Politik

126.000 Fässer Atommüll in Asse Alles muss raus - bloß wohin?

Aus heutiger Sicht ist unfassbar, wie früher mit Atommüll umgegangen worden ist.

Aus heutiger Sicht ist unfassbar, wie früher mit Atommüll umgegangen worden ist.

(Foto: picture alliance / dpa)

Umweltminister Altmaier besucht die Asse. Womit er dort konfrontiert wird, sind die Spuren eines Zeitalters, in dem sich die Deutschen über die kommenden Generationen zu wenige Gedanken gemacht haben. Aufschub gibt es keinen mehr, die strahlenden Fässer müssen gehoben werden. Doch so einfach dürfte das nicht werden.

Die Botschaft ist klar: Bergmannsohn Peter Altmaiers macht die Asse zur Chefsache.

Die Botschaft ist klar: Bergmannsohn Peter Altmaiers macht die Asse zur Chefsache.

(Foto: dpa)

Es sind die gelben Zeugen einer Zeit, in der die Menschen so manches noch anders sehen, so manches Risiko des technischen Fortschritts nicht abschätzen können - oder wollen. Im ehemaligen Bergwerk Asse tickt die atomare Zeitbombe. Seit Jahrzehnten liegen hier in einem Salzstock mindestens 126.000 gelbe Fässer mit strahlendem Abfall.

Zwischen 1967 und 1978 bringt man, sorglos wie zu dieser Zeit üblich, die Tonnen einfach hierhin. Atomindustrie, Krankenhäuser und Forschungseinrichtungen nutzen über Jahre hinweg die Möglichkeit, hier kostenlos ihren radioaktiven Müll loszuwerden. Und die Politik lässt es zu, ohne die Folgen im Blick zu haben.

Daumendrücken für die Rückholaktion

Das Problem fällt nun dem neuen Bundesumweltminister Peter Altmaier auf die Füße. Sein Vorgänger, Norbert Röttgen, lässt in dieser Sache die Zügel über Monate schleifen. Erst vor wenigen Wochen stattet Röttgen dem nuklearen Problemfall in Niedersachsen einen ersten Besuch ab. Da ist er schon zweieinhalb Jahre im Amt.

Altmaier legt da ein anderes Tempo vor. Er hat noch nicht einmal den Überblick, was bis zum Ende der Legislatur noch zu leisten ist, einen Zehn-Punkte-Plan dazu will er noch vor der Sommerpause vorlegen. Doch für einen Besuch des überirdisch durchaus idyllischen Harzausläufers findet er schon jetzt Zeit.

Man dürfe solch offenen Wunden in der Natur nicht einfach hinnehmen, findet der Saarländer. "Ich kann nicht versprechen, dass Sie mit allem einverstanden sind, was ich tun werde", sagt Altmaier bei seiner Ankunft an dem Atommülllager. Und: "Drücken Sie uns die Daumen, wir haben sehr viel Arbeit vor uns."

Fässer einfach in die Tiefe geworfen

Das ist alles soweit löblich. Doch Daumen drücken dürfte bei den Problemen in der Asse wohl kaum reichen. Hier lagern Tonnen schwach- und mittelradioaktiver Abfälle. In besonders tief liegenden Kammern, rund 750 Meter unter der Oberfläche, liegt die Mehrzahl der Fässer mit weniger aktiven Rückständen. Sie stammen aus der Wiederaufbereitungsanlage des ehemaligen Kernforschungszentrums Karlsruhe, der ehemaligen Kernforschungsanlage Jülich und aus Kernkraftwerken. In den Metall- oder Betonbehältern sind, wahllos gemischt, Laborabfälle, Schutt und Schrott. Aus der Anfangszeit der Einlagerung soll es auch mit flüssigen Giften gefüllte Gebinde geben.

In der Asse kann sich keiner mehr so sorglos bewegen wie noch vor einigen Jahren.

In der Asse kann sich keiner mehr so sorglos bewegen wie noch vor einigen Jahren.

(Foto: AP)

Auf einer zweiten Ebene, rund 250 Meter darüber, befindet sich der mittelradioaktive Teil des Atommülls. Fast alles, was hier vor sich hin strahlt, kommt aus Karlsruhe. Bis vor wenigen Jahren gab es Verwirrung darüber, wie viele Fässer hier tatsächlich liegen. 2010 wurde die Inventarliste noch einmal überprüft und bekannt, dass es nicht nur rund 1300 200-Liter-Behälter sind, sondern wohl über 16.000.

Wie in den 60er und 70er Jahren üblich, gehen die Arbeiter mit dem strahlenden Gut alles andere als zimperlich um. Anfangs stapeln sie die Fässer fein säuberlich und aufrecht stehend. Später legen sie sie, um den Raum der Kammern besser ausnutzen zu können. Als die Hohlräume dann schon fast voll sind, lassen sie die Fässer über Salzrutschen einfach in die Löcher fallen. In welchem Zustand die Fässer seither sind, weiß kein Mensch.

Ignorieren, vertuschen, vertagen

Denn ab Ende der 70er Jahre entschließt man sich dazu, keinen weiteren Atommüll mehr dort zu verklappen. Manch einer ahnt da schon, dass in der Tiefe ein Problem schlummert, das die Region noch über Jahrtausende belasten wird. Die in der Tiefe liegenden Fässer sind vermutlich gerostet, Tag für Tag dringen bis zu 12.000 Liter Wasser in das Bergwerk ein. In Salzlauge ausgewaschen könnten radioaktive Substanzen ins Grundwasser gelangen. Erdbewegungen machen den Salzstock instabil, er droht einzustürzen - mit unabsehbaren Folgen für die Biosphäre.

Die Behörden beteuern zwar, dass in der Umgebung des Lagers bislang keine Kontamination mit radioaktiven Substanzen festgestellt werden kann. Daten des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen sprechen jedoch eine andere Sprache. Sie weisen ein deutlich vermehrtes Auftreten von Krebserkrankungen in der Region aus - eine mögliche Folge radioaktiver Strahlung.

Und die Politik? Die hat das unangenehme Problem über Jahre ignoriert, vertuscht, vertagt. Mit dem unvermeidlichen Eingeständnis, auf die Frage nach der Zukunft des Atommülls keine Antwort zu haben, gewinnt man keine Wahlen. Immerhin übertrug man die Verantwortung für das marode Untertagebauwerk der Bundesanstalt für Strahlenschutz (BfS), anerkennend, dass ein atomares Problem vorliegt.

Kommt mit Altmaier eine "Lex Asse"?

Doch das macht die Situation nicht leichter. Denn seither wird die Anlage nach deutschem Atomrecht behandelt. Und das ist ziemlich restriktiv. Besuchergruppen konnten zuvor ohne weiteres scharenweise das Bergwerk besichtigen. Heute gehen mit den stark reglementierten Besuchen eingehende Strahlenschutzmaßnahmen einher. Vernünftig zwar, aber auch Ausdruck dessen, was die Rückholung des Strahlenmülls jetzt so schwierig macht.

Die Probebohrungen sollen zeigen, wie es in den Kammern tatsächlich aussieht.

Die Probebohrungen sollen zeigen, wie es in den Kammern tatsächlich aussieht.

(Foto: dpa)

Denn seit Monaten tritt das BfS auf der Stelle. Hohe rechtliche und technische Hürden verzögern den Ablauf. Die Behörde soll prüfen, ob und wenn ja, bis wann die Fässer aus der Tiefe geholt werden können. Doch schon alleine die Genehmigung für diese Tests zu bekommen, gestaltet sich schwierig. Um die ausgewählte Kammer 7 anbohren zu dürfen, musste ein Forderungskatalog von fast 1000 Seiten abgearbeitet werden.

Nun, just einen Tag vor dem Besuch des neuen Ministers, sind die Genehmigungsvoraussetzungen plötzlich erfüllt, heißt es. Ein, zwei wütende Anrufe des neuen Ressortchefs dürften da wohl ihr Übriges getan haben. Dass es jetzt auch so zügig weiter geht, hoffen die Anwohner. Eine "Lex Asse" wird von ihnen schon seit langem gefordert. Ziel ist, die bürokratischen Vorgaben so stark zu vereinfachen. Und damit dem Zeitplan ein Schnippchen zu schlagen, der zuletzt für so viel Aufsehen sorgte.

Wohin mit den Tonnen?

Eines der wenigen Verdienste Röttgens um die Asse ist es, dass erstmals detailliert aufgeschlüsselt werden muss, in welchem Zeitrahmen eine mögliche Rückholung erfolgen kann. Das Ergebnis, das seit wenigen Tagen vorliegt, ist ernüchternd. Bis 2036 kann die Aktion schlimmstenfalls dauern. Experten befürchten, dass bis dahin der Salzstock schon längst eingestürzt ist. Alleine dieses Jahr werden 100 Millionen Euro in die Stützungsbauten gesteckt. Doch irgendwann können auch die womöglich nicht mehr verhindern, dass die Kammern überflutet werden.

Die Atomfässer müssen also so schnell wie möglich raus aus der Asse. Doch wenn das nicht möglich ist, was dann? Szenarien, die Asse einfach mit Zement zuzuschütten, kursieren immer wieder. Das wäre in den Augen von Umweltschützern und Anwohnern eine weitere Bankrotterklärung des Atomzeitalters.

Aber auch wenn die Bergung gelingt, steht ein schwieriges Problem bevor. Wohin mit den eingelagerten Abfällen? Die Region stellt sich schon darauf ein, dass auf absehbare Zeit ein überirdisches Zwischenlager akzeptiert werden müsste. Aber dann? Die Politik muss das bald beantworten. Die Asse ist eben nur eines der vielen Themen, die Peter Altmaier jetzt auf die Füße fallen.

Quelle: ntv.de

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