Ex-Militär soll geschossen haben Anschlag auf Japans Ex-Regierungschef Shinzo Abe
08.07.2022, 05:41 Uhr
Kurz vor den Oberhaus-Wahlen in Japan wird der frühere Regierungschef Shinzo Abe Opfer eines Attentats. Der 67-Jährige schwebt in Lebensgefahr. Nach einem Medienbericht soll es sich bei dem Täter um einen Ex-Militär handeln, der mit einer selbstgebastelten Waffe zwei Schüsse abgab.
Auf den japanischen Ex-Regierungschef Shinzo Abe ist auf offener Straße ein Anschlag verübt worden. Nach Regierungsangaben befindet er sich in einem "sehr ernsten Zustand". "Ich bete, dass der ehemalige Premierminister Abe überlebt", sagte Regierungschef Fumio Kishida. Er verurteilte die Attacke als "barbarischen Akt", die Tat sei "vollkommen unverzeihlich". Laut Medienberichten soll Abe keine Vitalfunktionen mehr zeigen und einen Herz-Kreislauf-Stillstand haben.
Während einer Wahlkampfrede in der alten Kaiserstadt Nara hatte ein Mann von hinten zweimal auf Abe geschossen. Einem Medienbericht zufolge soll es sich bei dem Täter um ein Ex-Mitglied der Selbstverteidigungsstreitkräfte des Landes handeln. Das berichtete der japanische Fernsehsender NHK unter Berufung auf Quellen im Verteidigungsministerium. Der 41-Jährige soll mit einer selbstgebastelten Schusswaffe die Schüsse abgefeuert haben. Der Mann wurde noch am Tatort wegen versuchten Mordes verhaftet.
Aufnahmen zeigen, wie sich Abe an die Brust fasste, als er auf der Straße kollabierte, sein Hemd war blutverschmiert. Auf dem Weg in ein Krankenhaus sei er im Krankenwagen zunächst noch bei Bewusstsein gewesen und habe auf Ansprache reagiert, hieß es in Medienberichten.
Japans Regierungschef Kishida, der Abe im Amt gefolgt war, brach unmittelbar nach dem Attentat seinen Wahlkampf in der Präfektur Yamagata im Norden Japans ab und machte sich im Hubschrauber auf den Weg zurück nach Tokio. Seine Regierung richtete einen Krisenstab ein. Der Anschlag passierte zwei Tage vor Wahlen zum Oberhaus am Sonntag. Japan gilt als eines der sichersten Länder und hat mit die schärfsten Waffengesetze der Welt.
Regierungssprecher Hirokazu Matsuno verurteilte den Anschlag aufs Schärfste. Auch vonseiten der Opposition gab es besorgte Stimmen über den Zustand des rechtskonservativen Abe. "Gewalt gegen politische Aktivitäten ist absolut inakzeptabel", sagte ein Vertreter der Kommunistischen Partei. Er bete für Abe.
Abe strebte Abkehr von pazifistischer Verfassung an
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zeigte sich erschüttert über den Anschlag. "Ich bin schockiert über die Nachricht, dass auf Shinzo Abe geschossen wurde. Meine Gedanken sind bei ihm und seiner Familie", schrieb Baerbock bei Twitter. US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich ähnlich. "Dies ist ein sehr, sehr trauriger Moment", sagte Blinken am Rande des G20-Treffens auf Bali. Die USA seien "zutiefst besorgt".
Abe war zunächst von 2006 bis 2007 und dann von 2012 bis 2020 Regierungschef Japans. Er war damit der am längsten amtierende Premier des Landes. Unter ihm rückte Japan nach Meinung von Kritikern deutlich nach rechts.Der 67-Jährige gehört zu den entschiedenen Verfechtern einer Revision der pazifistischen Nachkriegsverfassung des Landes. Im Artikel 9 der Verfassung verzichtet Japan "für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten". Abe glaubt, dass die Verfassung nicht der einer unabhängigen Nation entspricht, da sie 1946 von der Besatzungsmacht USA aufgezwungen worden sei.
Wirtschaftlich wollte Abe mit seiner "Abenomics" getauften Wirtschaftspolitik aus billigem Geld, schuldenfinanzierten Konjunkturspritzen und dem Versprechen von Strukturreformen Japan aus der jahrzehntelangen Deflation und Stagnation führen. Zwar hat die Nummer drei der Weltwirtschaft unter Abe zwischenzeitlich die längste Wachstumsphase seit Jahren erlebt. Zudem kurbelte er den Tourismus an, der vor der Corona-Pandemie viel Geld ins Land brachte. Gleichzeitig aber habe die "Abenomics" dazu geführt, dass die Gewinne in den vergangenen Jahren ungleich verteilt worden seien, beklagten seine Kritiker. Ein Drittel der Beschäftigten in Japan hat keine feste Anstellung.
Nach seinem Rücktritt 2020 spielte Abe noch eine wichtige Rolle in der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP). In Japan finden am Sonntag Wahlen zum Oberhaus statt. Es wird erwartet, dass die LDP einen haushohen Sieg erringen wird. Damit könnte die Debatte um eine Verfassungsänderung an Fahrt gewinnen.
Quelle: ntv.de, ghö/ino/AFP/dpa