Wie viel Schwein darf es sein? Altmaier und Hofreiter reden über Fleisch
07.06.2016, 18:44 Uhr
Von kämpferischem Veganismus kann keine Rede sein: Peter Altmaier (l.) und Anton Hofreiter bezeichnen sich beide selbst als "Genussmenschen".
(Foto: dpa)
Der grüne Anton Hofreiter klagt mit seinem Buch "Fleischfabrik Deutschland" das System der Massentierhaltung an. Er stellt das Buch mit Peter Altmaier vor - einem bekennenden Genussmenschen.
Anton Hofreiters Wahl ist so geschickt wie plakativ: Ausgerechnet Peter Altmaier hat sich der grüne Fraktionschef ausgesucht, um sein Buch "Fleischfabrik Deutschland" vorzustellen. Altmaier witzelt gern über sein eigenes Gewicht, das eigenen Angaben zufolge bei "fast unter 140 Kilo" liegt. Und weil im Bundestag mal ein Mikrofon nicht abgedreht war, erfuhr die Welt, dass der CDU-Politiker schon morgens um neun zwei Würstchen verdrücken kann.
Genussmenschen wird nicht das Genießen verboten – das ist das Signal, das Hofreiter mit Altmaier als Pate für sein Buch aussenden will. Seine Grünen haben schließlich im vergangenen Bundestagswahlkampf leidliche Erfahrungen mit dem Label "Verbotspartei" gemacht. Sie forderten damals den Veggieday - einen fleischfreien Tag in Kantinen.
Altmaier liefert bei der Buchpräsentation wie kalkuliert: Er erzählt begeistert davon, wie er als Kind immer ein "zweifingerdickes Fleischwurststück" beim Metzger geschenkt bekommen habe. Er berichtet, dass er Grünkohlkönig von Oldenburg geworden ist und, dass er gerade eben noch einen Hamburger verzehrt habe. Das entscheidende ist aber - er stützt zugleich die Kernthese von Hofreiters Buch. Die lautet: Kein Totalverzicht, aber Deutschland muss dringend eine "Agrarwende" vollführen, einen Wechsel hin zu seinem bewussten Fleischkonsum und einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Altmaier: "Wenn man ein Buch vorstellt, muss man von der Wichtigkeit des Themas überzeugt sein." Darüber wie die "Agrarwende" im Detail geschehen soll, sind sich die beiden allerdings nicht ganz so einig.
Deutschland ist drittgrößter Schweinefleisch-Produzent
Hofreiter, ein promovierter Biologe, beklagt in seinem Buch, dass sich Deutschland nach China und den USA zum drittgrößten Schweinefleischproduzenten der Welt entwickelt hat. Er kritisiert, dass die Bundesrepublik für die Zucht von insgesamt 830 Millionen Tieren (nicht nur Schweinen) Soja aus Südamerika importieren muss, dessen Anbau klimarelevante Landschaften verdrängt. Und er wirft den deutschen Produzenten vor, dass sie überschüssige Fleischprodukte so billig nach Westafrika exportieren, dass die Landwirte dort verzweifeln und letztlich als Wirtschaftsflüchtlinge nach Europa drängen.

In Deutschland produzieren immer weniger Betriebe immer mehr Fleisch. Besonders kritisch ist diese Entwicklung in der Schweinemast.
(Foto: dpa)
Ein besonderes Anliegen ist Hofreiter das Tierwohl und die Artenvielfalt, die er durch die Massentierhaltung zusehends in Gefahr sieht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sank die Zahl der Betriebe, die Mastschweine halten, in den vergangenen 20 Jahren um knapp 90 Prozent auf rund 27.000 – obwohl die Zahl der geschlachteten Tiere um 50 Prozent zunahm. Viele der neuen Großbetriebe setzen laut einer Studie der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung auf metallene Spaltenböden statt die artgerechteren Strohflächen, weil man diese nicht mehr ausmisten muss. Auch ein immer stärkerer Einsatz von Antibiotika und automatisierte Fütterungen gehören demnach zu diesem Trend.
Hofreiter beschreibt Bauern und Verbraucher als "Getriebene eines falsch aufgestellten Systems" und macht die Bundesregierung für diese Entwicklungen mitverantwortlich. "Die Bundesregierung versäumt eine vernünftige Verteilung der Gelder", sagt er. Außerdem brauche es dringend transparente Informationen über Fleischprodukte in Supermärkten. Wo Massentierhaltung drin steckt muss laut Hofreiter auch Massentierhaltung draufstehen.
Altmaier gegen Erhöhung der Hartz-IV-Sätze für Lebensmittel
Altmaier weicht in diversen Punkten von Hofreiters Sicht ab. Das Freihandelsabkommen TTIP etwa befürwortet er im Gegensatz zum Grünen. Auch den Einsatz von Glyphosat will er nicht partout verteufeln, weil die Folgen eines Verbots des Unkrautvernichters schlicht zu komplex seien, um sie als nur gut oder nur schlecht einzustufen. Altmaier sagt zudem Sätze wie: "Ich meine, dass die Größe des Stalls nicht automatisch etwas darüber aussagt, wie es um das Wohl des Tieres bestellt ist." Differenzen treten zudem bei der Frage auf, ob es notwendig ist, die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen, damit mehr Geld für Lebensmittel da ist. Hofreiter geht davon aus, dass die Preise bei einem verbesserten Tierschutz um drei bis sechs Prozent steigen würden. Altmaier erinnert daran, dass die Sätze schon jetzt automatisch steigen, wenn sich die Lebenshaltungskosten erhöhen. Er legt besonderen Wert darauf, dass der Anreiz, arbeiten zu gehen, durch zu hohe Sozialleistungen nicht gefährdet wird.
Die Frage, ob ihre gemeinsame Buchpräsentation auch auf einen Koalitionswunsch der beiden hindeutet, kommt zwischendrin immer wieder auf. Kein Wunder: Hofreiter gilt als offen für eine Koalition mit der Union, obwohl er zur Parteilinken gehört. Altmaier war früh Mitglied der sogenannten Pizza-Connection, einer losen Gruppe von CDU- und Grünenabgeordneten, die sich zum Essen trafen und Gemeinsamkeiten ausloteten. Beide wollen sich aber nicht festlegen. Insbesondere Altmaier nicht. Der Frage, ob sich die Differenzen beim Thema "Agrarwende" in Koalitionsverhandlungen überwinden ließen, weicht er vollends aus. Zudem sagt er, dass er auch ein Buch von SPD-Chef Sigmar Gabriel oder FDP-Mann Christian Lindner vorgestellt hätte – ein passendes Thema vorausgesetzt.
Hofreiter versucht gerade, Profil in seiner Partei zu gewinnen. Er bewirbt mit sich um den Posten des Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl und muss sich dabei gegen beliebte Kollegen wie Parteichef Cem Özdemir und den Schleswig-Holsteiner Energiewendeminister Robert Habeck durchsetzen. Mit der Forderung, eine Vermögenssteuer einzuführen, hat er in der Partei nach dem gescheiterten Steuerwahlkampf 2013 gerade viel Ärger ausgelöst. Sich als Vorreiter für die "Agarwende" in Szene zu setzen, wird ihm in der Ökopartei dagegen wohl keiner übelnehmen.
Quelle: ntv.de