Politik

Opposition kündigt Verfassungsklage an Bundestag billigt längere Atomlaufzeiten

Die Meiler bleiben länger am Netz: Die Kühltürme des AKW Grafenrheinfeld in Unterfranken.

Die Meiler bleiben länger am Netz: Die Kühltürme des AKW Grafenrheinfeld in Unterfranken.

(Foto: dpa)

Mit den Stimmen von Union und FDP setzt die Bundesregierung die umstrittene Verlängerung der Atomlaufzeiten im Bundestag durch. Opposition und Regierung liefern sich vor der Abstimmung einen heftigen Schlagabtausch. SPD und Grüne wollen gegen die Verlängerung klagen und sie bei einem Regierungswechsel sofort rückgängig machen.

Gegen den entschiedenen Protest von Opposition und Atomkraftgegnern hat der Bundestag das Energiekonzept der Regierung verabschiedet. Mit den Stimmen von Union und FDP beschloss das Parlament das Gesetz zur Verlängerung der Akw-Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre. Die Opposition forderte vergeblich eine Vertagung der Entscheidung, vor dem Reichstag bildeten 2000 Demonstranten eine Menschenkette.

Mit dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz sollen die Laufzeiten der 17 deutschen Atomkraftwerke um 8 bis 14 Jahre verlängert werden. Dafür stimmten 308 Abgeordnete, dagegen 289; es gab 2 Enthaltungen. Zur Abschöpfung der entstehenden Zusatzgewinne soll eine Steuer auf Kernbrennstoffe eingeführt werden. Der letzte Meiler wird damit wohl um das Jahr 2035 vom Netz gehen.

Ein paar der Nein-Stimmen kamen von Unionsabgeordneten, unter anderem von dem CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel. "Was jetzt passiert, ist eine Festlegung von Reststrommengen, die auf jeden Fall abgefahren werden können", sagte er n-tv.de. "Das blockiert nach meiner Überzeugung den notwendigen technologischen Wandel." Göppel kritisierte, wenn eine konservative Partei "die Sehnsucht der Menschen nach Gesundheit, nach Natur" nicht politisch umsetze, sei dies "der Keim zu ihrer Abwahl".

"Aktiver Klimaschutz"

Bundesumweltminister Norbert Röttgen verteidigte in der Debatte das Energiekonzept der Koalition. Erstmals überhaupt lege eine Regierung ein Konzept für die elementare Frage einer umwelt- und klimaschonenden Energieversorgung vor. SPD, Grüne und Linkspartei schürten mit "argumentationslosem Kampfgeschrei" Ängste, hätten selbst aber keine Konzepte für die Energieversorgung der Zukunft zu bieten, kritisierte Röttgen.

Das Konzept der Koalition biete "erstmals seit langem einen belastbaren Fahrplan für die Energieversorgung von morgen", sagte auch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Es gehe "um den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien" und "aktiven Klimaschutz". Das hätten die Vorgängerregierungen nicht geschafft.

Grüne tragen Trauer

Stiller Protest: Die Abgeordneten der Grünen erschienen ganz in schwarz mit kleinen, gelben Kreuzen.

Stiller Protest: Die Abgeordneten der Grünen erschienen ganz in schwarz mit kleinen, gelben Kreuzen.

(Foto: dpa)

Demgegenüber sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel, das Energiekonzept der Koalition sei eine "Rolle rückwärts in die Vergangenheit". Die Regelung behindere Investitionen in die erneuerbaren Energien und begünstige die vier großen Energiekonzerne. "Sie haben ein paar Lastwagen mit Geld in Bewegung gesetzt." Die Opposition werde das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen, kündigte Gabriel an.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf der Koalition vor, im Zuge des Energiekonzeptes die Sicherheitsstandards aufzuweichen. Das Agieren der Koalition sei ein "Abgrund von Lobby- und Klientelpolitik", der unerträglich sei. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte, die Koalition nehme mit dem Energiekonzept bewusst eine Spaltung der Gesellschaft in Kauf.

Aus Protest gegen die Atompolitik der Bundesregierung erschienen die Grünen-Abgeordneten im Bundestag in schwarzer Kleidung und hatten sich kleine gelbe Kreuze an die Brust geheftet. SPD und Grüne hatten vor zehn Jahren einen Atomausstieg bis etwa 2022 beschlossen, der nun aufgekündigt werden soll.

Die Opposition bekräftigte ihre Absicht, gegen die Laufzeitverlängerung vor dem Bundeverfassungsgericht zu klagen. SPD, Grüne und Linke monieren insbesondere, dass die Regierung das Energiekonzept ohne eine Zustimmung des Bundesrates umsetzen will.

Protest vor dem Reichstag

Schwarz-Gelb setzt sich durch: Bundeskanzlerin Merkel bei der Abstimmung im Bundestag.

Schwarz-Gelb setzt sich durch: Bundeskanzlerin Merkel bei der Abstimmung im Bundestag.

(Foto: dpa)

Vor Beginn der Debatte war die Opposition mit einem Geschäftsordnungsantrag gescheitert, die Abstimmung zu vertagen. Bei der Sitzung des Umweltausschusses am Dienstagabend seien Anträge der Opposition nicht zugelassen und die Beratungszeit in unangemessener Weise beschränkt worden, lautete die Kritik.

Vor dem Reichstag bildeten 2000 Demonstranten eine etwa einen Kilometer lange Menschenkette, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) mitteilte. Zahlreiche weitere Organisationen und die Oppositionsparteien unterstützten die Aktion. Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace waren bereits am Morgen auf die CDU-Zentrale geklettert und hatten an der Außenfassade ein Fotobanner aufgehängt, das Bundeskanzlerin Angela Merkel und RWE-Chef Jürgen Großmann zeigt. Unter der Überschrift "CDU - Politik für Atomkonzerne" prosten sich beide mit Schnapsgläsern zu.

Ob Scheer sich wirklich gefreut hätte?

Ausgerechnet am Tag der äußerst umstrittenen Laufzeitverlängerung gedachte der Bundestag des Umweltpolitikers Hermann Scheer. "Unermüdlich warb er für die neuen Technologien", sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert. Scheer sei sachkundig engagiert, eigenständig denkend, manchmal querstehend gewesen. Der SPD-Politiker war Mitte Oktober im Alter von 66 Jahren gestorben.

CSU-Umweltpolitiker Göppel sagte im Interview mit n-tv.de, die Flaggen auf Halbmast vor dem Reichstag seien zu Ehren des verstorbenen Abgeordneten Scheer. "Man kann es aber auch so interpretieren, dass aus seiner Sicht die heutige Abstimmung die Flaggen auf Halbmast bringen würde."

Kampagne der Stadtwerke startet

Na denn: Wohlsein auch in Zukunft!

Na denn: Wohlsein auch in Zukunft!

(Foto: dpa)

Parallel zur Abstimmung im Bundestag über die AKW-Laufzeitverlängerung starten rund 50 kommunale Energieversorger eine Kampagne gegen das Gesetz. Bei den Stadtwerken seien Investitionen von sechs Milliarden Euro gefährdet, sagte Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig der "Thüringer Allgemeine" zur Begründung. Zudem werde das Angebotsoligopol der vier großen Stromkonzerne gefestigt und die Innovationsdynamik bei erneuerbaren Energien werde ausgebremst.

Dagegen sieht der Chef des drittgrößten Energieversorgers EnBW, Hans-Peter Villis, die Atomkraft als Wegbereiter für den Übergang zu erneuerbaren Energien. "In Deutschland brauchen wir noch Zeit, um die erneuerbaren Energien in die Wirtschaftlichkeit zu bringen", behauptet Villis. "Hierfür benötigen wir unter anderem die Kernkraft." Außerdem würden die "in der Erzeugung praktisch CO2-freien Kernkraftwerke bei der Erreichung der nationalen Klimaziele" helfen.

Sparen bei der Sicherheit

Entgegen ihrer Ankündigungen schafft die schwarz-gelbe Koalition einem Gutachten zufolge weniger Sicherheit bei den 17 deutschen Atomkraftwerken. Von den ursprünglich vorgesehenen 50 Milliarden Euro für das Nachrüstungsprogramm sei nach dem Vertrag der Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen nur eine halbe Milliarde für jede Anlage übrig geblieben, heißt es in dem Gutachten für die Grünen-Fraktion. Es wurde vom langjährigen Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Umweltministerium, Wolfgang Renneberg, erstellt. Auf einen Schutz gegen Flugzeugabstürze sei ganz verzichtet worden.

Quelle: ntv.de, tis/hvo/dpa/rts/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen