"Gott hat sie alle eingesetzt" Charlie-Kirk-Gedenken zeigt Abgründe der Trump-Bewegung


Trump zeigte sich bei der Kirk-Trauerfeier unversöhnlich.
(Foto: IMAGO/UPI Photo)
Das Gedenken für Charlie Kirk ist auch ein Moment der Selbstvergewisserung des Trump-Lagers. Dessen Vertreter predigen zwar Dialog, sehen sich aber im Besitz der einen Wahrheit. Das Stadion-Event könnte der Wendepunkt sein, von dem Kirk träumte. Aber kein Guter für die Demokratie.
Falls jemand auf der Suche nach "der Wahrheit" ist, in Arizona gab es sie am Sonntagabend kiloweise - zumindest aus Sicht all der Rednerinnen und Redner, die zu dem großen Event zu Ehren des ermordeten Polit-Aktivisten Charlie Kirk erschienen waren. Wieder und wieder beschworen Politiker, Prediger und andere, sie seien in Besitz "der Wahrheit", die sie verbreiten müssten. US-Präsident Donald Trump und sein Vize JD Vance waren nur zwei davon. Letzterer sagte, Kirk habe das "Licht der Wahrheit an dunkle Orte gebracht".
Dieser Tonfall war typisch für das Event im Stadion von Glendale in Arizona, in das 70.000 Menschen gekommen waren. Draußen verfolgten Tausende Weitere das Spektakel auf Leinwänden. Kirk wurde zum Märtyrer erklärt, dessen Dialogbereitschaft mit dem politischen Gegner vorbildhaft gewesen sei. Sein Markenzeichen waren Diskussionen an Universitäten mit Andersdenkenden. Dabei ging es ihm aber nicht nur um Dialog. Er selbst änderte seine Meinungen nie. Stattdessen stellte er anschließend Clips ins Netz, die zeigen sollten, wie er die Argumente der medienunerfahrenen College-Kids "zerstörte", wie er es nannte.
Schlagzeilen von dem Event in Arizona machten zunächst Kirks Witwe Erika. Sie zeigte christliche Größe und vergab unter Tränen dem Mörder ihres Mannes. US-Präsident Donald Trump sagte anschließend, er tue das nicht. "Er hasste seine Gegner nicht, er wollte das Beste für sie. In diesem Punkt war ich anderer Meinung als Charlie. Ich hasse meine Gegner und will nicht das Beste für sie. Es tut mir leid." Das war womöglich scherzhaft gemeint, aber ehrlich wirkte es trotzdem. Nebenbei passte das wunderbar ins alt-konservative Rollenschema: Die Frau darf weich sein und vergeben, der Mann ist hart und bekämpft seine Gegner.
"Ich hasse meine Gegner"
So war der Abend im Stadion von Arizona viel mehr als ein Abschied für einen geliebten Vater, Ehemann und Aktivisten. Es war eine Mischung aus Trauerfeier, Benefizkonzert, Wahlkampf, Rechtsextremismus und vor allem Selbstvergewisserung für die christliche Rechte, die zumindest an diesem Abend nicht von der Make-America-Great-Again-Bewegung Trumps zu unterscheiden war.
Über Stunden reihten sich Redner aus dem MAGA-Universum aneinander, darunter der rechtsextreme Moderator Tucker Carlson, Trumps Sohn Donald Jr., Kabinettsmitglieder wie Vizepräsident J.D. Vance und Marco Rubio. Als vorletzte Rednerin trat dann Kirks Witwe Erika auf - und erst nach ihr Trump.
Der nutzte den Abend nicht, Trost zu spenden und die Amerikaner zusammenzuführen und das hatte wohl auch niemand mehr ernsthaft erwartet. Seit dem Mord an Kirk geht er mit aller Macht gegen Kritiker vor. Der abgesetzte Late-Night-Talker Jimmy Kimmel ist nur das prominenteste Beispiel. Trump will nun mit Regierungsmitteln gegen Kritiker vorgehen. Die Generalstaatsanwältin Pam Bondi rief er bereits ausdrücklich dazu auf. Eine Klagewelle gegen "New York Times", Nachrichtensender, Universitäten und Anwaltskanzleien und andere, die er nicht mag, ist Teil dieser Strategie.
So wirkte es widersprüchlich, dass mehrere Redner ausgerechnet die Meinungsfreiheit hochhielten. Zum Beispiel Geheimdienst-Chefin Tulsi Gabbard: "Die Freiheit der Rede: Ich stimme dir vielleicht nicht zu, aber ich werde deine Redefreiheit bis zu meinem Tod verteidigen. Die Freiheit der Rede ist eine der Grundlagen unserer demokratischen Republik. Wir müssen sie um jeden Preis schützen, denn ohne sie sind wir verloren. Charlie Kirk wusste das, er hat danach gelebt". Wer heute an Schulen von Gott spreche und einfache objektive Wahrheiten ausspreche, "wie die, dass es nur zwei Geschlechter gibt, bekommt an Universitäten gesagt: Du hast keine Stimme." Kirk habe sich in seinen Debatten so oft durchgesetzt, dass die "Mächte des Bösen ihn zum Schweigen bringen wollten".
Die MAGA-Bewegung wähnt sich in einem epischen Abwehrkampf gegen vermeintlich verrückte und übergriffige, "woke" Linke, die Amerika angeblich hassen und Konservative unterdrücken. Deswegen sehen sie sich selbst als Vorkämpfer der Redefreiheit - verfallen aber gleich ins andere Extrem. Motto: Was wir sagen, ist die Wahrheit, was die anderen sagen ist Lüge. Das ist das Betriebssystem des Trumpismus. Konsequenterweise nennt der notorische Lügner Trump seine Kurznachrichten in seinem Netzwerk "Truths", Wahrheiten.
Schuld an allem sind "sie"
Die mit den anderen Meinungen, werden im Stadion von Glendale meist nur als "sie" bezeichnet. Wer nicht zu MAGA gehört, ist entweder böse, verrückt oder bestenfalls verwirrt und damit noch bekehrbar. "Sie" werden auch ganz überwiegend für den Mord an Kirk verantwortlich gemacht, der tatsächliche Tatverdächtige Taylor R. kaum erwähnt. "Seit Jahren haben die von der radikalen Linken wunderbare Amerikaner wie Charlie mit Nazis und den schlimmsten Massenmördern und Verbrechern der Welt verglichen", sagte Trump vergangene Woche. "Diese Rhetorik ist direkt verantwortlich für den Terrorismus, den wir heute in unserem Land sehen".
Der Präsident wird von den Rednern in Glendale als Speerspitze ihrer Bewegung gepriesen: "Und so wollen wir der Regierung dafür danken, das Schwert gegen das Böse zu schmieden", sagte der Aktivist und Kirk-Vertraute Benny Johnson. Der teilt offenbar Trumps Demokratieverachtung. "Der Apostel Paulus beschreibt, wie Gott die Herrscher der Völker einsetzt", sagte Johnson. Dann zählte er die anwesenden Minister auf: "Gott hat sie alle eingesetzt", sagte er. Das klang wenig nach Demokratie und umso mehr nach Gottesstaat.
Der Abend war denkwürdig. Charlie Kirk hatte seine Organisation "Turning Point USA" genannt, Wendepunkt USA. An diesem Wendepunkt steht das Land tatsächlich. Es ist nun die Frage, wie repräsentativ so ein Event ist. Historisch war es allemal. Natürlich traf sich da im Stadion der harte Kern der Bewegung. Das heißt nicht, dass alle Trump-Wähler voll auf dieser Linie sind. Wenn Amerika eins ausmacht, dann seine Vielfalt. Dafür braucht es aber eine gewisse Grundtoleranz. Das Gefühl: Der andere könnte auch recht haben. Ernste Zweifel, wie viel davon noch übrig ist, sind angebracht.
Quelle: ntv.de