"Diplomatisches Experimentierfeld" China übt Außenpolitik in Nahost
30.07.2014, 11:58 Uhr
Chinas Regierung will eine aktivere Außenpolitik betreiben. Deswegen will das Land auch in Nahost mitverhandeln.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der chinesische Präsident Xi Jinping steht für eine neue, aktivere Außenpolitik. Gegen die Dominanz der USA, für eigene ökonomische Interessen und zum Schutz der Landsleute will China deswegen nun das klassische Nahost-Quartett ergänzen.
Es gibt wenige Regionen, die US-Außenminister John Kerry in seiner Amtszeit so intensiv beackert hat wie den Nahen Osten. Immer wieder und auch in den vergangenen Tagen ist Kerry nach Israel und die Nachbarstaaten gereist, um eine Friedenslösung oder jetzt wenigstens eine Waffenruhe bei den Kämpfen zwischen Israelis und der Hamas im Gazastreifen zu erreichen. Weit weniger Aufmerksamkeit hat in den vergangenen Tagen in westlichen Medien die Reise von Wu Sike bekommen. Dabei ist der Sonderbeauftragte Chinas für den Nahen Osten ebenfalls durch etliche arabische Staaten gereist und hat mit Israelis und Palästinensern gesprochen - deren Vertreter zugleich in Peking empfangen wurden.
Gleich mehrfach hat Wu beide Seiten dringend zu einer Waffenruhe aufgefordert. Die arabischen Staaten hat er etwa bei seinem Besuch in Katar am 23. Juli aufgefordert, ihre Vermittlungsversuche zu koordinieren. Chinas Außenminister hatte schon vor Wochen angeboten, im Nahost-Quartett mitzuarbeiten, in dem bisher die UN, die USA, die EU und Russland sitzen. Dass nun auch China im Nahen Osten diplomatisch mitmischen will, scheint auf den ersten Blick überraschend. Bisher hatten sich Amerikaner und Europäer vor allem mit Russland etwa im Syrienkonflikt auseinanderzusetzen. "Aber der Schritt ist folgerichtig", sagt Moritz Rudolph vom Mercator Institute for Chinese Studies in Berlin.
Ökonomisches Interesse steigt
Die Reise Wus sei ein Zeichen für die neue, aktivere chinesische Außenpolitik, die Präsident Xi Jinping angekündigt habe, so Rudolph. "Schon an der Ernennung neuer Sonderbeauftragten kann man erkennen, dass China nun auch in Regionen aktiv werden will, in denen bisher die USA dominant waren." So sei erst in diesem Jahr ein chinesischer Sonderbeauftragter für Afghanistan ernannt worden.
Im Nahen und Mittleren Osten aber gibt es seit längerem ein wachsendes ökonomisches Interesse und auch Gewicht Chinas. Die neue Aufmerksamkeit lässt sich auch an den Plänen für das Wiederaufleben sogenannter Seidenstraßen-Projekte ablesen: Die Ost-West-Handelsverbindung führt als Zugstrecke von Ostchina bis nach Duisburg. Aber eine zweite reicht von Guangdong an der ostchinesischen Küste bis nach Basra in Irak. "Der Mittlere Osten ist für China vor allem als Energielieferant sehr wichtig. Dafür braucht es Stabilität in der Region", sagt Rudolph. Das dürfte auch die Mitarbeit Pekings bei den Atomgesprächen mit Iran erklären.
Längst hat China aber auch intensive Handelsbeziehungen mit der Hightech-Nation Israel und ist etwa am Ausbau der Eisenbahn-Verbindungen in dem jüdischen Staat interessiert. Mit Israel verhandelt China zudem seit Mitte 2013 über ein Freihandelsabkommen. Das Land ist hinter den USA bereits der zweitgrößte Handelspartner des jüdischen Staates. Im Juni fand in Peking ein Treffen mit den Außenministern von 19 arabischen Ländern statt. Stolz verkündete die Regierung in Peking einen Zuwachs des Handels mit der Region auf mehr als 200 Milliarden Dollar (149 Milliarden Euro) im vergangenen Jahr.
"Chamäleon"-Ansatz
"Als diplomatisches Experimentierfeld für eine aktivere Außenpolitik ist der Nahen Osten zudem ideal", glaubt Gudrun Wacker, China-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. Weil auch alle anderen bisher bei Vermittlungen gescheitert seien, könne sich auch Peking kaum Kritik zuziehen. Zudem werde China als neutraler als die USA angesehen. Denn bisher sei der "Chamäleon"-Ansatz der chinesischen Nahost-Politik davon geprägt gewesen, mit allen Seiten gute Kontakte zu pflegen, sagt Wacker. Das ähnelt der Strategie der ebenfalls stets auf den Handel schauenden Deutschen.
Mittlerweile gibt es aber noch einen direkten Grund, sich auch diplomatisch zu engagieren: Denn die Zahl chinesischer Arbeiter und Geschäftsleute in der Region wird mittlerweile auf mehrere Zehntausend geschätzt. Wie schnell China deshalb von einer militärischen Eskalation betroffen sein kann, zeigt der Vormarsch der radikal-sunnitischen Isis-Miliz im Westirak: Dort musste China laut Rudolph in einer im Westen kaum wahrgenommenen Aktion einige Tausend Landsleute aus der Region evakuieren. Ähnlich war es beim Sturz Muammar Gaddafis in Libyen.
Quelle: ntv.de, Andreas Rinke, rts