Gentest an Embryonen Bundestag erlaubt PID
07.07.2011, 16:12 Uhr
Abbildungen von Eizellen nach einer künstlichen Befruchtung im Zentrum für Reproduktionsmedizin der Universitätsfrauenklinik in Leipzig.
(Foto: dpa)
Ernst und frei von Parteienstreit diskutiert der Bundestag fast vier Stunden lang die ethisch heikle Frage von Gentests an Embryonen. Letztendlich entscheidet sich die Mehrheit der Abgeordneten für die Präimplantationsdiagnostik; sie bleibt unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Kirche und Behindertenverbände bedauern den Beschluss.
Paare dürfen das Erbgut künstlich erzeugter Embryonen in Zukunft in Deutschland testen lassen. Nach einer ernsten und hochemotionalen Debatte frei von jedem Parteienstreit stimmte der Bundestag mehrheitlich für die begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Bei der PID werden im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Gendefekte untersucht, um gegebenenfalls aussortiert zu werden.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, selbst siebenfache Mutter, tritt für die Zulassung von PID ein.
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Auf den Gesetzentwurf pro PID um Peter Hintze (CDU), Ulrike Flach (FDP) und Carola Reimann (SPD) entfiel eine überraschend deutliche Mehrheit von 326 Stimmen. Der Entwurf für ein Verbot erhielt 260 Stimmen. Acht Abgeordnete enthielten sich. Ein Kompromissentwurf war mit 58 Stimmen in zweiter Lesung gescheitert. Dem Parlament lagen mehrere Gruppenanträge vor, die jeweils Befürworter aus allen Fraktionen fanden. Sie reichten von einem strikten Verbot bis hin zur Zulassung unter strengen Auflagen.
Bereits heute können Ärzte nach einem Urteil des Bundesgerichtshof Embryonen untersuchen. Nun stellt der Gesetzgeber erstmals Bedingungen auf. Die PID bleibt im Grundsatz verboten - aber zulässig, wenn auf Grund der genetischen Disposition der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist. Zuvor ist Beratung Pflicht, eine Ethikkommission muss zustimmen. Die PID darf nur an Zentren mit Lizenz vorgenommen werden. Es wird von einigen Dutzend bis einigen hundert Fällen im Jahr ausgegangen. Mit der Entscheidung setzte das Parlament einen Schlussstrich unter die monatelange öffentliche Debatte zu dem ethisch brisanten Thema.

Im Kinderwunschzentrum Leipzig ist ein mit einem EmbryoScope aufgenommener fünf Tage alter Embryo zu sehen.
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Immer wieder kochten in der Debatte ohne Fraktionszwang die Gefühle hoch. Mehrere Abgeordnete führten ihre eigenen Erfahrungen mit problematischen Schwangerschaften, Frühgeburten oder ihren gesunden Kindern ins Feld.
Die Befürworter der PID stellten ins Zentrum, dass betroffene Paare nur so einschätzen könnten, ob sie ein gesundes Kind bekommen. Diese Entscheidungsfreiheit dürfe den Frauen nicht genommen werden. Die Gegner wandten ein, die PID könne nicht auf diese Fälle eingegrenzt werden - auch nach späteren Krankheiten oder gar Eigenschaften würde Leben künftig ausgewählt.
Seit 20 Jahren Erfahrungen im Ausland
CDU-Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze beschwor die Abgeordneten, mit dem medizinischen Fortschritt könne man sich aus den Zwängen der Natur befreien. "Das ist die Vernunft, die uns Gott gegeben hat. (...) Nicht eine Ethik der Strafe, sondern eine Ethik des Helfens macht unsere Gesellschaft menschlicher." Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) entgegnete: "Es geht heute um die Ethik des Lebens."
Hinze hatte im Gespräch mit n-tv für die Zulassung des PID plädiert. Im europäischen Ausland gebe es seit 20 Jahren Erfahrungen mit PID "und wir wissen seit 20 Jahren, dass die betroffenen Eltern und die Ärzte damit verantwortungsvoll umgehen". Er mache einen "klaren Unterschied zwischen dem kleinen Fötus im Mutterleib und einer winzigen befruchteten Eizelle in einer Glasschale", so Hinze. "In einer Rechtsordnung, in der nach unserem Grundgesetz die Abtreibung in den ersten drei Monaten und bei Gefährdung der Mutter bis zur Geburt straflos ist, ist es doch allemal menschlicher zu erlauben, eine Eizelle, die mit einem schwerwiegenden Schaden verbunden ist, nicht einzupflanzen, als später eine Abtreibung vorzunehmen." Unsere Rechtsordnung müsse widerspruchsfrei sein.
Zudem glaubt Hinze nicht daran, dass sich Frauen "dem belastenden Vorgang einer künstlichen Befruchtung" unterziehen würden, um ein sogenanntes Designer-Baby zu erzeugen.
Abtreibung ist keine Alternative
Gesundheitsstaatssekretärin Flach warnte, mit einem Verbot würde der Gesetzgeber vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Denn Frauen würden dann gezwungen, zur Abwendung einer schweren Erbkrankheit gegebenenfalls abzutreiben. Umweltstaatssekretärin Katherina Reiche (CDU) erläuterte, Abtreibungen seien bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich, Spätabtreibungen bei schweren Konflikten der Mutter. "Diese Eltern wünschen sich sehnlichst ein gesundes Kind", mahnte Flach, "sie verstehen nicht, warum sie in Deutschland keine Hilfe bekommen."
Die SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann sagte: "Wer die Prozedur einer PID auf sich nimmt, tut das nicht, um ein Kind mit blauen Augen zu bekommen." Auch der Grünen-Rechtspolitiker Jerzy Montag wandte sich dagegen, dass Paare die Methode leichtfertig anwenden könnten. "Die Erlangung von weiblichen Eizellen ist kein Spaziergang."
PID-Gegner sprechen von Selektion
Für den Patientenbeauftragten Wolfgang Zöller (CSU) stand wie für meisten anderen PID-Gegner im Mittelpunkt: "PID bedeutet Selektion. Unter den künstlich hergestellten Embryonen werden die einen ausgewählt, die anderen verworfen." Der Grünen-Abgeordnete Harald Terpe sagte: "Auslese würde für mich zur gesellschaftlichen Norm." Wolfgang Thierse (SPD) warnte: "Wir ermöglichten eine Qualitätsbeurteilung menschlichen Lebens."
"Ein bisschen PID gibt es genauso wenig wie ein bisschen schwanger", sagte Zöller. "Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der sich Elten entschuldigen müssen, kein sogenanntes Musterbaby vorweisen zu können."
Der SPD-Ethikexperte René Röspel warb erfolglos für den dritten Antrag, einen Mittelweg. Die PID solle nur erlaubt sein, wenn die Entwicklungsfähigkeit des Embryos unwiderruflich nicht gegeben sei.
Mit tränenerstickter Stimme warb der Linken-Abgeordnete Steffen Bockhahn für die Zulassung. Er selbst sei "der glücklichste Vater der Welt". Dieses Glück, "das ich jetzt mit meiner Frau teilen kann", sollten auch andere haben können.
Es gibt keine perfekten Menschen
Eine zentrale Rolle spielten die Auswirkungen auf die Menschen mit Behinderungen. Ilja Seifert, behindertenpolitischer Sprecher der Linken, mahnte: "Es gibt keine perfekten Menschen - niemand von uns ist das." Doch die PID nähre Illusionen, es könne eines Tages ewige Gesundheit geben. Aus einem Kinderwunsch könnten leicht Wunschkinder werden. Mit der SPD-Abgeordneten Karin Evers-Meyer trat eine ehemalige Behindertenbeauftragte (2005 bis 2009) für eine PID-Zulassung ein: Das Leben von Behinderten werde durch unzureichende Gleichstellung im Alltag beeinträchtigt.
Kritik von der Kirche

Ein menschlicher Embryo ist in einem dreidimensionalen Film über die menschliche Fortpflanzung zu sehen.
(Foto: dapd)
Die Kirchen haben die Bundestagsentscheidung als zu weit gehend kritisiert. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, würdigte aber den Entscheidungsprozess der Politiker: "Sie haben sich Zeit gelassen, mit großem Ernst gedacht und diskutiert und, wie es dieser Sache angemessen ist, fraktionsübergreifend der persönlichen Entscheidung Raum gegeben."
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bedauerte die Entscheidung zur PID "zutiefst". Umso mehr dränge die katholische Kirche nun "mit Nachdruck darauf, die im Gesetz erwähnten Ausnahmefälle, in denen die PID nicht rechtswidrig sein wird, eng zu umgrenzen, um die willkürliche Anwendung und die Gefahr einer immer weiteren Ausdehnung der Anwendungsfälle der PID auszuschließen".
Die drei großen christlichen Frauenverbände sehen den Parlamentsentscheid mit Sorge. Sie befürchten, dass die ohnehin schon problematische Situation behinderter Menschen mittel- und langfristig noch schwieriger wird.
Behindertenverbände sehen die PID-Zulassung zumindest kritisch."Viele Menschen mit Behinderungen müssen diese Entscheidung als diskriminierend empfinden", sagte Robert Antretter, Vorsitzender der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, und forderte: "Die PID darf nicht zum Standardverfahren in der Reproduktionsmedizin werden."
Caritas-Präsident Peter Neher sagte: "Ich befürchte, dass die Entscheidung für ein möglicherweise behindertes Kind jetzt noch schwerer fällt. Eine bessere Beratung und Unterstützung betroffener Paare und Familien ist dringend erforderlich."
Ärzte wollen verantwortlich handeln
Deutschlands Ärzte wollen sich für eine enge Begrenzung einsetzen. "Wir Ärzte werden Verantwortung übernehmen, dass dieses Verfahren unter kontrollierten Bedingungen und nur bei vorheriger fachkundiger Beratung angewendet wird", versicherte Bundesärztekammerpräsidnet Frank Ulrich Montgomery. "Wir wollen auf keinen Fall, dass die PID ein Routineverfahren der In-vitro-Fertilisation wird. Sie muss auf wenige und ganz bestimmte Indikationen begrenzt werden. (...) Mit uns wird es kein Designerbaby geben und auch kein sogenanntes Retterbaby, das nur einem erkrankten Kind als Ersatzteillager dienen soll."
Quelle: ntv.de, dpa/rts