Sondervermögen für 2010 geplant Aus für "Schattenhaushalt"
22.10.2009, 07:45 UhrDer von Union und FDP geplante "Schattenhaushalt" zur Finanzierung der Milliardendefizite in den Sozialkassen ist wegen verfassungsrechtlicher Bedenken geplatzt. Stattdessen sollen die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die gesetzliche Krankenversicherung 2010 einen Steuerzuschuss von 20 Milliarden Euro bekommen, wie die Finanzexperten von Union und FDP bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin mitteilten. Wie die Defizite in den Folgejahren ausgeglichen werden sollen, blieb offen. Der Streitpunkt Gesundheits-Finanzierung wurde vertagt. Der Abschluss der Verhandlungen wurde spätestens für Samstag erwartet.

Das Sondervermögen für die Sozialversicherungen - der sogenannte Schattenhaushalt - ist vom Tisch.
(Foto: dpa)
Eine Einigung gab es zudem bei Bildung und Forschung. Hier sollen jährlich drei Milliarden Euro mehr investiert werden, um das vor zwölf Monaten zwischen Bund und Ländern verabredete Ziel zu erreichen, zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für diesen Sektor auszugeben, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Bildung sei "das Thema" der Zukunft. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte, die "Bildungsrepublik" werde ein zentrales Ziel der Koalition. Dazu gehörten auch Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse und ein Bildungssystem, das Mobilität fördere.
In ihrer Finanzplanung rechnen die künftigen Bündnispartner für 2010 mit einer Rekord-Neuverschuldung des Bundes in Höhe von 76 Milliarden Euro. Darin ist bereits ein Darlehen für die BA über 20 Milliarden Euro enthalten. Wegen der besseren Konjunktur reichen aber 16 Milliarden Euro für die BA, die restlichen rund vier gehen an die Krankenversicherung. Mit dem Steuergeld sollen die Sozialbeiträge stabil gehalten werden.
Öffentlicher Druckgegen "Schattenhaushalt"
Das zusätzliche Geld soll 2010 in ein Sondervermögen des Bundes eingebracht werden, das transparent ausgestaltet werden soll. Ursprünglich war ein solches Sondervermögen schon für 2009 geplant. Es sollte mit rund 60 Milliarden Euro die Finanzierung der Sozialsysteme über mehrere Jahre garantieren. Der Betrag sollte auf einen Schlag über einen dritten Nachtragsetat bereits 2009 von Banken gepumpt werden. Die Rechtsexperten der Regierung rieten jedoch ab, weil in der Regel im Haushalt nur Ausgaben für ein Jahr festgeschrieben werden dürfen. Zudem hatte es massiven öffentlichen Druck gegen einen solchen "Schattenetat" gegeben.

Den Parteichefs stehen noch lange abschließende Verhandlungen bevor.
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Wie ab 2011 die Defizite in den Sozialkassen finanziert werden sollen, blieb offen. Darüber sei noch keine Entscheidung getroffen worden, sagte de Maiziere, der auch als Finanzminister im Gespräch ist. Nach Schätzung der alten Regierung summiert sich der Steuer-Zuschussbedarf der Sozialkassen bis 2013 auf 100 Milliarden Euro. Bei besserer Konjunktur würde er aber sinken. Aus Union und FDP hieß es, die Entscheidung über weitere Finanzhilfen sei auch offengeblieben, um einen gewissen Spardruck auf die BA auszuüben. Die große Koalition hatte vor der Finanzkrise entschieden, der BA nur noch Darlehen zu gewähren, aber keine Zuschüsse mehr zu bezahlen.
Spielräume für Steuersenkungen
Die jetzt gewählte Alternative eröffnet der neuen Koalition trotz der neuen Schuldenbremse im Grundgesetz Spielräume für Steuersenkungen. Durch die Umwandlung des BA-Darlehens in einen Zuschuss steigt der für die Schuldenbremse relevante Teil der Neuverschuldung des Bundes 2010 an. Wenn die Regierung dann ab 2011 die neue Schuldenbremse anwenden muss, startet sie also von einem höheren Niveau: Der Abbaupfad wird bis 2016 dadurch zwar steiler, in absoluten Zahlen kann die Regierung aber pro Jahr mehr neue Kredite aufnehmen als ohne diesen Rechentrick.
Der Umfang der Steuersenkungen ist allerdings noch unklar, er soll erst am Ende der Koalitionsverhandlungen entschieden werden. Der Abschluss der Beratungen wird nicht vor Freitagabend erwartet. Die FDP gehe erst von einem Abschluss in der Nacht zum Samstag aus, hieß es. Zu entscheiden ist bis dahin auch noch die Verteilung der Ministerämter.
Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP sollten am Samstagmittag über das Ergebnis unterrichtet werden. Anschließend würden die Parteichefs von CDU, CSU und FDP, Angela Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle, die Öffentlichkeit informieren.
Die wichtigsten Punkte des Tages:
HAUSHALT: Der geplante Nachtragsetat für 2009 samt Sondervermögen wurde schließlich aus verfassungsrechtlichen Bedenken gekippt. Wahrscheinlich gibt es ein Sondervermögen nun aber im nächsten Jahr. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière sprach von Zuwendungen an die Bundesagentur für Arbeit und die gesetzlichen Krankenkassen von etwa 20 Milliarden Euro. So sollen die Lohnnebenkosten stabil gehalten werden. "Damit spannen wir einen Schirm auf zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise", so der CDU-Politiker. Für die Jahre 2011 und 2012 sei noch nichts entschieden.
GEBÜHREN: Kommunale Unternehmen sollen künftig genauso besteuert werden wie private Anbieter. Das geht aus dem der Deutschen Presse-Agentur dpa vorliegenden Entwurf für den Koalitionsvertrag hervor. Der Mieterbund fürchtet deshalb pro Haushalt Mehrkosten von jährlich 150 Euro, wenn die Unternehmen die Mehrkosten etwa für Müll und Abwasser an die Bürger weitergeben. Aus Verhandlungskreisen wurde dem aber heftig widersprochen. "Da ist nichts dran", versicherte einer der Chef-Unterhändler.
WEHRPFLICHT: Die Dauer des Wehrdienstes wird voraussichtlich zum 1. Januar 2011 von neun auf sechs Monate verkürzt. Die Fachleute von CDU, CSU und FDP einigten sich darauf, die Wehrpflicht für junge Männer zu überprüfen, aber grundsätzlich bestehen zu lassen. Offiziell beschlossen war aber noch nichts.
BAHN: Die Deutsche Bahn soll in Etappen privatisiert werden. "Sobald der Kapitalmarkt dies zulässt, werden wir eine schrittweise ertragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logistiksparten einleiten", heißt es im Vertragsentwurf. Netz, Bahnhöfe und Energieversorgung der Bahn sollen nicht an Investoren verkauft werden - der Staat müsse die Verantwortung für die Infrastruktur tragen.
STEUERN: Unternehmen können sich auf schnelle Entlastungen einstellen. Teile der seit 2008 geltenden schwarz-roten Unternehmenssteuerreform sollen korrigiert und "krisenverschärfende Maßnahmen" für internationale Konzerne sowie Mittelstandsfirmen abgeschafft werden. Die Änderungen könnten den Staat bis 2013 nach früheren Berechnungen bis zu 14 Milliarden Euro kosten.
BANKENAUFSICHT: "Die Bankenaufsicht in Deutschland wird bei der Deutschen Bundesbank zusammengeführt", sagte de Maizière. Außerdem strebe Deutschland eine europäische Ratingagentur zur Bewertung von Risiken an. Ratingagenturen müssten unabhängig sein.
MANAGERGEHÄLTER: Um Fehlanreize zu vermeiden, planen Union und FDP, die Vergütungssysteme der Bankmanager stärker als bisher am langfristigen Erfolg eines Unternehmens zu orientieren. Bei schlechter Geschäftsentwicklung soll es im Zuge von Malus-Regelungen Gehaltsabzüge geben.
GESUNDHEIT: Union und FDP wollen die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich auf den Prüfstand stellen. Eine Expertenkommission soll vorbehaltlos verschiedene Richtungen prüfen. Die geltende Systematik des Gesundheitsfonds mit Einheitsbeitragssatz und Zusatzbeitrag mit einprozentiger Obergrenze dürfte bereits 2010 geändert werden. Eine Einigung blieb aber weiter aus.
BAUERN: Geprüft wird ein Milliarden-Sofortprogramm für die Bauern. Dabei sollen Agrar-Bundesmittel auch zugunsten von Milchbauern aufgestockt werden. Die Entlastung bei der Agrardieselsteuer und die Liquiditätshilfen sollen fortgeführt werden. Geplant ist auch eine Risikorücklage für Bauern. Außerdem geht es um ein bundesweites Schulmilchprogramm.
MINDESTLÖHNE: Neue Branchen-Mindestlöhne wollen Union und FDP nur noch im beiderseitigem Einvernehmen zulassen. Da die FDP Mindestlöhne generell ablehnt, wird es also praktisch keine neuen Untergrenzen geben. Die bestehenden Mindestlöhne sollen überprüft werden. Geplant ist aber ein gesetzliches Verbot sittenwidriger Löhne.
ATOMWAFFEN: Reuters berichtet unter Verweis auf den Entwurf des Koalitionsvertrags, dass Union und FDP den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland durchsetzen wollen.
ATOMMÜLL: Das niedersächsische Gorleben soll weiter als Endlager- Standort geprüft werden, während die Endlager Asse II und Morsleben geschlossen werden sollen. Das Moratorium zur Erkundung in Gorleben soll unverzüglich aufgehoben werden.
LEBENSMITTEL: Verbraucher-Täuschung bei Lebensmitteln soll verhindert werden. Auf Verpackungen darf nur noch stehen, was tatsächlich drin ist.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP