
Lediglich 2,3 Prozent aller stationären Breitbandanschlüsse sind hierzulande mit einem Glasfaserkabel verbunden.
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Schnelles Internet bleibt für viele Deutsche auch im Jahr 2018 noch eine Wunschvorstellung. Der Breitbandausbau läuft schleppend - vor allem auf dem Land. Im Münsterland verlegen Landwirte nun selbst Rohre und Kabel. Auf den Kosten bleiben sie sitzen.
An schlechten Tagen ist es, als säße ein Elefant auf der Leitung, sagt Ursula Muhle. Dann erreicht die Übertragungsrate des Internetanschlusses auf ihrem Hof im Münsterland gerade einmal zwei Megabit pro Sekunde. "E-Mails gehen dann zwar raus", sagt die 55-Jährige, "die Frage ist nur, wann." Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn bewirtschaftet Muhle in der neunten Generation einen Schweinemast- und Ackerbaubetrieb außerhalb der Ortschaft Lüdinghausen. Über Jahre wartete die Familie auf schnelles Internet - vergeblich. Ebenso wie viele andere Bewohner zwischen Seppenrader Schweiz und Hullerner Stausee fühlen sich Muhles abgehängt. Und das ist wörtlich zu nehmen. Denn der flächendeckende Netzausbau ist dort nicht angekommen. "Das ist doch heutzutage kein Zustand mehr", klagt die Landwirtin.
Tatsächlich ist ganz Deutschland ein Glasfaser-Entwicklungsland. Im weltweiten OECD-Vergleich rangiert die Bundesrepublik bei der Versorgung mit schnellem Internet nur auf den hinteren Plätzen - nach der Slowakei, Polen und Litauen. Lediglich 2,3 Prozent aller stationären Breitbandanschlüsse sind hierzulande mit einem Glasfaserkabel verbunden; in Korea sind es 76,8 Prozent. Und die Politik reagiert nur langsam. Zwar legten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag darauf fest, bis 2025 einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet für alle Bürger zu schaffen. Doch in der Praxis dürfte das schwierig werden. Denn allein um alle "Abgehängten" in Familie Muhles Nachbarschaft ans Netz zu bringen, müssten 300 Kilometer Kabel verlegt werden. Bei potenziell höchstens 1000 Neukunden rechnet sich das für keinen privaten Kabelkonzern.
Im Münsterland nehmen die Menschen den Netzausbau deshalb in die eigene Hand. Sie haben sich in zwei "Buddel"-Vereinen organisiert - und verlegen Leerrohre und Kabel jetzt kurzerhand selbst; ganz pragmatisch mithilfe von Trecker und Pflug. Sie tun dies größtenteils ehrenamtlich. Das stärkt das Wir-Gefühl. "Wir merken schon, dass einige Nachbarschaften dadurch wieder enger zusammenrücken", sagte Antonius Vormann, einer der Vereinsgründer, bereits vor knapp einem Jahr den "Westfälischen Nachrichten". Damals war noch unklar, ob sich genug Bewohner für schnelles Internet entscheiden würden. Denn auch das gehört zur Wahrheit im "digitalen Deutschland": Nur wenn mindestens 70 Prozent aller Bewohner eines Ausbaugebietes zustimmen, machen die Netzanbieter überhaupt mit. Nur dann können die Landwirte buddeln. Und dass alle Nachbarn mitziehen, ist keineswegs selbstverständlich - denn pro Haushalt fällt eine Selbstbeteiligung in Höhe von 2500 Euro an.
Gut leben, wo man will
Allein das ist schon viel Geld. Investieren müssen die Familien in Lüdinghausen aber noch mehr. "Der Verein bringt das Glasfaser zwar bis an die Grundstücksgrenze", erklärt Ursula Muhle, "aber den Anschluss bis zum Haus muss der Besitzer selbst übernehmen." Auf dem Land wird das Ankommen in der digitalen Gegenwart also schnell zum finanziellen Kraftakt - und das, während die Nutzer in den Städten keinen Cent für ihre Breitbandversorgung zahlen müssen. Gerecht ist das nicht, findet auch die 55-Jährige. Sie ist deshalb nach Berlin gefahren, wo in dieser Woche erstmals die sogenannte Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse tagte. Horst Seehofer leitet als Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die Arbeit der Expertengruppe. Sein ehrgeiziges Ziel: "Alle Menschen sollen gut leben können, und zwar dort, wo sie leben wollen." Ursula Muhle will in Lüdinghausen gut leben. Inklusive W-Lan.

Horst Seehofer neben den Ministerpräsidenten der Länder in der "Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse".
(Foto: imago/photothek)
Zur Kommission gehört sie nicht; stattdessen ergreift sie bei einer fast parallel veranstalteten sogenannten Heimatkonferenz der CDU/CSU-Fraktion - wohlgemerkt in Abwesenheit des Heimatministers - das Wort. Ursula Muhle will zumindest einen Teil der Kosten für den selbstgelegten Breitbandanschluss zurückbekommen; und zwar auf möglichst unbürokratische Weise. Und sie will aufklären. "Die Politik muss einfach mal erfahren, dass es solche Initiativen wie bei uns überhaupt gibt", sagt sie. "Es fehlen einfach Konzepte, die in die Lebenswirklichkeit der Menschen passen." Die digitale Wüste auf dem Land sei nur ein Beispiel dafür; der Mangel an Landärzten ein weiteres - ebenso wie fehlende Schulen und Kitas. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen: Wer die Landflucht bekämpfen will, muss auch dort ansetzen. Heimatminister Seehofer nennt das "Strukturpolitik machen". Doch bisher ist es bei gutgemeinten Plänen geblieben. Es war ja auch sonst viel los in Berlin.
Keine Heimat ohne Fremde
Die Folgen sind weitreichend. Selbst wenn der Minister lediglich über "Orientierung und Zusammenhalt in einer globalisierten Welt" reden will - an Seehofers Heimatinitiative haftet seine Asylpolitik wie Mist an der Gabel. Bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin muss sich der Bayer in dieser Woche von der Politikprofessorin Petra Bendel belehren lassen. Ironischerweise stammt sie wie auch Muhle aus dem Münsterland. Heimat - das sei eben nicht nur die Herkunft, sagt Bendel. "Heimat gibt es auch im Plural." Darin schwingt der Vorwurf mit, Seehofer würde mit seiner desintegrativen Flüchtlingspolitik die Entstehung eines Wir-Gefühls quasi torpedieren. Plötzlich bekommt die Diskussion einen Spin, den der Minister offensichtlich gar nicht beabsichtigt hat. Nicht mehr um den Netzausbau, Landärzte oder Rufbusse geht es - sondern wieder einmal um die Wohnsitzauflage und den Familiennachzug.
An der Lebenswirklichkeit von Ursula Muhle führen solche Debatten geradewegs vorbei. "Flüchtlinge sind bei uns im Dorf kein Thema", sagt sie. "Wir haben sie aufgenommen und es gab keinerlei Reibereien und auch keinen Unmut. Gar nichts." Die Probleme auf dem Land sind andere. Schnelles Internet - das haben Muhles zum Beispiel immer noch nicht. Zwar liegt das Kabel mittlerweile in der Erde. Doch noch fehlt der Anschluss vom Netzanbieter zum Hof. Immerhin - es ist nur noch eine Frage der Zeit. Bis Muhles schnell surfen können, müssen keine sieben Jahre mehr ins Land gehen. Zu verdanken ist das nicht den Anstrengungen Berlins bei der Digitalisierung, sondern dem bürgerschaftlichen Engagement in Lüdinghausen. Und einem klaren Solidaritätsgedanken.
Denn als Einzelkämpfer hätten Muhles und andere Betroffene unter Umständen bis zu 15.000 Euro für ihren Anschluss zahlen müssen. Fördermittel erhalten nur jene, die weniger als 30 Megabit pro Sekunde haben. Und selbst dann ist das Beantragen ein bürokratischer Albtraum. Im Verein ist das anders. Jeder in der Dorfgemeinschaft, ob er zuhause nun zwei Megabit pro Sekunde hat oder 32 - soll vom Netzausbau in bäuerlicher Eigenregie profitieren, sagt die Landwirtin. Und auch die Kosten tragen alle gemeinsam, unabhängig vom Aufwand der Erschließung. "Egal, ob ein Haus direkt an der Straße liegt oder sechs Kilometer entfernt - jeder bezahlt gleich viel."
Quelle: ntv.de