IS.
Ägypten hat ein Terrorismusproblem. Und es wird zunehmend bedrohlicher. In einer Mitte November im Internet veröffentlichten Audiobotschaft erklärt die größte und schlagkräftigste militante Islamistengruppe am Nil, Ansar Bait Al-Maqdis (ABM), ihre Loyalität zu IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi. Gleichzeitig ruft sie die Ägypter zum Kampf gegen Regierung und Armee auf.
Die seit 2011 auf dem Sinai operierende Islamistenorganisation kündigt in dem Video auch Vergeltung für die Militäroperationen der Armee im Nord-Sinai an. Die ägyptische Regierung hatte Anfang November eine Militäroffensive gegen ABM gestartet, nachdem sich am 24. Oktober ein Selbstmordattentäter an einem Militärcheckpoint nahe der Kleinstadt Scheikh Zuweid an der Grenze zum palästinensischen Gaza-Streifen in die Luft gesprengt und 33 Soldaten getötet hatte. Seither intensivierte ABM ihre Aktivitäten in Kairo und im Nildelta noch. Erst in der vergangenen Woche attackierten Extremisten ein Schiff der ägyptischen Marine vor der Küste der Mittelmeerstadt Damietta. Acht Soldaten gelten seither als vermisst.
Bis zum Sturz von Ägyptens Ex-Präsident Mohamed Mursi im Juli 2013 konzentrierte sich ABM fast ausschließlich auf Einrichtungen von Polizei oder Armee sowie Checkpoints im Nord-Sinai. Seither hat sie ihre Terrorattentate aber auf Ägyptens Kernland ausgeweitet. Der Staat weiß, dass er das Primärziel für die Radikalislamisten ist, und mauert sich ein: Polizeiwachen, Militärkasernen und staatliche Einrichtungen wie Gerichtsgebäude und Ministerien sind hinter meterhohen Betonwänden verschwunden.
Die Grenzregion wird dem Erdboden gleichgemacht
Zwar ist die Militärpräsenz in Kairo seit Beginn des Jahres stark zurückgegangen, doch der Nord-Sinai rund um die Provinzhauptstadt Al-Arish westlich von Gaza gleicht einer Hochsicherheitszone. Schon Ende 2012 säumten Panzer die Hauptstraßen Al-Arishs Der Militärcheckpoint an der Friedensbrücke bei Ismailija, dem wichtigsten Zufahrtsweg in den Nord-Sinai, glich einer Kaserne. Heute ist der Norden der Halbinsel gesperrt. Ausländer, insbesondere Journalisten, haben keinen Zugang. Selbst ägyptische Reporter sind unerwünscht.
Das Militär führt in Al-Arish einen Krieg gegen ABM. Präsident Abdel Fattah al-Sisi verhängte nach dem Attentat in Scheikh Zuweid den Notstand und eine Ausgangssperre über die Provinz. Die Armee geht mit Razzien und Luftangriffen gegen ABM vor und hat begonnen, entlang der Grenze zum Gaza-Streifen eine tausend Meter breite Pufferzone zu errichten. Anwohner werden enteignet, ihre Häuser gesprengt. Die Zone wird sprichwörtlich dem Erdboden gleichgemacht. Ein Dokumentarfilmer aus Al-Arish bestätigt anhaltende Übergriffe der Armee. Ägyptens Militär war in den letzten zwei Jahren nicht in der Lage, die Verstecke von ABM ausfindig zu machen oder die Gruppe zu zerschlagen, und reagiert nun mit Kollektivbestrafung. 10000 Menschen werden umgesiedelt.
Gefahr droht auch aus der algerischen Wüste
Derweil sollte sich Ägypten nicht nur über die Professionalisierung von ABM Sorgen machen; schließlich droht dem Land an seiner westlichen Flanke weiteres Unheil. Im Juli attackierten Radikalislamisten einen Militärcheckpoint bei Al-Farafra in der westlichen Wüste. 22 Soldaten starben.
Das Sicherheitsvakuum in der Sahara machen sich dort operierende Extremisten schon seit Jahrzehnten zu nutze. Gewaltbereite Islamisten wurden schon im Zuge des Bürgerkrieges in Algerien in den 1990er Jahren in die Wüste zurückgedrängt, erwiesen sich jedoch als extrem anpassungsfähig. Die Region bietet den perfekten Rückzugsraum für islamistische und kriminelle Banden, die die Wirren des algerischen Bürgerkrieges überstanden, sich neu formierten, ihren Aktionsradius erweiterten und sich durch Menschen- und Drogenhandel finanzieren. Noch heute ist die Sahara eine Hauptroute für kolumbianisches Kokain, das über Westafrika in die Sahara und von dort weiter nach Europa geschmuggelt wird. Auch fungiert der anhaltende Krieg und Zerfall Libyens als Katalysator für die verstärkten Aktivitäten radikaler Gruppen in der gesamten Region. Waffen aus libyschen Beständen heizten 2012 nicht nur den Bürgerkrieg in Mali an - auch ABM-Terroristen im Sinai erbeuteten diese teils aus Europa stammenden Waffen.
Der Anschluss von ABM an den IS öffnet ein neues Kapitel in Ägyptens Anti-Terror-Kampf und ist eine Bedrohung für das Land am Nil und die gesamte Region. Bereits im September erklärte eine Abspaltung der in Algerien aktiven salafistischen Terrorgruppe Al-Qaida im Islamischen Maghreb ihre Treue zum IS. Während Algeriens Armee jedoch über jahrzehntelange Erfahrungen mit Guerillataktiken vorweisen kann, hat Ägyptens Militär keine Erfahrungen mit asymmetrischer Kriegsführung. Kairos Anti-Terror-Politik ist zum Scheitern verurteilt, da Ägypten allein auf brachiale Gewalt setzt, anstatt auf politische, soziale und wirtschaftliche Mittel. Erhöhte Militärpräsenz, Razzien und Luftschläge haben das sicherheitspolitische Problem im Sinai keineswegs gelöst, sondern die Lage vielmehr eskalieren lassen. Denn ABM wird sich durch den Anschluss an den IS weiter professionalisieren. Bisher hat Ägyptens Armee kein geeignetes Mittel gefunden die anhaltende Anschlagswelle im Sinai zu stoppen.
Quelle: ntv.de