Politik

Dissens und Kompromiss auf dem EU-Gipfel Bankenaufsicht kommt, aber nicht sofort

Hollande (l.), EU-Kommissionspräsident Barroso und Merkel in Brüssel.

Hollande (l.), EU-Kommissionspräsident Barroso und Merkel in Brüssel.

(Foto: REUTERS)

Die Meinungsverschiedenheiten sind deutlich: Während Frankreichs Präsident Hollande auf dem EU-Gipfel eine Entscheidung zur Bankenunion fordert, setzt Kanzlerin Merkel eher auf Gründlichkeit. Ein vager Kompromiss könnte die Situation entspannen. Dabei ist das Thema noch nicht einmal der einzige Streitpunkt zwischen Paris und Berlin.

Im Gipfel-Streit über die Einführung einer gemeinsamen Bankenaufsicht für die Eurozone ist ein Kompromiss in Sicht. Der rechtliche Rahmen solle bis Jahresende stehen, berichteten EU-Diplomaten in Brüssel am Rande des EU-Gipfels. Das Vorhaben solle dann im Lauf des kommenden Jahres praktisch umgesetzt werden. Damit werde klargestellt, dass die neue Aufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank ihre Arbeit nicht zum kommenden Jahreswechsel aufnehmen könne.

Merkel wird viele Fragen auf dem Gipfel beantworten müssen.

Merkel wird viele Fragen auf dem Gipfel beantworten müssen.

(Foto: AP)

Der Gipfel will die obersten Kassenhüter auffordern, weiter an der Gesetzgebung für das Riesenvorhaben zu arbeiten. In der vorbereiteten Abschlusserklärung des Gipfels hieß es zunächst, die Gesetzgebung solle bis Jahresende abgeschlossen werden. Über die weitere Perspektive im kommenden Jahr stand im vorbereiteten Text nichts.

Zuvor waren bei dem Thema deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Frankreich aufgetreten. Während Kanzlerin Angela Merkel in Brüssel keine Beschlüsse wollte, forderte Frankreichs Präsident François Hollande eine Entscheidung zur Bankenaufsicht. Der Entwurf der Abschlusserklärung nannte bei der Bankenaufsicht unverändert das Ziel, "die Gesetzgebung bis zum Jahresende abzuschließen".

Ziel bei der Bankenaufsicht sei es, "sehr schnell und natürlich auch sehr gründlich" zu arbeiten, sagte Merkel. Aber: "Das wird kein Rat sein, auf dem wir schon Entscheidungen treffen." Hollande sah dies anders. Der Sozialist forderte als "einzige Entscheidung" des zweitägigen Gipfels einen Beschluss zur "Umsetzung der Bankenunion bis zum Jahresende".

Banken bekommen Geld aus ESM

Die Bankenaufsicht für etwa 6000 Geldhäuser der Eurozone wurde auf dem letzten EU-Gipfel im Juni beschlossen. Die neue Kontrollbehörde ist eine Voraussetzung dafür, dass marode Banken direkt Finanzspritzen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM erhalten können. Während Frankreich fest an der Seite von Südländern wie Spanien steht, die auf einen raschen Beschluss und eine Inkraftsetzung zu Jahresbeginn hoffen, beharren Deutschland und andere Nordländer auf dem Motto "Gründlichkeit vor Schnelligkeit." Zudem will Berlin die heimischen Sparkassen nicht unter europäische Kontrolle stellen.

"Wir wollen so schnell wie möglich arbeiten, aber die Qualität der Entscheidungen ist das Wichtigste", erhielt Merkel Rückendeckung von Finnlands Regierungschef Jyrki Katainen. Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt warnte: "Es gibt keine Notwendigkeit zur Eile, nur die Notwendigkeit, die Sache richtig zu machen."

Die 27 Staats- und Regierungschef befassten sich bei dem Gipfel mit Plänen der EU-Spitze um Ratspräsident Herman Van Rompuy für einen grundlegenden Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion. Vor dem Gipfel wurde deutlich, dass Deutschland und Frankreich auch in weiteren Punkten weit auseinander liegen. Merkel lehnte die von Hollande unterstützte Idee, Schulden in der Eurozone in Form gemeinsamer Euro-Bonds zu vergemeinschaften, als "ökonomischen Irrweg" ab.

Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler wies Hollandes Vorschlag zurück. Die Krise im Euroraum sei vor allem eine Vertrauenskrise, sagte Rösler der "Süddeutschen Zeitung". Um aber Vertrauen zurückzugewinnen, "brauchen wir zweierlei: eine solide Haushaltpolitik und Strukturreformen, die eine klare Wachstumsperspektive aufzeigen". Das Wachstumspotenzial Europas würde aber nicht durch die Vergemeinschaftung von Schulden angehoben, betonte der FDP-Chef.

In Brüssel hatte sich auch Österreichs Kanzler Werner Faymann für eine Vergemeinschaftung von Schulden ausgesprochen und den von der Kanzlerin vorgeschlagenen Topf von zeitlich befristeten und projektbezogenen Geldern abgelehnt: "Ich bin gar nicht der Meinung, dass wir zur Stunde so ein Eurozonenbudget brauchen." Nach Merkels Idee könnte das Budget aus Einnahmen der geplanten Börsensteuer gespeist werden.

"Super-Währungskommissar" heftig umstritten

Hollande wischte seinerseits das Thema einer stärkeren Überwachung nationaler Haushalte als Gipfelthema vom Tisch. Dazu zählen auch jüngst von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gemachte Vorschläge zu Änderungen des EU-Vertrags zur Stärkung der Eurozone. "Thema des Rats ist nicht die Haushaltsunion, sondern die Bankenunion", sagte er.

Der von Schäuble und Merkel geforderte "Super-Währungskommissar", der ein starkes Durchgriffsrecht gegenüber nationalen Haushalten haben soll, ist ebenfalls umstritten. Merkel sagte, ihr sei bewusst, dass es in vielen Staaten dazu noch keine Bereitschaft gebe. "Das ändert nichts daran, dass wir uns dafür stark machen werden."

Auch wenn viele dieser Fragen erst bis zum Gipfel im Dezember geklärt werden sollen, sahen Merkel und Hollande offenbar dringenden Gesprächsbedarf. Sie trafen sich zu einem kurzfristig vereinbarten Gespräch vor Gipfelbeginn, das laut deutschen Diplomaten in "guter Atmosphäre" stattfand. Es gebe keine schweren Meinungsverschiedenheiten mit Paris, hieß es. Grundsätzlich einig waren sich beide Seiten in der Frage, der Eurozone ein gesondertes Budget zu geben, um gezielt Reformen in Euro-Ländern zu unterstützen.

Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte Merkel zuvor im ersten Kräftemessen seit seiner Nominierung im Bundestag vorgeworfen, die Bedeutung des Projekts Europa über die Krisenpolitik hinaus nicht ausreichend zu erklären. Sie spiele ein "Doppelspiel" im Kampf gegen die Euro-Krise. Merkel habe zugelassen, dass ihre schwarz-gelbe Koalition über Monate "Mobbing gegen Griechenland" betrieben habe: "Sie haben nicht eingegriffen. Sie haben laviert."

Lettland will den Euro

Die Krise in Griechenland, wo es am Rande eines Generalstreiks wieder Ausschreitungen gab, ist auch Thema beim Gipfel. Beschlüsse standen aber nicht an. Merkel bekräftigte: "Ich wünsche mir, dass Griechenland im Euroraum bleibt." Vor dem Gipfel hatten die Gewerkschaften in Griechenland mit massiven Streiks gegen das Sparpaket von 13,5 Milliarden Euro protestiert. Der Madrider Regierungschef Mariano Rajoy äußerte sich derweil nicht zu Spekulationen, wonach er schon bald neue Hilfen der Euro-Partner beantragen könnte. Dabei ginge es dann um Milliardenzahlungen an den Gesamtstaat - Madrid bekam bereits Unterstützung für seine maroden Banken zugesagt.

EU-Kommissionschef José Manuel Barroso drückte derweil beim Wachstum aufs Tempo. In einem Bericht zog er Bilanz: Zwar sei die Kapitalaufstockung der Europäischen Investitionsbank auf gutem Weg, ebenso die Projektbonds, die Geldgebern Großprojekte schmackhaft machen sollen. Die Ergebnisse in anderen Bereichen seien aber enttäuschend. Der Juni-Gipfel hatte einen Wachstumspakt mit einem Umfang von 120 Milliarden Euro beschlossen. Die Gelder kommen zu rund 50 Prozent aus EU-Töpfen.

Nach Ansicht von EU-Währungskommissar Olli Rehn könnte unterdessen Lettland bereits in eineinhalb Jahren den Euro einführen. "Es ist möglich, dass das Land 2014 beitritt", sagte Rehn. Im Frühjahr werde überprüft, ob das Land die Kriterien erfülle. Die lettische Regierung hatte bereits am Dienstag angekündigt, sie halte das baltische Land 2014 für beitrittsreif. "Lettland erholt sich von seiner sehr tiefen wirtschaftlichen Krise, im kommenden Jahr wird ein Wachstum von vier bis fünf Prozent erwartet", sagte Rehn. Lettland wäre das 18. Land in der Währungsgemeinschaft.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen