Kein Hartz IV für EU-Zuwanderer BA-Erlass sorgt für Streit
09.03.2012, 18:21 Uhr
Anstehen in der Agentur für Arbeit.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Kritiker wittern einen Skandal, die Regierung hält die Vorwürfe für unberechtigt: Es geht um den Beschluss, Arbeitssuchenden aus Südeuropa keine Hartz-IV-Leistungen mehr zu bezahlen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält dies für ein "fatales Signal".
Eine Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit (BA) an die Jobcenter sorgt für Aufregung: Danach sind die Behörden seit 23. Februar gehalten, , die aus einem der 17 Staaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) von 1953 kommen. Dazu zählen auch Griechenland, Portugal und Spanien. Gegen die Bestimmungen des Abkommens hatte die Bundesregierung einen "Vorbehalt" angemeldet.
SPD und Grüne äußern scharfe Kritik, sehen in dem Vorgang eine "einseitige Kündigung der europäischen Solidarität". Das Bundesarbeitsministerium weist die Kritik zurück: "Als Fachkräfte brauchen wir qualifizierte Zuwanderer, die hier arbeiten und ihren Beitrag leisten", sagte Ministeriumssprecher Jens Flosdorff."Willkommenskultur bedeutet nicht die Einladung zur Einwanderung in die Sozialsysteme."
Die "Frankfurter Rundschau" hatte berichtet, die schwarz-gelbe Bundesregierung wolle angesichts steigender Arbeitslosenzahlen in südeuropäischen Ländern den Zuzug arbeitsuchender EU-Bürger nach Deutschland erschweren.
BA spricht von Rechtsangleichung
Dies bestreitet Flosdorff. Nach seinen Worten handelt es sich bei dem Vorgang um eine notwendige Rechtsangleichung. Tatsächlich hatten arbeitsuchende Zuwanderer aus den EFA-Unterzeichnerstaaten - etwa Spanier und Portugiesen - bislang Anspruch auf Grundsicherung in Deutschland. Österreicher und Polen aber nicht.
"Die rechtliche Ungleichbehandlung von EU-Bürgern hätte europarechtliche Probleme gebracht." Die gebe es nun nicht mehr, betont Flosdorff. Arbeitsuchende EU-Ausländer hätten im Heimatland ohnehin die Möglichkeit, über die Zentrale Auslandsvermittlung der BA "die Fühler nach einem Arbeitsplatz in Deutschland auszustrecken".
Das Bundessozialgericht hatte Ende 2010 einem französischen Kläger Recht gegeben, der sich auf das Europäische Fürsorgeabkommen von 1953 berufen hatte. Sein Antrag auf Weiterbewilligung von Hartz IV war vom Jobcenter zunächst abgelehnt worden, da sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Die EFA-Staaten sind verpflichtet, den Angehörigen der anderen Vertragsstaaten in gleicher Weise wie den eigenen Bürgern soziale Fürsorgeleistungen zu gewähren.
Keine außergewöhnliche Zuwanderung
Nach den Worten von BA-Sprecherin Anja Huth gab es aus den EFA-Staaten zuletzt keine außergewöhnliche Zuwanderung, schon gar keinen Zuwachs. Monatlich kämen im Durchschnitt 10.000 Personen einschließlich Familienangehörigen. "Das sind Zugänge, die wir immer schon verzeichnen." Für das Arbeitsministerium zeigt dies, dass die Aufregung über die neue Regelung praktisch unbegründet sei.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sieht das anders: "Griechenland, Spanien und andere Länder in Südeuropa leiden unter einer riesigen Jugendarbeitslosigkeit. Die überwiegend jungen Menschen, die in der aktuellen Situation nach Deutschland kommen wollen, tun dies nicht, um auf Arbeitslosengeld-II-Niveau zu leben", sagte er der "Rheinischen Post". Dass von der Bundesregierung suggeriert werde, es drohe massenweise Einwanderung ins Sozialsystem, sei "schlicht und ergreifend unseriös".
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, vermutete, die Bundesregierung rechne offenbar mit Armutswanderungen in Europa. "Sie schließt hierzu die Grenzen zu unseren Sozialsystemen", sagte er der "Saarbrücker Zeitung". Das sei "ein europa- und sozialpolitisch geradezu fatales Signal".
Die Grünen forderten die Bundesregierung auf, ihren Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen zurückzuziehen. "Es ist europarechtlich geboten, allen arbeitsuchenden Unionsbürgern Arbeitslosengeld II zu gewähren, wenn sie darauf angewiesen sind", sagte der Grünen-Sprecher für Sozialpolitik, Markus Kurth.
Quelle: ntv.de, mbo/dpa/AFP