"Berliner Kreis" mit Ladehemmungen Anti-Merkel-Klub zerfällt
31.08.2012, 13:26 Uhr
Ein böser Blick und die Kanzlerin hat die Revolte überstanden.
(Foto: dapd)
Die Union rückt unter Merkel schleichend immer weiter nach links. Eine Gruppe von CDU- und CSU-Politikern tritt nun an, den Parteifreunden wieder mehr Konservatismus zu lehren. Doch die Bewegung zeigt Schwächen, kann sich nur mühsam auf eine gemeinsame Linie einigen. Langsam stellt sich die Frage: Kommt da noch was?
Den Aufständischen geht die Puste aus. Der mit so viel Verve gestartete "Berliner Kreis" scheint schon ins Koma gefallen zu sein, noch bevor er richtig zum Leben erwacht ist. Eine Gruppe von Unionspolitikern ist angetreten, um der Partei wieder mehr Konservatismus einzuhauchen. Doch statt eines lange angekündigten großen Grundsatzpapiers kam bisher - nichts.
Vor wenigen Tagen sollte es so weit sein. Die Gruppe um den hessischen CDU-Fraktionschef Christean Wagner und den innenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, hatte zu einer großen Präsentation geladen. Der Öffentlichkeit wollten sie ihre Positionen erklären. Erklären, was der CDU/CSU derzeit fehlt. Erklären, wie die Union wieder an die Wähler rankommt, die mit der Politik Merkels unzufrieden sind.
Doch der Termin wurde kurzfristig abgesagt. "Aufgrund der Ferienzeit konnte die notwendige redaktionelle Endabstimmung der inhaltlichen Positionierung des 'Berliner Kreises' wider Erwarten nicht mehr rechtzeitig erfolgen", erklärte Wagner in der "Welt". "Wider Erwarten" war also Sommer und damit Ferienzeit? "Wider Erwarten" sind die rund 40 Mitglieder der Bewegung im Ringen um die richtigen Worte nicht fertig geworden?
Von Aufstand will niemand etwas wissen
Die Absage dürfte andere Gründe haben. Vielleicht zeigten eher die Ordnungsrufe aus der Fraktionsspitze, dem Kanzleramt und von anderen hochrangigen Unionspolitikern ihre Wirkung. Baden-Württembergs Landeschef und Anwärter auf einen Vizeposten im Bundesvorstand, Thomas Strobl, beklagte ein "Sommertheater". Fraktionschef Volker Kauder wies darauf hin, dass "wir die christlichen Demokraten sind und bleiben wollen - und nicht konservative Demokraten". Und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier monierte: "Es reicht nicht aus, Unzufriedenheit zu verbreiten. Ich will Inhalt und nicht nur Stimmung." Im Übrigen habe Deutschland "eine höchst erfolgreiche Bundeskanzlerin, deren Politik ich unterstütze."
Die Botschaft, die viele vornehmlich im "Berliner Kreis" sahen, war schließlich die: Mit dieser CDU, mit der Union der Kanzlerin Angela Merkel, sind wir nicht mehr einverstanden. Dabei beteuern die, die dazugehören, eilig: "Der 'Berliner Kreis' richtet sich überhaupt nicht gegen die Kanzlerin und auch nicht gegen die Fraktionsspitze." Das sagt etwa der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis n-tv.de. Man wolle lediglich bestehenden Debatten innerhalb der Fraktion eine Plattform und Stimme verleihen. Von einem Aufstand wollen weder er noch andere Unionsleute, die sich dem "Berliner Kreis" zurechnen, etwas wissen.
Dabei hört sich vieles, was Beteiligte sagen und gesagt haben, etwas anders an. Da ist etwa Wolfgang Bosbach, der nicht nur mit seiner Dauerablehnung der Euro-Rettungsbemühungen der Kanzlerin das Leben schwer macht. Er sagt auch Sätze wie: "Konservative fühlen sich in der Union nicht mehr heimisch." Wie soll das Kanzlerin und Parteichefin Merkel nicht als Affront verstehen?
Berliner Kreis taucht ab
Oder da spielt ein Alexander Gauland eine Rolle, ein konservativer Potsdamer Publizist, der im Sommer 2011 mit einem Meinungsstück in der "Welt" auf sich aufmerksam machte und darin noch etwas deutlicher wurde als Bosbach. Titel: "Mit Angela Merkel hat die CDU ihre Seele verloren". Kein Wunder, dass die Kanzlerin eine Bewegung, die aus solchen CDU-Mitgliedern besteht, nicht gutheißen kann.
Doch die Bewegung hat an Kraft verloren. CSU-Mann Geis sagt zwar: "Die Grundsatzerklärung wird ganz sicher entweder noch im September oder im Oktober kommen - dann jedenfalls, wenn wir in einer Sitzungswoche alle wieder in Berlin sind." Von ursprünglichen Plänen, die Sommerpause zum großen Start für die neue Bewegung zu nutzen, ist das aber nicht nur zeitlich weit entfernt. Denn bis auf Ausnahmen wie Geis tauchen die meisten Protagonisten der konservativen Rückbesinnung mittlerweile ab.
Christean Wagner will sich nicht äußern, bevor es ein belastbares Papier gibt. Wann das komme? "In absehbarer Zeit", heißt es aus seinem Umfeld. Bosbach sagt ab, er will partout nicht Kopf der Bewegung sein. Gauland sagt ab, auch er will auf ein Ergebnis warten. Und auch Thomas Dörflinger sagt ab - der Mann, der im Auftrag des "Berliner Kreises" die einenden Positionen aufschreiben sollte und daran so kläglich gescheitert ist. Unter der Hand tuscheln Eingeweihte jetzt schon davon, dass die Revolte womöglich ganz abgesagt wird oder stillschweigend einfach ausfällt.
Revoluzzer rudern erschrocken zurück
Daran will Politologe Gerd Langguth dagegen nicht glauben. Er vermutet vielmehr, dass mit "erheblicher Verspätung" doch noch etwas kommt. Im Übrigen hält er das Ganze für so etwas wie einen Aufstand der Frustrierten. Schließlich existiert der Berliner Kreis bereits seit 2009. Und erst jetzt kommt die Gruppe mit einem Manifest um die Ecke. "Vorher haben sie immer nur im kleinen Kreis getagt - und geklagt", sagt Langguth zu n-tv.de. Es ist das ewige Lamento: Merkel wechsele zu abrupt ihre Positionen. Und: Insgesamt rücke sie zu weit nach links, nähere sich zu sehr der SPD an.
Und tatsächlich: In Merkels Regierungszeit fiel eine Reihe von Beschlüssen, die den Konservativen in der Seele wehtun und auch gut zu Rot-Grün gepasst hätten. Unter Schwarz-Gelb verabschiedet sich Deutschland aus der Atomkraft - eine Idee der Grünen, die aufrechte Konservative jahrzehntelang heftig bekämpften. Unter Schwarz-Gelb gibt Deutschland die Wehrpflicht auf - unvorstellbar in früheren Zeiten. Und es gibt weitere Punkte, die rechte Unionsleute mit Argwohn betrachten: die schleichende Abkehr von der Hauptschule, die wachsende Offenheit für Mindestlöhne und nicht zuletzt die liberalere Haltung gegenüber anderen Lebensformen als der für die Union so heiligen Ehe.
All das geht vielen in der Union gegen den Strich und bringt Teile der Partei gegen Merkel auf. Fürchten muss sie diese Bewegung dennoch nicht. "Das sind alles in der Wolle gefärbte CDU-Leute, die werden auch keine eigene Partei gründen", ist sich Langguth sicher. Im Übrigen scheint auch der Aufstand innerhalb der Partei eher klein auszufallen. Es scheint, dass sich die Rädelsführer von der ersten Gegenreaktion von Kauder, Merkel und Bouffier haben erschrecken lassen. Sie wollen plötzlich nicht mehr die Union umwälzen, sondern nur das Konservative in der Debatte stärker prononcieren. Das klingt milde und unbedenklich.
Schäuble sticht Bosbach aus
Gegen eine schlagkräftige Opposition innerhalb der Partei spricht auch die Mannschaft, die sich im Berliner Kreis zusammengefunden hat. Die ganz großen Namen fehlen. Es sind eher Leute, die an der einen oder anderen Stelle schon einmal innerhalb der Partei vor eine Wand gelaufen sind, denen höhere Posten verwehrt blieben.

Wolfgang Bosbach wäre gerne Innenminister geworden.
(Foto: dpa)
Da ist etwa Christean Wagner, der mit seiner Aussage, Ausländer sollten abgeschoben werden, wenn sie Deutsche beleidigen, nicht allen Unionsanhängern aus dem Herzen sprach. Für die Aktion steckte er damals viel Rüffel ein, auch aus den eigenen Reihen. Andere provokante Ideen brachten Wagner schon zuvor in die Schlagzeilen. 2005 forderte er elektronische Fußfesseln für Langzeitarbeitslose, um sie wieder an einen geregelten Tagesablauf zu gewöhnen. Später stellte er das als Missverständnis dar. Wagner, immerhin ehemaliger Landesminister in Hessen, bleibt auf seinem Posten in der Fraktion geparkt.
Oder da ist ein Wolfgang Bosbach, der seit Monaten erfolglos gegen die Europolitik der Regierung anrennt. 2005, nach der Bundestagswahl, hoffte der treue Parteisoldat auf einen Posten in Merkels Kabinett. Doch vergeblich. Das anvisierte Amt des Innenministers ging an Wolfgang Schäuble, auch 2009 änderte sich daran nichts. Auch wenn Bosbach 2013 noch einmal in den Bundestag will: Angesichts einer schweren Krankheit geht seine Karriere dem Ende entgegen. Umso weniger Zeit hat er, alte Rechnungen zu begleichen.
Was bedeutet 'konservativ' überhaupt?
Und da ist eine Erika Steinbach, die 2009 gerne in den Beirat der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" erhoben worden wäre, auf Druck Polens aber verzichtete. Die Nachbarn wollten einfach keine Frau akzeptieren, die einst gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze stimmte, der vorgeworfen wird, immer wieder die NS-Vergangenheit Deutschlands zu verharmlosen. Ein Machtwort aus dem Kanzleramt hätte Steinbach den Posten damals sichern könnte. Doch das kam nicht.
Die Zusammensetzung der Truppe ist auch ihre Achillesferse. Kein Wunder, dass der Berliner Kreis keinen gemeinsamen Nenner findet, wenn das, was sie eint, keine Inhalte sind, sondern der Groll der Zurückgesetzten. Denn in ihren Positionen sind viele der Mitglieder grundverschieden, wie auch Politologe Langguth weiß: "Das ist ein ziemlich heterogener Klub, der leicht zerfällt", sagt er.
Und er benennt ein weiteres grundsätzliches Problem dieses "Klubs": "Sie tun sich auch mit einer intellektuellen Auseinandersetzung darüber schwer, was überhaupt Konservativismus ist." Das liege daran, dass damit keine Ideologie, sondern - frei nach einem Zitat von Thomas de Maizière - lediglich eine Haltung beschrieben werden kann. Doch vielleicht gelingt es ja doch und der "Berliner Kreis" widerlegt alle seine Kritiker. Das lange erwartete Papier könnte es zeigen. Wenn es dann kommt. Im September. Oder im Oktober. Ganz bestimmt.
Quelle: ntv.de