Wie mutig sind die Grünen? An Habeck führt nur ein Weg vorbei
26.01.2018, 11:22 Uhr
Habeck spielt mit seinem Image des Mannes von der Küste.
(Foto: picture alliance / Bodo Marks/dp)
Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen stellen sich die Grünen neu auf. Zunächst personell. Doch dass Hoffnungsträger Robert Habeck Parteichef wird, ist keinesfalls sicher. Bei der Vorstandswahl geht es auch um die DNA der Partei.
Die Grünen stehen vor einer bemerkenswerten personellen Erneuerung. Auf ihrem Parteitag in Hannover wählen die 825 Delegierten an diesem Wochenende ihre neuen Parteivorsitzenden. Dabei geht es um mehr als nur neue Köpfe, das macht die Sache so spannend wie kompliziert.
Für die beiden Posten gibt es dreieinhalb Bewerber. Wer am Ende reüssiert, hängt aber nicht nur von ihrer Beliebtheit ab, sondern auch von der Bereitschaft der Grünen, mit Traditionen zu brechen.
Der Hoffnungsträger, der vielleicht zu viel will
Robert Habeck ist populär. Der Energiewendeminister aus Schleswig-Holstein ist ein bürgernaher, pragmatischer Politiker, der auf Zuspruch über das eigene Milieu hinaus setzt. Zugleich pflegt Habeck gekonnt den Duktus des Visionärs. "Radikaler ist das neue realistischer", heißt es in seinem Bewerbungsschreiben. "Wir brauchen eine kritische Antwort der Moderne auf sich selbst, eine neue Gründung des gesellschaftlichen Ausgleichs." Der Quereinsteiger - in seinem ersten Leben war Habeck Schriftsteller - ist schon etwas anders als die meisten seiner Mitstreiter.
Der noch amtierende Parteivorsitzende, Cem Özdemir, unterstützt Habecks Kandidatur, obwohl er selbst bei den Grünen wohl aus der ersten Reihe verschwinden muss. Er hatte auf einen Ministerposten in einer Jamaika-Regierung spekuliert und seinen Rücktritt vom Parteivorsitz angekündet. Wegen der komplexen Flügel- und Geschlechterarithmetik der Partei steht für einen der populärsten Grünen nun kein höheres Amt mehr bereit.
Kritik muss Habeck sich vor allem anhören, weil er gern davon spricht, das grüne Flügeldenken zu überwinden. "Der großen Dynamik der Veränderung in fast allen Lebensbereichen steht die parteitaktische Lagerfixierung gegenüber", so Habeck. "Das Parteiengefüge spiegelt aber offenbar nicht mehr die gesellschaftliche Lage wider." Habeck selbst behauptet, keinem Flügel anzugehören, wird aber den Realos zugerechnet. Insbesondere einige Linke haben deshalb gewisse Abwehrreflexe entwickelt. Von einem Triumph würde ihn das beim Parteitag allerdings nicht abhalten. Habeck ist die unumstrittene Nachwuchshoffnung der Partei. Doch es gibt ein typisch grünes Problem.
Noch ist der 48-Jährige Minister in Schleswig-Holstein. Die Grünen pflegen aber seit ihren Gründungstagen das Prinzip der Trennung von Amt und Mandat. Das soll verhindern, dass einzelne Politiker zu viel Macht anhäufen. Habeck kann, davon ist er überzeugt, sein Amt als Minister im Norden nicht von heute auf morgen abgeben. Er fordert eine Übergangsfrist. In parteiinternen Verhandlungen gelang es, ihn von einem Jahr auf acht Monate herunterzuhandeln. Doch auch dafür bedarf es einer Satzungsänderung und die wiederum einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Parteitags. Die Hürde ist hoch. Die Parteispitze ist sich nicht sicher, ob es reicht.
Die Fachpolitikerin vom falschen Flügel
Annalena Baerbock hat sich viel vorgenommen: Die 36-Jährige ist Fachpolitikerin durch und durch, eine Europa- und Klimaexpertin. "Klammertexte, Änderungsanträge, modifizierte Übernahmen, das ist voll mein Ding", schreibt sie in ihrer Bewerbung. Baerbock will die Grünen als Vorsitzende bei der Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm prägen. Mit ihrer Rolle im grünen Sondierungsteam erwarb sie sich bereits viel Respekt. Unumstritten ist sie trotzdem nicht. Was allerdings nicht an ihrer Eignung oder Person liegt.
Baerbock wird wie Habeck dem Realo-Flügel zugerechnet. Traditionell gilt bei den Grünen aber, dass sich die beiden Lager die Spitzenposten teilen. Davon wichen die Grünen in ihrer Geschichte bisher nur einmal ab, als Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl übernahmen.
Anders als Habeck geht Baerbock das Dilemma diplomatisch an, sie spricht ausdrücklich nicht davon, das Flügeldenken zu überwinden. "Natürlich muss besonders im Parteivorstand das Zusammenspiel der unterschiedlichen Strömungen, die ohne Frage Teil unserer politischen DNA sind, gut funktionieren", schreibt sie. Einen Flügel zu marginalisieren sei "Harakiri".
Baerbock hat Erfahrung beim Austarieren zwischen den Flügeln - unter anderem in ihrem Landesverband Brandenburg. In der Mark darbte die Partei länger als in anderen Bundesländern in der außerparlamentarischen Opposition und war personell so schwach aufgestellt, dass es gar nicht anders ging, als flügelübergreifend anzupacken. Ob sie ausreichend Stimmen aus dem linken Lager auf sich vereinen kann, ist trotzdem ungewiss.
Die Chance der Linken mit Makel
Schon als es um die Kür der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl ging, offenbarte sich ein Dilemma des linken Flügels. Es gab dort keine Frau, die sich das Amt zutraute. Die Reala Göring-Eckardt konnte den Posten konkurrenzlos übernehmen. Dass Anja Piel nach dem Ausscheiden der eher unglücklich agierenden Simone Peter den Posten der Vorsitzenden übernehmen will, dürften viele Linke mit Erleichterung gehört haben.
Piel hebt sich bei der programmatischen Schwerpunktsetzung von Baerbock ab. Die 52-Jährige wirbt vor allem dafür, das soziale Profil der Partei zu schärfen. "Wenn es um Gerechtigkeit geht, geht es immer auch um Umverteilung", schreibt sie in ihrem Bewerbungsbrief. "Unsere Antwort auf die Gefährdung der Demokratie ist in erster Linie sozialpolitisch."
Piel wirbt überdies mit ihrer Erfahrung in Niedersachsen. Dort war sie in der Zeit der rot-grünen Koalition Fraktionschefin und ist es noch immer. "Wir haben Studiengebühren abgeschafft und eine umfassende Agrarwende auf den Weg gebracht, wir haben für eine menschenrechtsbasierte Flüchtlingspolitik gesorgt und kräftig in den Klimaschutz investiert." Doch ihr Versprechen, den Laden zusammenzuhalten, erfüllte sie nicht. Die rot-grüne Koalition im Nordwesten scheiterte, weil die einstige Grünen-Abgeordnete Elke Twesten zur CDU wechselte.
Wie groß der Rückhalt der im Bund noch eher unbekannten Politikerin ist, ist unklar. Bisher sprach sich lediglich die Grüne Jugend (gewissermaßen das linke Lager des linken Lagers) für sie aus.
Der halbe Kandidat
Sven Giegold hat sich noch nicht offiziell für den Parteivorsitz beworben. Doch der Attac-Mitbegründer und profilierte Europa-Politiker steht für den Fall bereit, dass Habeck an der Satzungsänderung scheitert. Der 48-Jährige ist ein beliebter Gesprächspartner für Journalisten, vor allem wenn es um Wirtschafts- und Finanzfragen geht. Der breiten Öffentlichkeit ist auch er aber noch nicht bekannt.
Ob er überhaupt eine Rolle spielen wird, hängt von vielen Faktoren ab. Die Wahl der Vorsitzenden, dürfte an ein Dominospiel erinnern. Am Freitagabend stimmen die Delegierten über die Satzungsänderung zur Trennung von Amt und Mandat ab. Dann steht fest, ob Habeck kandidieren kann. Davon hängt wiederum alles andere ab. Darf er, werden am Samstagnachmittag zunächst Baerbock und Piel gegeneinander antreten. Die Satzung der Grünen garantiert stets einer Frau einen der beiden Vorsitzendenposten.
Die Verliererin könnte, muss dann aber nicht gegen Habeck antreten. Piel hat bei einer Niederlage versichert, dem Mann aus Schleswig-Holstein keine Konkurrenz zu machen. Baerbock ließ das offen. Sie komme aus dem Leistungssport, "trainiert wird immer auf Platz eins". Ihre Chancen in einem Duell mit Habeck wären allerdings gering.
Sperren sich die Grünen dagegen, die Satzung zu ändern, heißt es womöglich: Alle gegen alle. Erst Baerbock gegen Piel. Dann vielleicht die Verliererin dieses Duells gegen Giegold. Klare Favoriten gibt es dabei nicht. Eine weibliche Doppelspitze ist möglich, theoretisch sogar das Novum einer Doppelspitze aus zwei linken Kandidaten. Bei alledem gilt allerdings: Wenn ausgerechnet der klar favorisierte Kandidat Habeck wegen alter Parteiregeln kein Teil der neuen Führung sein sollte, wären das sicher schwierige Voraussetzungen für die Neuausrichtung der Grünen.
Quelle: ntv.de