Politik

Aufbauhelfer Peer Steinbrück "Allein kommt die Ukraine nicht auf die Füße"

Ministerpräsident, Bundesfinanzminister, Kanzlerkandidat - und jetzt Aufbauhelfer in der Ukraine: Peer Steinbrück.

Ministerpräsident, Bundesfinanzminister, Kanzlerkandidat - und jetzt Aufbauhelfer in der Ukraine: Peer Steinbrück.

(Foto: picture alliance / dpa)

Peer Steinbrück gehört zu einem Kreis von acht internationalen Experten, die in den nächsten Wochen Reformvorschläge für die Ukraine erarbeiten. "Die Ukraine könnte eine Brücke zwischen der Russischen Föderation und Europa sein", sagt der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat und Ex-Bundesfinanzminister. Bis es soweit ist, wird das Land Hilfe brauchen.

n-tv.de: Das Expertengremium, dem Sie angehören, hat bereits von einem Marshall-Plan für die Ukraine gesprochen. Um welche Summen wird es da gehen?

Peer Steinbrück: Das ist ein Begriff, den der französische Philosoph und Publizist Bernard-Henri Lévy aufgegriffen hat, ...

... einer der Initiatoren Ihrer Gruppe.

Ob "Marshall-Plan" der richtige Begriff ist, auch in der historischen Analogie, lasse ich mal dahingestellt. Über Summen ist bisher nicht gesprochen worden. Ich würde mich auch scheuen, bereits jetzt eine genaue Zahl zu nennen. Voraussetzung für ein größeres finanzielles Engagement von staatlichen und privaten Stellen in der Ukraine sind bestimmte Strukturreformen: Die Ukraine braucht eine intakte Finanzverwaltung, ein unabhängiges Justizwesen, ein funktionsfähiges Bankensystem und Korruptionsbekämpfung – also schlicht einen Ordnungsrahmen der Investoren Sicherheit gibt. Nur dann ist gewährleistet, dass Wachstum entsteht, dass Beschäftigung gefördert wird und der Lebensstandard steigt.

Ohne finanzielle Hilfe aus dem Westen wird der Umbau der Ukraine aber nicht gehen?

Davon bin ich überzeugt. Die Ukraine wird alleine nicht auf die Füße kommen. Ich glaube, dass der Westen - ich füge hinzu: dass auch Russland - ein massives Interesse daran haben sollte, dass die Ukraine nicht zu dem wird, was im Englischen ein "failing state", ein scheiternder Staat, genannt wird.

 

Schon die Griechenland-Hilfen sind bei der Bevölkerung in Deutschland nicht sonderlich populär. Was hat ein deutscher Steuerzahler davon, wenn die Ukraine nicht zusammenbricht?

Vielleicht muss man deutschen Steuerzahlern gelegentlich deutlich machen, dass die Vernetzungen und Verbindungen inzwischen global sind. Die Ukraine liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft der Europäischen Union, Griechenland liegt an der Südostflanke der Europäischen Union und der Nato. Man muss sich fragen: Was für ein Vakuum hinterlassen kollabierende Staaten? Wer geht in dieses Vakuum hinein? Kann das nicht die innereuropäische Stabilität beeinträchtigen? Die Ukraine könnte eine Brücke zwischen der Russischen Föderation und Europa sein - wohl wissend, dass über die Annexion der Krim und die massive Destabilisierung, die Russland in der Ukraine betreibt, viel Vertrauen verloren gegangen ist. Aber Politik muss versuchen, Brücken zu bauen.

Haben Sie mit der Bundeskanzlerin oder dem Außenminister über Ihre Arbeit als Aufbauhelfer für die Ukraine gesprochen?

Ich habe mit Außenminister Steinmeier und seinem zuständigen Staatssekretär gesprochen. Der CDU-Kollege Karl-Georg Wellmann hat dies gegenüber der Bundeskanzlerin und ihrem Amt übernommen. Gern werde auch ich den Kontakt zu ihr suchen.

Sie leiten die Arbeitsgruppe für Finanz- und Steuerwesen. Erscheint es Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnvoller, das bestehende System in der Ukraine zu reformieren oder ein komplett neues Steuerwesen aufzubauen?

Dazu werde ich mich in der Ukraine kundig machen. Ich werde so schnell wie möglich mit Vertretern der ukrainischen Zentralbank und mit Finanzministerin Natalija Jaresko sprechen. Aber ich werde mich nicht allein auf das Urteil offizieller Stellen verlassen wollen, sondern auch mit anderen reden, die einen Blick auf den Bankensektor, auf das Zentralbanksystem und die Steuerverwaltung haben.

Wann geht es mit Ihrer Arbeit los?

Ohne schuldhaftes Verzögern. Zunächst spreche ich einige Fachleute an, die eine ständige Arbeitsgruppe bilden könnten. Die acht Senior Advisor sind ja nicht vollzeitbeschäftigt. Aber sie sollen Strukturen für ihre jeweiligen Arbeitsbereiche schaffen.

Werden Sie in Berlin oder in Kiew stationiert sein?

Beides.

Wer wird Ihre Vorschläge am Ende entgegennehmen?

Darüber hat es eine lange Debatte gegeben. Der Adressat wird in erster Linie das Parlament sein. Aber es hat keinen Sinn, einfach nur ein Papier mit den Vorschlägen aus den acht Arbeitsgruppen zu erstellen. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass wir parallel zu unserer Arbeit auch einen öffentlichen Diskussionsprozess, unter Mitwirkung von Medien in der Ukraine, von Nichtregierungsorganisationen, von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, in Gang setzen müssen. Die Ukraine muss diskutieren: Wohin soll sich dieses Land entwickeln, welche Schritte sind dafür notwendig?

Wann wird es das Abschlusspapier geben?

Die sehr ehrgeizige Festsetzung ist: in 200 Tagen. Das wäre im Oktober.

Haben Sie keine Bauchschmerzen, dass Oligarchen Ihre Arbeit finanzieren?

Diese Frage hat sich die in meinen Augen bemerkenswerte Riege von Persönlichkeiten, die da zusammengekommen ist, auch gestellt. Wir arbeiten in Strukturen, die definitiv keiner Kontrolle und Einflussnahme durch jene unterliegen, die die Anschubfinanzierung organisiert haben. Ja, dazu gehören Oligarchen. Aber weder in der Agentur zur Modernisierung der Ukraine noch im Advisory Board ist ein Oligarch vertreten. Alle acht Senior Advisor würden sofort zurücktreten wenn es auch nur den Anschein einer Einflussnahme gäbe. Im Übrigen: Man wird die ukrainische Wirtschaft nicht gegen die Oligarchen reformieren oder wettbewerbsfähig machen können, unabhängig davon, was man von ihnen hält.

In den ersten Berichten über Ihre neue Tätigkeit ging es auch um die Frage, wie viel Sie dabei verdienen. Hat Sie das gestört oder sind Sie vom Bundestagswahlkampf noch abgehärtet?

Es soll eine Vergütung geben, wie das in Fällen einer  Beratungstätigkeit oder Dienstleistung durchaus üblich ist – sogar bei Journalisten. Keiner der acht Senior Advisor hat das Thema bisher auf die Tagesordnung gesetzt.

Mit Peer Steinbrück sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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