Antrag Hunderter Abgeordneter Bundestag debattiert emotional über Abtreibungen
05.12.2024, 18:44 Uhr Artikel anhören
Der Bundestag wird den Gesetzentwurf nun weiter im Ausschuss beraten.
(Foto: picture alliance / photothek.de)
Losgelöst vom Fraktionszwang wollen Hunderte Abgeordnete im Bundestag eine Neuregelung des Paragraf 218. Lediglich Union und AfD stellen sich geschlossen dagegen. Angesichts des nahen Wahltermins läuft den Initiatoren aber die Zeit weg. Das Vorhaben droht im Parlament zu versanden.
In einer hitzigen Debatte hat der Bundestag erstmals den fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zu einer Neuregelung von Abtreibungen diskutiert. Auslöser ist eine maßgeblich von Grünen und SPD vorangetriebene Initiative, nach der eine Abtreibung bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche nicht mehr grundsätzlich rechtswidrig sein soll. Aktuell ist Schwangerschaftsabbruch nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches eine Straftat - er wird aber nicht bestraft, wenn er innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet und die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Ob sie aber noch vor der Neuwahl im Bundestag abgestimmt wird, ist ungewiss.
Der von Abgeordneten verschiedener Fraktionen erarbeitete Gesetzentwurf sieht vor, dass Abtreibungen bis zur zwölften Woche nach vorheriger Beratung grundsätzlich erlaubt sind, sofern sie ärztlich durchgeführt werden. Die Beratung soll weiter verpflichtend sein, allerdings ohne die drei Tage Bedenkfrist. Abtreibungen sollen dem Gesetzentwurf zufolge überwiegend im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden. Paragraf 218 soll - neu formuliert - im Strafgesetzbuch erhalten bleiben und nur noch solche Abtreibungen unter Strafe stellen, zu der Frauen gezwungen werden oder die gegen ihren Willen stattfinden.
Zudem sollen die Kosten für eine Abtreibung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Bisher ist dies nicht der Fall, was "eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer" darstellt, wie es im Gesetzentwurf heißt.
Union will an Regelung nicht rütteln
Die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws nannte die bisherige Regelung im Bundestag "zutiefs patriarchal". Abtreibungen seien immer noch ein Tabu, die betroffenen Frauen litten unter Stigmatisierung. "Schuldgefühle für Frauen - damit muss endgültig Schluss sein", sagte sie. Paragraf 218 symbolisiere, "dass eine Frau nicht das Recht hat, selbst über ihre Schwangerschaft und somit ihr Leben und ihren Körper zu bestimmen".
Die SPD-Politikerin Carmen Wegge sprach von einem "ausgewogenen, moderaten und alle Rechte berücksichtigenden" Entwurf. "Wir schlagen eine Entkriminalisierung der Frau vor", sagte sie weiter. "Das Strafrecht führt nicht nur zu Stigmatisierung von Frauen und Ärztinnen, sondern hat dramatische Auswirkungen auf die Versorgungslage in diesem Land." Immer weniger Ärztinnen und Ärzte seien bereit, Abbrüche vorzunehmen. Die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek sagte: "Schwangerschaftsabbrüche sind kein Verbrechen."
Kritik kam unter anderem von der CDU/CSU-Fraktion. Die Union stehe "uneingeschränkt" zur bisherigen Regelung, sagte die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker. Frauen könnten bereits frei entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen wollten. Zugleich werde aber auch das Lebensrecht des Kindes beachtet. "Es geht um Leben und Tod des Ungeborenen." Dorothee Bär von der CSU warf den Unterstützenden der Neuregelung einen "spalterischen Kulturkampf" vor. "Mit uns ist Lebensschutz nicht verhandelbar", sagte Bär und kündigte an, die Union werde "geschlossen als Fraktion nicht zustimmen".
Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch sagte, ihre Partei trage "den gesellschaftlichen Kompromiss zu 218 und will ihn nicht verschärfen". Die bisherige Regelung sei "salomonisch". Weiter sagte sie: "Frauen können ja jetzt schon straffrei das Leben ihres ungeborenen Kindes beenden - ich persönlich finde das furchtbar."
Gyde Jensen von der FDP sprach sich grundsätzlich für eine Neuregelung aus, kritisierte aber "die Eile" des aktuellen Vorstoßes. Sie selbst habe sich längst entschieden: "Ganz persönlich: Wer in dieser schwierigen Lage ist, der sollte nicht zusätzlich der Belastung ausgesetzt sein, potenziell eine Straftat zu begehen." Doch andere brauchten womöglich noch Zeit zum Nachdenken und individuellen Abwägen. Deshalb solle die Debatte nach der Neuwahl am 23. Februar in Ruhe und seriös weitergeführt werden.
Noch fehlen 39 Ja-Stimmen
Festgeschrieben wurde der Paragraf 218 erstmals 1871 im Strafgesetzbuch des Kaiserreichs und war im Nachkriegs-Westdeutschland Gegenstand erhitzter Debatten. 1971 publizierte der "Stern" eine Titelgeschichte, in der sich Frauen öffentlich zur Abtreibung bekannt hatten. 1974 beschloss der Bundestag mit knapper Mehrheit die Dreimonats-Fristregelung.
Der Gesetzentwurf für die Neuregelung hatte mit Stand Donnerstag 328 Erstunterstützende von SPD, Grünen, Linken und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW). Darunter sind auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte Scholz' Unterstützung für das Projekt zuletzt als "skandalös" bezeichnet.
Bei einer Abstimmung könnten noch weitere Befürworter aus anderen Fraktionen hinzukommen. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht signalisierte bereits, dass ihre zehnköpfige Gruppe dem Antrag zustimmen werde. "Der Paragraf gehört aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, denn er kriminalisiert Frauen und Ärzte", sagte die BSW-Abgeordnete Sevim Dagdelen. Derzeit hat der Bundestag 733 Abgeordnete, eine Mehrheit wäre bei 367 erreicht.
Ob es zu einer Abstimmung aber noch kommt, ist unklar. Nach der ersten Lesung wird der Antrag zunächst in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Am 23. Februar wird neu gewählt. Am Samstag soll es in Berlin eine Demonstration für die Gesetzesänderung geben.
Quelle: ntv.de, jwu/AFP/dpa