Politik

Unterwegs mit Außenkanzler Merz Auf Französisch klingt auch der Sauerländer charmant

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Hat endlich einen Buddy in Berlin: Macron zeigt sich ganz angetan vom deutschen Kanzler.

Hat endlich einen Buddy in Berlin: Macron zeigt sich ganz angetan vom deutschen Kanzler.

(Foto: picture alliance/dpa)

Beim Ministerrat in Toulon und dem Besuch in Moldau zeigt sich wieder mal: Der Kanzler fühlt sich auf der internationalen Bühne wohl - und pflegt einen Ton, den es so zwischen Paris und Berlin lange nicht mehr gab. Doch was bedeutet das für die Politik zu Hause?

Friedrich Merz ist "fast ein bisschen neidisch" auf die Sommerresidenz des französischen Präsidenten. Aber wer wäre das nicht? Fort de Brégançon, das historische Präsidenten-Refugium auf einer felsigen Halbinsel an der Côte d'Azur, ist zwar rustikal, doch der Blick aufs Meer ist vermutlich unbezahlbar - ziemlich sicher sogar. Der deutsche Kanzler lässt sich davon gern beeindrucken und will selbst Eindruck machen. Für die Einladung bedankt er sich auf Französisch, und zwar überraschend gekonnt. Die beiden verstehen sich - nicht nur höflich, sondern auffallend herzlich. Die Stimmung ist so gut wie lange nicht mehr zwischen einem deutschen Kanzler (oder Kanzlerin) und einem französischen Präsidenten. Merz ist wirklich stolz auf die Einladung so kurz nach seinem Amtsantritt, zum Vergleich: Angela Merkel musste 15 Jahre darauf warten.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz am nächsten Tag liefert Merz auch gleich eine Erklärung dafür, dass es so gut klappt zwischen ihm und Macron: "Politik wird von Menschen gemacht und nicht von Institutionen. Und Menschen müssen Zeit haben für persönliche Begegnungen. Wir haben uns diese Zeit genommen in den letzten Monaten und ich bin dankbar dafür, dass du sie mir auch gegeben hast." Zwingende Voraussetzung ist aber auch eine jeweils stabile Regierung Zuhause, dazu später mehr. Die Gelegenheiten zum Austausch sind jedenfalls reichlich: Nächste Woche sehen sich die beiden schon wieder beim Europa-Forum in Évian, im November reist Macron zum Gegenbesuch nach Berlin. Und tags zuvor waren sie noch zusammen in Moldau.

Solche Termine liegen Merz. Er liebt die internationale Bühne und ist sichtlich stolz darauf, Deutschland im Ausland zu repräsentieren. Während ihm daheim mitunter Härte und Dünnhäutigkeit nachgesagt werden, wirkt er in der Weltpolitik fast wie verwandelt - konzentriert, aber offen, bestimmt, aber nahbar.

Wie sehr, zeigt sich einen Tag zuvor in Chişinau, der moldawischen Hauptstadt. Dort steht Merz neben Macron und dem polnischen Präsidenten Donald Tusk auf der Bühne eines großen Platzes. 80.000 Menschen feiern den moldawischen Unabhängigkeitstag, begleitet von Popstar Irina Rimes und einer sehr politischen Botschaft: Europa steht an der Seite Moldaus.

Überrumpelt auf Rumänisch

Merz darf als Erster nach der Begrüßung der in der Hauptstadt beliebten Präsidentin Sandu sprechen: Er redet auf Englisch. Im Hintergrund läuft die Übersetzung auf der Leinwand mit - nötig, wie sich bald zeigt. Die meisten Menschen hier sprechen kein Englisch. Der Applaus bleibt verhalten, kommt fast nur bei den Wörtern "Europa" oder "Maia Sandu". Als er dann aber mit einem Glückwunsch zum Geburtstag in der Landessprache endet: "La mulți ani, Republica Moldova", freut er sich sichtlich über den üppigen Applaus.

Zumindest bis Donald Tusk antritt - und einfach die komplette Rede auf Rumänisch hält. Und Macron tut es ihm gleich, legt auf ein kurzes "Bonsoir" eine flüssige Ansprache in feinstem Rumänisch nach. Merz ist beeindruckt - vielleicht auch ein wenig verdutzt. Eigentlich, so war es abgesprochen, wollten alle auf Englisch sprechen.

Sei's drum, die Botschaft ist trotzdem eindeutig und alle drei genießen das Bad in der Menge, Macron verteilt sogar Autogramme: Europa bekennt sich zu Moldau, einem kleinen Land, das seit Jahren zwischen den Blöcken steht. Geografisch Nachbar der Ukraine, historisch stark von Rumänien geprägt, aber als ehemaliger Sowjet-Staat zugleich immer schon Ziel russischer Einflussnahme - ob durch Desinformation, politische Destabilisierung oder wirtschaftlichen Druck.

Deutschland investiert seit Russlands Großinvasion in der Ukraine über 170 Millionen Euro in Sicherheit und Verteidigung des Landes, dazu kommen 64 Millionen für die energetische Unabhängigkeit. Moldau hat kaum eigene militärische Kapazitäten, während Russland Truppen im von Moldau abtrünnigen Transnistrien stationiert hat. Moskau könnte die gewaltsam die Kontrolle über Moldau übernehmen wollen und sich nicht länger auf Wahlmanipulation zugunsten der eigenen Marionetten beschränken. Ob Moldau den Kreml besser nicht reizen oder umso entschlossener in die EU streben soll, ist im Land umstritten.

Toulon: Von Institutionen zu Beziehungen

Zurück nach Frankreich, zurück nach Toulon. Dort tagt nach der Moldau-Reise der deutsch-französische Ministerrat - rund zwanzig Ministerinnen und Minister beider Länder arbeiten an einer politischen Agenda, die durchaus Tiefgang hat. Denn nach Jahren der Dissonanzen wollen Paris und Berlin wieder enger zusammenrücken - strategisch, wirtschaftlich, europäisch. Und das nicht nur inhaltlich, sondern auch im Ton.

Im Mittelpunkt des Treffens stehen 20 sogenannte Leuchtturmprojekte, darunter:

  • Ausbau grenzüberschreitender Energieinfrastruktur, besonders für Strom und Wasserstoff
  • gemeinsame Maßnahmen zur Rohstoffsicherung und Lieferkettenstabilität
  • schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren
  • eine koordinierte Innovationsstrategie.
  • im November ist ein Gipfel zur digitalen Souveränität in Berlin geplant
  • dazu kommen gemeinsame Fahrpläne für Raumfahrt, KI und andere Schlüsseltechnologien.

Auch wirtschaftspolitisch soll mehr Integration gewagt werden. Eine neue Taskforce soll Start-ups und Scale-ups gezielt fördern - mit Kapital, aber auch mit struktureller Unterstützung. Der Binnenmarkt soll resilienter werden, Unternehmen einfacher über die Ländergrenzen hinweg wirtschaften können.

In Toulon ist die Einigkeit groß, das liegt aber auch daran, dass gewichtige Streitpunkte erstmal ausgeklammert wurden. Der jahrzehntelange Atomstreit wird zwar entschärft - Frankreich darf künftig EU-Gelder für neue Reaktortechnologien nutzen, Deutschland erhält im Gegenzug Unterstützung für den Wasserstoffausbau aus Südwesteuropa. Doch andere Konflikte bleiben: Beim deutsch-französischen Luftkampfsystem und Prestigeprojekt FCAS stockt es weiter. Bis Endes des Jahres müssen hier Entscheidungen fallen, sonst wird das Projekt womöglich abgeblasen. Und auch beim der Bundesregierung so wichtigen Mercosur-Freihandelsabkommen gibt es keine Fortschritte, Frankreich blockiert weiter.

Die herrliche Kulisse von Fort de Brégançon kann darüber nicht hinwegtäuschen - aber immerhin: Franzosen und Deutsche wollen wieder mehr und intensiver miteinander sprechen. Der gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitsrat tagt am Nachmittag ebenfalls in Toulon. Außen- und Verteidigungsminister beider Länder, unterstützt von hohen Militärs, beschließen weitere Hilfen für die Ukraine. Luftverteidigung, Sanktionen, strategische Koordinierung - alles mit dem Ziel, Europas Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Nicht gegen, sondern mit der Nato.

Merz und Macron: Zwei, die einander brauchen

Zwischen Merz und Macron scheint etwas entstanden zu sein, das über Protokoll und Zweckfreundschaft hinausgeht. Macron genießt die neue Aufmerksamkeit aus Berlin. Bitter: Endlich meint Macron in Merz einen Partner in Berlin gefunden zu haben, nachdem es weder mit Merkel noch Scholz so richtig klappen wollte. Nun, da Europas deutsch-französischer Motor wieder Fahrt aufnehmen könnte, mangelt es an Stabilität daheim. Das gilt vor allem für Frankreich: 44 Milliarden Euro wollte Regierungschef Francois Bayrou einsparen. Der Streit darüber tobt so heftig, dass der Premierminister am 8. September die Vertrauensfrage stellt - und aller Voraussicht nach verlieren wird. Was dann folgt, ist offen.

Merz wiederum scheint sich in Frankreich wiederzufinden: als Kanzler, der gestalten will, nicht nur verwalten. Als Europäer, der sich auf dem internationalen Parkett wohlfühlt - und den das Pathos der französischen Rhetorik nicht abschreckt, sondern beflügelt. Spannend wird, ob Merz diesen Charme auch nach Hause tragen kann. Ob er den niedersächsischen Ministerpräsidenten so willkommen heißen kann wie die moldawische Präsidentin. Ob seine Regierung die Kraft findet, europäische Dynamik in deutschen Mut zu übersetzen. Denn die Bühne mag größer sein - aber das Publikum daheim ist wachsamer.

Quelle: ntv.de

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